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Drunk texting you – Was tun, wenn du zu tief ins Glas geschaut & dabei alle Skrupel verloren hast

Foto: Stephanie Gonot
Nüchtern zu schüchtern, besoffen zu offen! Wir kennen es alle: Betrunken ist das Handy quasi an der Hand fest getackert und man schreibt Nachrichten und schickt Voicemails, von denen man denkt, die müssten sein. Das muss jetzt einfach raus. Nur, um am nächsten Tag die Stelle zu finden, wo der Boden sich am weitesten auftut. Dasselbe gilt für Partys, auf denen man mit mehr als ein Promille im Blut seinen Mut zusammen genommen und den heißen Typen endlich angebaggert hat, der in der Schule zwei Klassen unter einem war. Oder der Nachbarin unter Tränen gesagt hat, wie super man sie findet. Oder. Oder. Oder. Was also tun am Tag danach? Entschuldigen? Ins Lächerliche ziehen? Schweigen?
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Ich habe es schon mehrfach getan. Und mich mehrfach in Grund und Boden geschämt. Weil meine betrunkene Aktion oder auch die Nachrichten und Voicemails, die ich im Vollsuff oder auch nur in angeheiterter Stimmung verschickt habe, meiner Ansicht nach so unfassbar peinlich waren, dass es dafür weder eine Entschuldigung noch eine galante Ausrede gab, mit der ich alle Schuld von mir weisen konnte.
Ich habe peinliche Liebesgeständnisse an Affären geschickt (und das obwohl die Emotion wohl nur durch das ein oder andere Glas Weißwein verstärkt war), idiotische Stellungnahmen an Exfreunde, Freundschaftsgesäusel an Menschen, mit denen ich eigentlich nichts mehr zu tun haben wollte, und lustige Fotos in Familien- oder Kollegenchats gepostet, die dort mal so gar nichts zu suchen hatten. Noch schlimmer ist es geworden, seit es diese beknackte Voicemail-Funktion gibt. Da gab es schon Nachrichten, die ich mir am Tag danach schlichtweg nicht anhören konnte, einfach, weil ich mein Gelalle und Rumgestottere nicht ertragen konnte. Das geht allerdings meist nur die nächsten ein, zwei Tage nicht. Oder halt so lange bis sich dieses mulmige Bauchgefühl gelegt hat, dass einem sagt, man hätte es sich lieber sparen sollen. Danach ist es manchmal fast lustig. Trotzdem: Wer hat sich diese Voicemail-Kacke eigentlich ausgedacht? Vor allem das neue Feature, bei dem man den Knopf nicht mal mehr festhalten muss? Das war vorher die letzte Hürde, die Schutz geboten hat, weil man ab einem bestimmten Pegel schlichtweg nicht mehr in der Lage war, den Knopf lang genug festzuhalten und die Voicenachricht somit idealerweise nicht mehr als ein „Hallo“ enthielt. Heute aber, heute kann man ellenlange philosophische Emo-Nachrichten in die Welt schicken, Geschwafel und Geheule, ohne dass einen Zuhörer oder Technik unterbrechen.
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Es kann auch vermeidlich professioneller Smalltalk mit Branchenmenschen sein, der aber eher einem wilden Herumschielen in der Gegend begleitet von unkontrolliertem Nicken und von einem selbst als suuuuper professional wahrgenommenen Einwürfen à la "Boahjaaaa, find ich auch ey." gleicht.

Das Gleiche gilt natürlich auch für Ausbrüche in Persona: Es müssen nicht immer die klischeebesetzen Heulkrämpfe sein, die einen auf einer Party heimsuchen und zum Mittelpunkt des allgemeinen Interesses machen. Es können auch peinliche Anbaggerversuche, vermeintlich professioneller Smalltalk mit Branchenmenschen, der aber eher einem wilden Herumschielen in der Gegend gleicht, der von unkontrolliertem Nicken und von einem selbst als suuuuper professional wahrgenommenen Einwürfen wie Boahjaaaa, find ich auch ey begleitet wird. Manchmal zeugen am nächsten Morgen nur sporadisch aufflackernde Bilder im Kopf, verwackelte Selfies auf dem iPhone oder ungläubige SMS mit Infos wie da haste den Vogel aber wieder abgeschossen oder und, wie geht es dir heute, wieder alles okay? von dem Faux Pas der vergangenen Nacht. Bei mir ist es meist ein unmissverständlich flaues Gefühl in der Magengegend, das mir sagt: Gestern. Gestern warst du mal wieder unschlagbar. In jeder Hinsicht, nur nicht positiv.

Und natürlich: Man kann solchen Situationen vorbeugen. Indem man einfach nicht trinkt. Oder nicht so viel trinkt. Sein Handy zuhause lässt oder es an der Garderobe abgibt. Aber hey, irgendwie wäre das ja langweilig.

Wie aber reagieren nach so einem Abend? Ich habe lange dazu tendiert ellenlange Entschuldigungsnachrichten zu tippen, die meinem Gegenüber unmissverständlich klar machen sollten, wie Leid es mir tut und dass ich eigentlich gar nicht so bin. Aber soll ich euch etwas sagen? Meist sind diese Nachrichten mindestens genau so peinlich für den Empfänger wie die Aktion an sich, wenn nicht sogar noch unangenehmer. Denn glaubt es oder nicht: Wir alle waren schon mal betrunken und haben etwas getan, worauf wir nicht stolz sind. Irgendwas, das wir am liebsten ins hintere Eckchen unseres Gehirns verfrachten würden und es einfach ganz schnell vergessen. Aufgefallen ist mir das zum Beispiel, als jemand sich mal auf einer Party in meiner Wohnung daneben benommen hat. Ich sage mal, meine Couch war involviert, eine Frau, ein Mann und noch so ein paar Aspekte inklusive recht viel Alkohol. Am nächsten Tag wurde sich ausgiebig entschuldigt und zu Kreuze gekrochen und ich fand das ehrlich gesagt viel schlimmer. Hey, komm, man hatte getrunken und das war nun mal so. In der Situation des betreffenden Abends kann man damit sogar meist besser umgehen, weil man es eben als Ausrutscher abtut, am Tag danach muss man sich dann klaren Geistes mit solchen Themen auseinandersetzen.
Es gibt natürlich Ausnahmen: Wenn ich jemanden ernsthaft beleidigt habe, jemandem zu Nahe getreten bin oder in der ein oder anderen Gelegenheit über das Ziel hinaus geschossen bin, empfiehlt sich meiner Ansicht nach ein Aufgreifen der Thematik oder eine aufrichtige Entschuldigung. Vor allem bei Menschen, die man kennt und wertschätzt, ist es unerlässlich, sich für ganz extremes Verhalten zu entschuldigen – dann aber auch gern persönlich oder via Telefon und nicht per WhatsApp-Nachricht oder per Voicemail. Und auch da gehen die Meinungen auseinander, was schlimm oder nicht. Mit 23 Jahren bin ich mal volltrunken bei einer Ex-Affäre über den Gartenzaun oder besser über die Garage geklettert. Es war natürlich mitten in der Nacht, ich war nicht gerade für eine Kletterpartie gekleidet – und als ich dann endlich das Hindernis gemeistert hatte, fand der beehrte Mann das eher so minderlustig. Trotz Entschuldigungen, mündlicher wie schriftlicher Art und eines Entschuldigungsgeschenks bin ich den Ruf der etwas beknackten Alten nie richtig losgeworden – allerdings nur bei ihm. In meinem Freundeskreis ist das bis heute die Lieblingsstory aller, sie wird immer wieder gern ausgepackt und ich gewinne jede, aber wirklich jede Wette oder jedes Trinkspiel damit. Und heute, mit fast 31, kann ich darüber auch herzhaft lachen.
In einem Gespräch mit einem Psychologen, das ich zu Recherchezwecken geführt habe, habe ich ähnliches erlebt. Er meinte ebenfalls, dass ein Aufwärmen einer solchen Geschichte, die im Suff passiert ist, eher bewirkt, dass noch mal Augenmerk auf die Peinlichkeit gelegt wird. Dabei war der andere vielleicht auch angetrunken und hat alles als viel weniger schlimm wahrgenommen. Auch hier gibt es natürlich die erwähnten Ausnahmen, aber es werfe den ersten Stein, wessen Weste weiß ist. Ich also würde sagen: Sofern es kein extremer Faux Pas war, Gras drüber wachsen lassen. Abhaken unter „besoffen zu offen“. Weitermachen. Das Leben ist zu kurz, um zu bereuen.
Und natürlich: Man kann solchen Situationen vorbeugen. Indem man einfach nicht trinkt. Oder nicht so viel trinkt. Sein Handy zuhause lässt oder es an der Garderobe abgibt. Aber, hey, irgendwie wäre das ja langweilig. Ein bisschen froh, dass man Voicemails nicht screenshotten kann, bin ich trotzdem. Die Hemmschwelle, sie weiterzuleiten, ist nämlich weitaus höher als einen Screenshot einer Nachricht zu verschicken, das habe ich jedenfalls im oben genannten Gespräch gelernt. Es gibt die eine oder andere, die habe ich ganz tief in meinem Handy vergraben. Nur manchmal, manchmal höre ich sie mir an – wenn ich herzhaft lachen will oder mir mal wieder klarmachen muss: Schlimmer? Schlimmer geht immer.
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