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Deine Anteilnahme bringt mir beim Verzichten überhaupt nichts

Foto: Megan Madden
Meine Oma hat viele Sprüche drauf, die mich verrückt machen. Ganz weit oben auf der Top-Liste rangiert „Du kannst nicht alles haben.“ Dafür sehe ich voller Übermut, Naivität und manchmal sogar Größenwahnsinn natürlich grundsätzlich überhaupt keinen Grund. Sei es bei so großen Themen wie der Lebensgestaltung oder kleineren Angelegenheiten wie der Entscheidung für die eine Party am Samstagabend. Vier Events sind in Berlin easy machbar. Und auch beim Thema Essen bin ich abgesehen von zehn Jahren Vegetarier-Vergangenheit kein Fan von Verzicht. Die Natur lässt sich mit Sojawurst genauso wenig retten wie mit Bio-Kokosnussjoghurt – was für den Körper wiederum gesund ist. Zu solchen Kreisläufen gibt es so viele Theorien und Studien, dass ich zeitweise gar nichts mehr genießen konnte.
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Aus der intensiven Auseinandersetzung mit Pro und Contra von fast jedem Lebensmittel ist bei mir nicht nur eine völlige Überforderung im Supermarkt entstanden, sondern auch ein ausgeprägter Unmut über meine Ernährung zu sprechen. Schade eigentlich, denn Essen ist großartig und leidenschaftliche Gespräche über Käse habe ich durchaus schon einige geführt. Veganismus, Clean Eating, Paleo und wie sie alle heißen, streichen als Food-Trends viel aus dem Ernährungsplan – und das scheinbar ganz selbsterklärend und gerechtfertigt. Doch sobald ich einfach so auf etwas vom Menü verzichte, ploppen meinem Gegenüber 183 Fragenzeichen im Gesicht auf. Dass ich auf etwas keinen Appetit habe oder mich einfach nur gesund ernähren möchte, nimmt mir kaum ein Dinnernachbar ab.
So beginnt schon beim Gruß aus des Küche das Spekulieren. Wenn man als Frau keinen Alkohol trinkt, ist man wahlweise schwanger oder steht kurz vor der Betty-Ford-Klinik. Da war ja was mit deutscher Leitkultur. Zu der gehört natürlich auch ausgiebiger Fleischkonsum. Dass einem auf Grund von Massentierhaltung meist nichts in Sachen Nährstoffe entgeht, wenn man auf Chicken Curry oder Bockwurst verzichtet, will man dem gerade genießenden Gesprächspartner nicht unbedingt entgegnen.
Wenn ich Brot vermeide, das vielleicht einfach nicht knusprig genug aussieht, oder das Dessert auslasse, wird direkt eine Essstörung diagnostiziert. Da ich auch kein glühender Fritteusenfreund bin, stimmt erst recht etwas nicht mit mir. Ich könnte ewig so weitermachen. Meine Leidenschaft für Salat wird wiederum mit Augenrollen hingenommen. Nur selten finde ich Menschen, die bereit sind angebratenen Spitzkohl oder gegrillte Aubergine so ausgiebig zu preisen wie Pizza, Döner oder Pommes.
Die Frage, warum ich auf etwas verzichte, ist oft ein easy Small-Talk-Einstieg. Manchmal ist sie sicher als aufrichtige Anteilnahme zu deuten. Die besorgten Gesichter nehme ich gerne als lieb gemeint mit. Nur fehlt mir durch den Verzicht ja überhaupt nichts. Deswegen fühlt sich das Interesse eher wie bohrende Neugier an. Dass niemand direkt nachfragt, was mit mir eigentlich nicht stimmt, ist beinahe ein Wunder. Das hat sich nur bisher noch niemand getraut. Dabei wäre mir das fast lieber als bohrende Nachfragen. Besonders wenn der Eindruck entsteht, dass mein Gegenüber sich durch meinen Verzicht selbst auf den Schlips getreten fühlt und das Dinner nicht mehr genießen kann. Dabei liegt mir nichts ferner, als zu missionieren oder den Genuss anderer zu zerreden. Die kleinste Abweichung von der eigenen Norm wird trotzdem gern als außergewöhnlich bis skandalös ausgelegt.
Wenn ich die Diskussion dann mürrisch abwürge, schwirrt mir oft ein Spruch von Papa im Kopf herum. „Wie man’s macht, macht man’s verkehrt“, sagt er manchmal. Diesen Eindruck kann man durchaus bekommen, wenn ich die Reaktionen auf meinen Speiseplan wirklich ernst nehme. Doch zum Glück muss ich es bei meiner Ernährung genauso wenig jemandem recht machen, wie bei meiner Lebensplanung und meinem Samstagabend. Daran können weder Oma noch Dinnernachbarn etwas ändern.
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