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Wenn Liebe allein nicht reicht: Darum gab ich meinen Sohn zur Adoption frei

Hallo, ich bin Mariah. Ich habe mein Kind abgegeben. Ich wollte nie Kinder bekommen. Ich wusste immer, dass ich keine Mutter sein würde. Und würde ich aus irgendeinem Grund doch einmal schwanger werden, müsste ich es abgeben. Als der Film Juno in die Kinos kam, konnte ich meinen Gedanken endlich in Worte fassen: „Ich mach’s dann wie Juno“, erzählte ich jedem, der mir mit großen, ungläubigen Augen begegnete.

Jedes Mal, wenn ich überfällig war (was ich eigentlich nie war, ich kann nur einfach nicht zählen), dachte ich, Scheiße, ich bin schwanger. Jetzt muss ich dieses kleine Kind zur Adoption freigeben. Jedes Mal war der Test jedoch negativ und ich bekam früher oder später meine Tage. Bis auf das eine Mal, als der Test positiv herauskam. Und dann konnte ich nichts mehr machen.

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Obwohl Juno im Film noch eine Teenagerin ist, sind es die meisten Mütter heutzutage nicht mehr: Diverse Statistiken belegen immer wieder, dass sich das Alter von Frauen, die Kinder bekommen, weiter nach hinten verschiebt. Das bemerkt aber ein großer Teil der Weltbevölkerung gar nicht unbedingt. Deshalb sprechen Frauen, die erfahren, dass ich ein Kind zur Adoption freigebe, mit mir, als wäre ich jung, unmündig und ahnungslos. Ob das geplant war, werde ich gefragt, oder ob ich schon daran gedacht hätte, was passiert, wenn ich mich umentscheide, oder aber, ob ich depressiv sei. Alles großartige Fragen, die von überragendem Feingefühl zeugen.

Viele haben schon mal eine adoptierte Person kennengelernt. Die allerwenigsten jedoch kennen eine Mutter, die ihr Kind aufgegeben hat. Und das hat einige Gründe. Zum einen, weil Verhütung leichter zugänglich und Abtreibungen gängiger werden. Zum anderen aber auch, weil abgebende Mütter quasi unsichtbar sind, weil sie oftmals schweigen.

Das ist kein Zufall: Historisch betrachtet, und mit „historisch“ meine ich „seit den 1950ern“, wurden Abtreibungsgesetze ins Leben gerufen, weil eine unverheiratete, alleinstehende, schwangere Frau gesellschaftlich tot war. Ihre Schwangerschaft sollte um jeden Preis versteckt, wenn nicht vermieden werden. Mittlerweile haben sich die Bedingungen verbessert, wenn auch nur leicht. Der Adoptionsprozess meines leiblichen Sohns, zum Beispiel, ist offen vonstatten gegangen. Ich sehe ihn und seine Familie regelmäßig. Genauso geht es vielen anderen Adoptivfamilien heutzutage. Aber es kann eben auch anders laufen, wenn die betroffenen Parteien nicht miteinander arbeiten, die Gesetze nicht da greifen, wo sie benötigt werden, weil sie noch immer ein antiquiertes Konzept von Scham repräsentieren.

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Ich gehe schon immer sehr offen mit Sex um. Ich arbeite außerdem als Theaterschauspielerin in New York und bin generell eher extrovertiert. Als ich also herausfand, dass ich schwanger war, erzählte ich es jedem und erwähnte auch gleich, dass ich vor hatte, mein Kind zur Adoption freizugeben. Nicht darüber zu sprechen, hätte bedeutet, mich zu verstecken. Das war keine Option für mich. Und warum sollte ich es auch verheimlichen? Ich kümmerte mich ja aktiv darum, ich war sogar ziemlich stolz auf das, was ich tat. Über eine Adoptionsvermittlung fand ich ein schwules Paar, das mir sehr sympathisch war. Als ich sie zum ersten Mal traf, ließ ich uns gemeinsam fotografieren und teilte das Foto sofort auf meinem Facebook-Profil.

Als ich im siebten Monat war, filmte ich ein Video für meinen Sohn, in dem ich als Burlesquetänzerin auftrat und ein Kleidungsstück nach dem anderen ablegte, bis schließlich auf meinem Babybauch die Worte „Ich liebe Dich“ sichtbar wurden.

Meine offene, stolze Art wurde mir erst dann zum Verhängnis, als der Tag kam, an dem ich entbunden hatte und mich von meinem Sohn verabschieden sollte. Im Anschluss musste ich allen, die mich zuvor noch feierlich herumstolzieren sahen, erklären, dass ich nun durch eine emotionale Hölle ging. Und diese ständige Rechtfertigungspflicht machte alles nur noch schlimmer. Ultimativ hatte mir meine transparente Kommunikation aber trotzdem dabei geholfen, diese schwierige Phase zu überstehen, weil meine Freunde jeden meiner Schritte miterlebt hatten und nachempfinden konnten. Sie wussten, dass ich die Wahrheit sagte, es schon die ganze Zeit getan hatte, und es mir nun also wirklich schlecht gehen musste. Sie kümmerten sich fürsorglich um mich und mein Wohl, brachten mir Essen vorbei und standen mir bei.

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Es gibt leider keine offiziellen Zahlen dazu, wieviele abgebende Mütter ihre Tat geheim halten, jedoch kriegte ich schnell das Gefühl, ich sei nur eine von sehr, sehr wenigen, die so offen mit dem Thema umgingen – und es immer noch tun. Annie, auch eine Mutter, die ihr Kind zur Adoption aufgab, sagte mir irgendwann: „Ich hätte die Reaktionen der anderen einfach nicht ertragen. Jahrelang stellte ich mir vor, dass mich meine Freunde und Familie dafür verachten würden, wütend und verständnislos wären, und ich war der Überzeugung, ich würde das nicht verkraften.“ Eine weitere Frau, die ihr Kind zur Adoption freigegeben hatte, erzählte mir, dass sie bis heute kritische Blicke und empörte Reaktionen erntet, wenn sie ihre Geschichte erzählt: „Die Menschen verstehen es meist einfach nicht. Sie können nicht nachvollziehen, wie ich ein Kind in die Hände anderer Menschen gebe, es dann aber regelmäßig sehen und Teil seines Lebens sein möchte.“

Ich oute mich fast schon zwanghaft, wenn ich jemanden kennenlerne. Sie werden es früher oder später sowieso mitbekommen, denke ich mir dann, also kontrolliere ich die Diskussion darüber lieber. Das Interessante daran ist eigentlich die Reaktion der Menschen. Sobald ich nämlich davon erzähle, kann man jede einzelne Phase von Schock, über Empörung und Verwirrung hin zu kompletten Unverständnis in den Gesichtern der Zuhörer sehen, bis sie dann herumdrucksen, um bloß irgendwie zu reagieren.

Mütter, die Ähnliches durchgemacht haben wie ich, erzählen mir immer wieder von den wertenden Kommentaren ihrer Mitmenschen, wenn sie ihre Geschichte erzählen. Und dass es eigentlich diese Vorverurteilungen sind, die ihnen an der ganzen Geschichte am meisten zusetzen. Oftmals sagen die Zuhörer nichts explizit beleidigendes, doch allein der Tonfall, wenn etwa eine Frage fällt wie „Ich könnte da NIEMALS!“, schmerzen oft mehr, als die Sache an sich. Denn zum einen, DOCH, jeder KANN das – und wenn es dir als Elternteil als die einzig beste Option erscheint, dann wirst du es auch tun. Zweitens schließt man mit dieser Aussage jede abgebende Mutter noch vielmehr aus einem Kreis einer vermeintlichen Normalität aus, als es sich für sie eh schon anfühlt.

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Und genau das ist die Crux: Menschen reagieren ignorant, verletzend und wirklich nicht hilfreich, oftmals, weil sie einfach nicht genug über Frauen wissen, die ihr Kind zur Adoption freigeben. So hören genau diese Mütter auf, ihre Geschichten zu erzählen und es entsteht noch mehr Schweigen. Ein Teufelskreis.

Was sich eine Frau von ihrem Gegenüber wünscht, wenn sie erzählt, dass sie ihr Kind zur Adoption freigegeben hat oder es vorhat? Vielleicht so etwas wie, „Danke, dass du das mit mir teilst. Wie weit dürfen meine Fragen gehen? Gibt es etwas, über das du nicht sprechen möchtest?“ Denn wenn eine Frau das erwähnt, heißt das nicht automatisch, dass sie gleich einen Crashkurs zum Thema Adoption geben will. Unter Umständen möchte sie einfach Ballast loswerden. Wenn sie aber tatsächlich darüber sprechen möchte, kann man vorsichtig anfangen und zum Beispiel fragen: „Wie geht es dir damit?“, „Kann ich dir mit irgendetwas helfen?“, und im Zweifelsfall, „Ich weiß nicht, wie sich das anfühlen muss, aber ich bin bei dir.“ Wer sich wirklich für das Prozedere dahinter interessiert, kann mit Fragen beginnen wie, „Stört es dich, wenn ich dir ein paar Fragen dazu stelle? Aber fühl’ dich bitte nicht unter Druck gesetzt, ich bin einfach interessiert.“ Die Rahmenbedingungen für werdende Mütter verbessern sich seit 50 Jahren stetig. Das Stigma um unverheiratete und alleinerziehende Mütter wird immer kleiner, obgleich es noch immer besteht. Offene Adoptionsprozesse machen es sowohl für abgebende, als auch für Adoptiveltern und die Kinder zunehmend einfacher und helfen über die schweren Trauerphasen hinweg. Die sinkende Anonymität trägt wesentlich dazu bei, dass es für alle Beteiligten besser zu verkraften ist. Doch die Unsichtbarkeit, der Impuls, sich als Mutter, die ihr Kind abgegeben hat, zu verstecken, lebt weiter. Während ich schwanger war, suchte ich lange Zeit nach einer Frau mit ähnlichem Schicksal, nach einem Rollenvorbild. Ich fand keine. Ich kannte auch keine Frau, zumindest keine, die es mir offen erzählt hatte. Ich musste mein Schicksal selbst in die Hand nehmen, mein ganz eigenes Rad neu erfinden, mir den Weg freistampfen. Ich habe das getan, und schreibe meine Geschichte hier nieder, weil ich damit vielleicht irgendeiner anderen Frau die Möglichkeit gebe, sich mit all der Last nicht alleine zu fühlen. Ihr seid nicht allein. Du bist nicht allein.

Hey, ich bin Mariah und ich habe meinen Sohn zur Adoption freigegeben.

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