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Burnout-Syndrom: Es fühlt sich anders an als ich dachte

Photographed by Bianca Valle.
Vor vier Jahren war ich im Leben eigentlich genau da, wo ich sein wollte: Ich arbeitete als feste Redakteurin bei einem großen Hochglanzmagazin. Mein erster Roman war gerade im Verlag Simon & Schuster erschienen. Ich trainierte für den New York Marathon und ging jede Woche auf diverse Tinder-Dates, mit Männern, die ebenso viel drauf hatten wie ich. Ich hatte meine eigene 3-Zimmer-Wohnung in Brooklyn und plante meinen 30. Geburtstag, der eigentlich eher eine kleine Benefizveranstaltung werden sollte. Spinning und Yoga waren feste Bestandteile meines Alltags, und ich sagte so gut wie niemals nein: nicht zu Dates, nicht zu Aufgaben, zu gar nichts. Ich liebte es, Dinge von meiner To-Do-Liste zu streichen. Die Pausen, wenn ich zum Beispiel mal auf die Bahn wartete, verbrachte ich regelmäßig damit, noch einmal alle Dinge aufzuzählen, die ich schon erledigt oder erreicht hatte, und mental die Aufgaben zu sortieren, die mir noch bevorstanden. Ich war mit Stolz erfüllt und überraschte mich immer wieder selbst damit, wieviel ich doch an einem Tag schaffen konnte. Ich liebte es, die Welt über meine Social-Media-Accounts auf dem neuesten Stand zu halten, vom Training am Morgen, den Büroalltag als Journalistin bis hin zum gediegenen Wein am Abend. Was ich nicht teilte, waren die lethargischen Wochenenden, an denen ich zwei Tage lang regungslos im Bett lag und nur das Licht bei seiner Tageswanderung über meinen Parkettboden beobachtete. Ich erzählte auch niemandem von dem Gefühl, in einem Hamsterrad gefangen zu sein, das jede Woche neu und stärker in mir emporstieg und das mich irgendwann, in absehbarer Zukunft, überwältigen würde. Denn eigentlich war es folgendes: ein Burnout. Ja, genau. Dieses Alarmglocken läutende Schlagwort, das einem in den populärwissenschaftlichen Medien nur so hinterher geworfen wird. Doch an dieser Inflation ist auch was Wahres: Das Forbes Magazin belegte in einer Studie, dass immer mehr Frauen bis 30 mindestens einmal Burnout-Erfahrungen machen. Forschungen der University of Kansas von 2015 bestätigen die Studienergebnisse und gehen noch genauer darauf ein: Laut der Umfragen, welche nach Berufskreisen unterteilt waren, gaben 67% aller Journalistinnen zu, ihren Beruf perspektivisch wechseln zu wollen – im Gegensatz zu 55% der männlichen Kollegen. Millennials seien außerdem besonders empfänglich: Von ihnen werde erwartet, auf Abruf bereit zu sein, zu jeder Tageszeit und an jedem Tag. Schuldgefühle, während des Urlaubs nicht erreichbar zu sein, werden zur Normalität, vor allem dann, wenn sämtliche CEOs milliardenschwerer Konzerne auch noch in ihren Zwanzigern stecken, jedoch den Lebenslauf eines Mittvierzigers vorweisen. Wir alle kennen das.
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Es fühlte sich an, als hätte mich jeder letzte Tropfen Motivation verlassen, als wäre ich leer.

Doch selbst, wenn wir auf intellektueller Ebene wissen, was ein Burnout ist, kann niemand genau sagen, wie es sich anfühlt. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass es eine Mischung aus vielen, unterschiedlichen Gefühlen ist, und eine unerwartete noch dazu. Burnout fühlt sich jedoch für jeden Menschen anders an. Für mich war es eine merkwürdige Ansammlung sämtlicher, intensiver Emotionen: Ich war aufgeregt, nervös, dankbar für all die Möglichkeiten, die sich mir präsentierten, und unendlich müde. Ich erinnere mich an eine Email von meinem Boss an einem Sonntagnachmittag: Es war eine nette Mail, in der er mir zu meinen erreichten Zielen gratulierte. Im Normalfall hätte es mich genau eine Minute gekostet, darauf zu antworten – aber ich konnte nicht. Ich war gelähmt. Stattdessen zog ich die Decke über meinen Kopf und schlief ein. Es war, als würden mein Körper und mein Kopf auf einmal streiken. Ich musste mir eine Auszeit nehmen, ob ich wollte oder nicht. Und genau das ist passiert. Einen Monat später lief ich zur U-Bahn und bemerkte die schiere Unmachbarkeit meiner To-Do-Liste für den Tag. Es fühlte sich an, als hätte mich jeder letzte Tropfen Motivation verlassen, als wäre ich leer und schlichtweg fertig. Und wie es das Schicksal dann manchmal so will, wenn man nicht von alleine auf den Trichter kommt, wurde mir an diesem Nachmittag gekündigt.
Die Kündigung war Teil einer allgemeinen Kürzungsmaßnahme der Firma, trotzdem fragte ich mich, ob mein Chef nicht doch bemerkt hatte, dass mein Nervengerüst nur noch am seidenen Faden hing. Ohne die tägliche Routine geriet mein Tagesrhythmus aus den Fugen. Jahrelang hatte ich mich so sehr mit meinem endlos geschäftigen Arbeitsalltag identifiziert, dass mir die plötzliche Freizeit den Boden unter den Füßen nahm. In den folgenden Monaten lebte ich von meiner Misere und dem Arbeitslosengeld, das ich bekam. Ich ging nicht mehr auf Dates, ich ging morgens nicht mehr laufen, ich verbrachte ganze Tage im Liegen, unterteilte mein Bett in Ess- und Schlafbereiche, und fühlte mich besonders aktiv, wenn ich es einmal auf die Couch schaffte. Ich weiß jetzt, dass es ein ernstes Burnout-Syndrom war, das sich da breit machte. Aber es fühlte sich anders an. Anders als ich es von einem Burnout erwartet hatte. Mein Ausbrennen fühlte sich anfangs gut an: Ich war vielbeschäftigt und erfolgreich, erreichte alle meine Ziele, hatte Spaß, wie er im Buche steht, und genoss meine Zwanziger. Einige Monate mussten vergehen bis ich kleinste Schritte machen konnte, die mich wieder zu mir selbst finden ließen. Ich fing an mit einzelnen Yoga-Stunden. Ich fing an mit Aufträgen für kurze Texte, anstatt die nächste große Kommission für einen Roman anzunehmen. Ich fing wieder an zu laufen und ich tat es für mich, nicht für den Wettbewerb. Und anstatt mich wieder in die Online-Datingwelt zu schmeißen, um „den Richtigen“ zu finden, beschloss ich, mich mit alten Freunden zu treffen und meinen Freundeskreis zu erweitern.
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Ich legte soviel Wert darauf, wie mein Leben aussah, dass ich vergaß, wie es sich anfühlen sollte.

Vier Jahre später spüre ich die Folgen meines Burnouts noch immer. Ich merke, dass ich mich nicht mehr so stark motivieren kann, wie ich es bei Projekten früher tat. Ich prokrastiniere deutlich mehr, ich lenke mich ab und verbringe Zeit mit Dingen, denen ich früher nicht einmal fünf Minuten meiner Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Ich habe gelernt, dass die Zeit für mich da ist und nicht für irgendeine Deadline. Mein Leben ist sehr viel ruhiger, was ich mittlerweile zu schätzen weiß –auch, wenn ich es erst lernen musste. Und auch, wenn ein Teil von mir noch immer die busy Businesswoman vermisst, die ich einmal war. Manchmal wünsche ich mir, ich hätte mir damals die Zeit genommen, auf all diese kleinen Anzeichen und Warnungen zu achten. Ich hätte mir öfter Zeit nehmen und mich fragen sollen, warum ich jede einzelne Aufgabe tat, die ich damals wie automatisiert einfach erfüllte. Ich weiß zwar, dass ich geantwortet hätte ‚Ich möchte eben erfolgreich sein‘, aber wie definiert man Erfolg? Und vor allem: Wer definiert ihn? Bin ich die Anzahl meiner Follower auf Instagram? Bin ich die Anzahl der gut bezahlten Bildunterschriften, die ich tagtäglich produzierte? Definiert mich das Kompliment meines Spinning-Trainers? Ich hatte keine Zeit für echte Gespräche mit echten Menschen. Ich sprach weder mit meinen Tinder-Dates, noch mit meinen Freunden. Ich legte soviel Wert darauf, wie mein Leben aussah, dass ich vergaß, wie es sich anfühlen sollte.
Ich wünschte, ich hätte mir professionelle Hilfe gesucht – bei einem Therapeuten, einem Karrierecoach oder meinetwegen bei meinem Hausarzt – und hätte jemandem von meinem Gedankenchaos und dem Stress erzählt. Ich wünschte jetzt, ich hätte mir damals besser selbst zu- und in mich hinein gehört, mehr auf die innere Stimme geachtet, die mir schon die ganze Zeit prophezeite, dass diese ewige Tretmühle nicht aufrechtzuerhalten war. Und ich wünschte, ich hätte weniger von dieser „mehr“-Mentalität angenommen, dafür mehr von der „weniger“-Mentalität. Warum musste ich zu allem Ja sagen? Warum konnte ich mich nicht auf eine Sache konzentrieren und stattdessen alles versuchen? Ich wünschte, ich hätte die Bremse früher gezogen, damit der Aufprall keinen Totalschaden, sondern vielleicht nur einen kleinen Kratzer verursacht hätte. Denn Burnouts sind ein echtes Problem – und dabei sind sie es absolut nicht wert, eines zu sein.
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