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Warum Alkoholverzicht kein Lifestyle-Trend sein sollte

Foto: Kara Birnbaum.
Wenn du deinen Körper liebst, verzichtest du gerne auf Rotwein zu Fleisch und Weißwein zu Fisch – stattdessen sind alkoholfreie Getränke, wieder hoch im Kurs. Grund dafür ist unter anderem die Tatsache, dass Alkoholverzicht immer mehr zum Lifestyle-Trend wird. Anfang Juli veröffentlichte die New York Times einen Artikel über „das neue Interesse am alkoholfreien Leben“, in dem darauf eingegangen wurde, dass es mittlerweile einfach cool geworden ist nüchtern zu bleiben, obwohl man eigentlich trinkt. Viele tun es für eine gesündere Lebensweise.
Um ehrlich zu sein ist das auch kein ganz neues Konzept, von dem ich hier rede. Schon Ende 2018 brachte die Autorin Ruby Warrington ihr Buch Sober Curious auf den Markt. Darin spricht sie die verschiedenen Mythen über das alkoholfreie Leben an und gibt Tipps, wie du deine Beziehung zum Alkohol ändern kannst. Und auch in vielen Städten der Welt gibt es mittlerweile Bars, die ihren Gästen eine Reihe leckerer Mocktails anbieten. Natürlich sind auch viele Influencer auf den "Nüchternheitszug" aufgesprungen und leben den alkoholfreien Lifestyle in ihren Storys und Posts vor.
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Rein statistisch gesehen brauchen wir diesen Trend mehr als je zuvor, denn obwohl wir heute so aufgeklärt sind wie nie, kommen viele Jugendliche im ganzen Land mit einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus. Der Gedanke, Alkohol sei uncool, könnte also sogar Leben retten.
Trotzdem sollten wir aufpassen, wie wir das in der Öffentlichkeit vermitteln. Weniger zu trinken und Menschen zu ermutigen auch mal eine nüchterne Partynacht zu erleben, ist definitiv keine schlechte Sache. Aber einige Leute, die tatsächlich mit einer Alkoholsucht zu kämpfen hatten, sagen, dass der Alkoholverzicht als Trend und zu Marketingzwecken mehr schaden als nützen kann. Eine Person, die sich gegen diesen Lifestyle-Trend einsetzt ist Holly Glenn Whitaker, Gründerin und CEO von Tempest, einem Online-Therapiezentrum für Alkoholismus.„Alkoholverzicht ist nicht auf einem konsumgesellschaftlichen Ideal aufgebaut“, meint sie. Aus ihrer Sicht ist er eine rebellische Haltung, die die gängige kulturelle Norm ablehnt, wonach man Alkohol trinkt, um dazu zu gehören. Viele Alkoholgegner*innen und trockene Menschen kostete es einen hohen Preis, keinen Alkohol zu trinken. Manche hätten dabei sogar ihren Job, ihr Image oder ihren Stellenwert in der Gesellschaft riskiert. „Sich nur auf die angenehmen Aspekte des Alkoholverzichts zu konzentrieren, nimmt dem Ganzen seine Bedeutung.“ Auch die Bloggerin Beth Holden unterstützt auf Instagram diese Meinung: „Trocken zu sein ist kein Trend, sondern ein Weg, um sich gegen einen solchen Trend zu stellen“, schrieb sie als Antwort auf den Beitrag der New York Post.
Also nur nochmal zur Klarheit: Es ist wirklich gut, dass Leute ihre Erfahrungen mit einem Leben ohne Alkohol teilen. Das bestätigt auch Carter Barnhart, Chief Experience Officer der Newport Akademie, einer Klinik für Sucht- und psychologische Krankheiten von Jugendlichen. „Früher trafen sich die Menschen bei den Anonymen Alkoholikern oder im Keller einer Kirche, und schämten sich für ihr Problem, was das Reden über ihren Kampf nur erschwerte“, erklärt sie. Mit der steigernden Akzeptanz und der Normalisierung des Themas, wird das Stigma, das an der Alkoholsucht und an Alkoholiker*innen haftet, langsam aber sicher beseitigt. „Und darüber freue ich mich sehr“, fügt Barnhart hinzu.
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Dennoch warnt sie davor Alkoholverzicht als Experiment zu sehen, denn dadurch wird sich mit der Zeit auch die Definition von Alkoholismus verändern. Eine Alkoholkonsumstörung wird nach der fünften Auflage des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5) folgendermaßen definiert:„Ein charakteristisches Muster kognitiver, verhaltensbezogener und körperlicher Symptome sowie den fortgesetzten Gebrauch der Substanz trotz klinisch bedeutsamer alkoholbezogener Probleme.“ Das heißt also, wenn eine Person versucht trocken zu werden, packt sie viele Probleme auf einmal an der Wurzel. Verzichtet jemand dagegen nur auf den Konsum, um (für kurze Zeit) einen gesünderen Lebensstil zu haben, fallen die ganzen psychischen Belastungen weg. Um trocken zu werden, musst du komplett auf Alkohol verzichten, aber du bist nicht gleich ein*e trockene*r Alkoholiker*in nur, weil du auf Alkohol verzichtest.
Diese Unterscheidungen sind wichtig, denn ein alkoholfreier Lebensstil ist immer beliebter. Durch die Normalisierung könnten Menschen aber möglicherweise beginnen, die ernste und lebensbedrohliche Natur von Alkoholmissbrauch und Alkoholismus zu unterschätzen, argumentiert Barnhart. „Dabei kann für Personen, die versuchen trocken zu werden, schon ein Glas zum Rückfall führen.“
Neuropsychologin Dr. Sanam Hafeez glaubt dagegen nicht, dass diese Bewegung der Aufklärung von Alkoholismus schadet. Sie ist der Überzeugung, jede öffentliche Aufmerksamkeit auf dieses Thema hilft ihm dabei, in der Gesellschaft anzukommen. Denn für viele ist es „buchstäblich ein Spiel mit dem Leben“, erklärt sie.
Was im Grunde nötig ist, ist eine allgemein gültige Definition dieser Trendbewegung. Viele verstehen darunter den absoluten Verzicht auf Alkohol, um sich gesundheitlich und geistig besser zu fühlen und für andere ist es ein Weg, um den eigenen Alkoholkonsum etwas einzuschränken.
Du musst natürlich nicht zwangsläufig alkoholsüchtig sein, um dein Verhältnis dazu nochmal unter die Lupe zu nehmen, aber trocken sein und weniger trinken sind zwei grundverschiedene Dinge, an die auch anders herangegangen werden muss. Für Menschen mit einer Alkoholsucht ist die Therapie notwendig, um wirklich trocken werden zu können, so Barnhart. Und alles, was dazu führt, dass mehr über Sucht und Alkoholismus gesprochen wird, ist positiv zu betrachten. Wichtig ist eben nur, das Ganze nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, nur um den Instagram-Followern einen neuen Trend vorstellen zu können!
Wenn du an einer Alkoholsucht leidest oder jemanden kennst, der oder die eventuell Hilfe benötigt, kannst du dich unter anderem bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung informieren oder beraten lassen – online und telefonisch oder in Beratungsstellen in deiner Nähe.

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