„Wir bekommen einen zerstörten Planeten dargereicht und ich weigere mich, so etwas meinen Kindern weiterzugeben.“ Mit dieser Aussage machte Sängerin Miley Cyrus nach dem Interview mit der Elle in der August-Ausgabe weltweit Schlagzeilen. Sie erklärte, dass sie sich bewusst dagegen entscheidet, Kinder zu bekommen, weil sie die Zustände in der Welt ihren Nachkommen nicht zumuten möchte. „Solange ich nicht das Gefühl habe, mein Kind wird auf einer Erde leben, wo Fische im Wasser schwimmen, werde ich niemanden in diese Welt setzen“, fügte Miley Cyrus noch hinzu. Vielleicht wirkt diese Denkweise auf dich anfangs etwas radikal und vielmehr wie der neueste Trend, dem nur Hardcore-Veganer*innen oder Promis folgen, aber dahinter steckt mehr als du denkst. Immer mehr Millennials sind einem Leben ohne eigener Kinder nicht abgeneigt und wahrscheinlich genau deshalb ist aus diesem Denken mittlerweile eine richtige Bewegung entstanden. Der „Antinatalismus“ ist der Oberbegriff und beinhaltet, dass jemand beschlossen hat, keine eigenen Kinder zu kriegen, um so einen Beitrag zur Lösung von globalen Missständen zu leisten. In ihren Augen ist das die schlichtweg einzige moralisch und ethisch vertretbare Vorgehensweise.
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Die eigentliche Idee zum Antinatalismus stammt vom südafrikanischen Philosophen David Benatar. In seinem Buch Better Never To Have Been, schrieb er nämlich, dass man, um das Leid in der Welt zu verhindern, niemals wieder menschliches Leben schaffen dürfte. Das Buch selbst kam schon 2006 heraus, wurde aber erst durch vegane Interessensgruppen und Communitys auf YouTube und Reddit bekannt. Und heute teilen Antinatalist*innen online ihre Erfahrungen, tauschen Memes aus und philosophieren über die verschiedenen Auslegungen dieser Lebensentscheidung.
„Für mich sind Antinatalist*innen Personen, die sich gegen die Fortpflanzung aussprechen oder sie aus verschiedensten Gründen moralisch problematisch finden – es geht ihnen nicht nur darum, das Leiden der Menschheit zu beenden“, erklärt Dr. Tina Rulli, Assistenzprofessorin an der philosophischen Fakultät in Kalifornien. Einige glauben nämlich, dass einem schon existierenden Kind die Chance auf Adoption verwehrt wird, wenn jede*r nur biologische Nachfolger*innen haben möchte. Andere befürchten, dass jeder weitere Mensch, die Klimakrise verschlimmern könnte. Und ein paar wenige sind der Meinung, „lebende Menschen sollten nicht Gott spielen dürfen und entscheiden, wer ein*e zukünftige*r Erdbewohner*in sein darf und wer nicht“, sagt Dr. Rulli.
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Es geht ihnen nicht nur darum, das Leiden der Menschheit zu beenden
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Das scheint vielleicht etwas weit hergeholt zu sein, aber viele Millennials sind von dieser Überzeugung sehr angetan. Aufgrund der politischen Konflikte weltweit, der nahenden Klimakatastrophe und der ständigen finanziellen Last auf ihren Schultern, erscheint ihnen die Welt so, wie sie gerade ist, nicht wirklich lebenswert. Sie wollen ihre Zukunft mitbestimmen und das ist eine Möglichkeit, wie sie das tun können.
Amanda Sukenick, eine Filmemacherin, Künstlerin und Verfechterin des Antinatalismus, erzählt uns, wie sie zum ersten Mal im Jahr 2010 auf YouTube etwas davon gehört hat. Sie erinnert sich daran, wie „zutiefst inspiriert“ sie davon war. „Ich finde der Antinatalismus ist eine sehr elegante, einfache und brillante Methode, die Probleme der Menschheit zu bewältigen“, teilt sie uns mit. Davor hatte sie sich nie wirklich darüber Gedanken gemacht, ob sie Kinder haben wollte oder nicht, aber jetzt ihre Entscheidung klar, meint sie. Für sie ist der Gedanke, dass durch diese Lebensweise die Welt schnell und effektiv gerettet wird, das Beste am Antinatalismus. Und natürlich hat auch sie Menschen in ihrem Umfeld, die eigene Kinder haben. Ihre Entscheidung Nachkommen zu kriegen, findet sie aber naiv und ignorant. „Die Menschen glauben, sie wissen, wie das Leben ihrer Kinder irgendwann aussehen wird. Sie machen zwar all diese Pläne, aber im Endeffekt können sie nichts wirklich vorhersagen“, sagt sie. Heute hat sie ihren eigenen YouTube-Channel, wo sie über ihr Leben als Antinatalistin redet.
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Wenn du aber zum ersten Mal von der Bewegung hörst oder vielleicht selbst ein Kind hast, kommen unweigerlich einige Fragen dazu auf. Wer kümmert sich um diese Menschen, wenn sie alt sind? Ist es ihnen nicht wichtig, den Familienbaumstamm weiterzuführen? Was ist mit all den positiven Dingen, die ein Kind in dein Leben bringt? Ist es nicht ein menschliches Grundbedürfnis eigene Kinder zu haben? Und eben weil diese Fragen Antinatalist*innen so oft gestellt werden, haben sie eine eigene Bezeichnung dafür kreiert: „Bingoing“. Bingoing steht dafür, dass Antinatalis*innen ständig ein und die selben Fragen gestellt werden, wenn sie anderen von ihrer Lebensentscheidung erzählen. Für sie ist es dann wie beim Bingospielen: Sie könnten die Fragen auf einer Tafel zusammentragen und bei jedem Gespräch einzeln abhaken, bis sie ein Bingo haben. Es ist aber nur verständlich, dass Menschen, die schon eine Schwangerschaft hinter sich haben, sich von den Äußerungen der Fortpflanzungsgegner*innen angegriffen fühlen. Und genau deshalb vermeiden es viele ihre Meinung öffentlich zu vertreten. Während sie im Internet sehr offen über ihre Erfahrungen reden, halten sich die meisten Antinatalist*innen im wahren Leben eher zurück, um Missverständnisse und Vorurteile zu vermeiden.
Auch die YouTuberin Dana Wells hat Erfahrungen mit bingoing gemacht. Darüber erzählt sie in einem Video ihres Channels The Friendly Antinatalist. Das erste Mal war als sie ihren leiblichen Bruder bei einem Treffen für adoptierte Kinder kennenlernte. Und nachdem sie ihm sagte, sie wolle keine Kinder haben, stellte er ihr sofort diese Fragen. „Mir passte es gar nicht, dass ich meine Entscheidung gegenüber diesem fast Fremden rechtfertigen musste – die ganze Unterhaltung war nervig und unangenehm“, so Wells. „Warum war es ihm so wichtig, dass ich ein Kind aus mir herauspresse?“ Dieses Gespräch hat ihr nur das bestätigt, was sie schon lange glaubte: „Die Menschen wollen ein Kind niemals um des Kindes willen, sondern aus purem Egoismus.“
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Auch unter Antinatalist*innen herrscht nicht immer Einigkeit. Wells zum Beispiel sagt, sie wünscht sich, dass in der Community nicht alle immer die Adoption als einfache und leichte Alternative betrachten würden, denn auch da solltest du dir sicher sein, dass du wirklich ein Kind großziehen willst. Als ich Sukenick fragte, wie sie sich eine „perfekte Welt“ vorstellt, machte sie eine kleine Pause und antwortete dann: „Ein unfruchtbares Universum. Ein Ort, an dem keine Lebewesen zu Schaden kommen können.“
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Das Konzept spricht viele kinderlose Menschen an, auch wenn es noch nicht vollkommen zu Ende gedacht ist. ely end.
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Wer weiß, ob die Zukunft, die Miley Cyrus beschrieb, genau dieselbe ist, die Sukenick, Wells, Dr. Rulli und andere Antinatalist*innen sich vorstellen. Fakt ist das Konzept spricht viele kinderlose Menschen an, auch wenn es noch nicht vollkommen zu Ende gedacht ist. Denn wir dürfen nicht vergessen, dass wenn alle diese Denkweise übernehmen würden, die Menschheit schlussendlich aussterben würde. Und das steht nunmal im Widerspruch mit dem Überlebenswillen eines Menschen. Aber andererseits hat ja auch niemand zugestimmt geboren zu werden, stimmt's?