Bei all dem Zirkus um Fast Fashion und der immer seltener werdenden, gut bezahlten Näherin frage ich mich regelmäßig, wie viel genau ein Paar Jeans zum Beispiel kosten müsste, um ethisch unbedenklich zu sein. Jeans gibt es mittlerweile wirklich in allen Preisklassen, teilweise sind sie so günstig, dass ich für ein Abendessen bei meinem Lieblingsjapaner mehr bezahle. Da kann doch irgendetwas nicht stimmen.
Und eigentlich ist es auch schon längst zu spät, um die Konsequenzen einer billig produzierten Jeans zu ignorieren: Allein im Mai 2016 sind in Fabriken in China und Bangladesh innerhalb von zwei Wochen elf Menschen gestorben, weil es einen Brand oder Verfall der Bausubstanz gab. Die Produktionsstätten sind zu großen Teilen marode und so schlecht ausgestattet, dass solche Vorfälle keine Überraschung mehr darstellen. Es stimmt also: Menschen sterben, um unsere Kleidung herzustellen. Wie viel muss ich bezahlen, damit ich guten Gewissens meinen liebsten Denim-Look ausführen kann? 50? 100? 250?
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Ja, Tod ist nach wie vor ein Thema
Vorweg, ein kurzer Ausflug zum Stand der Dinge über die Fashion Industrie. Ein Report der Phuket News vom 15. Mai 2016 warnt davor, dass uns ein weiteres Rana Plaza – also die berüchtigte Textilfabrik in Bangladesch, die 2013 einstürzte und über 1.000 Arbeiterinnen unter sich begrub – kurz bevorsteht. Fabriken mit Schlössern vor den Notausgängen, abgelaufenen Feuerlöschern, und allgemein schlechter Bauweise sind überall in Bangladesch, und in vielen Entwicklungsnationen der Welt, zu finden. Und trotz zweier verschiedener Koalitionen, die die Bedingungen für Arbeiterinnen in Bangladesch verbessern sollten, operieren Sweatshops nach wie vor dort und in anderen Teilen der Welt und suchen nach jedem Schlupfloch, um deine Kleidung bloß noch billiger produzieren zu können. Auf dem Rücken der Arbeiterinnen.
Im Februar letzten Jahres ist in einer Fabrik in Bangladesch ein Feuer ausgebrochen. Weil es morgens ausbrach, noch bevor der Arbeitstag begonnen hatte, wurde niemand getötet. Am 7. Mai 2016 brannte eine Textilfabrik in Indien und kostete drei Menschen das Leben. Nur 11 Tage später passierte das gleiche in einer Fabrik in Kambodscha; einzig weil das Feuer während der Mittagspause ausbrach, wurde niemand getötet. Weitere drei Tage später verloren neun Menschen ihr Leben als zwei verschiedene Feuer in Fabriken in China und Bangladesch ausbrauchen.
Es stimmt also: Menschen sterben, um unsere Kleidung herzustellen.
Die kurze Antwort…
Laut eines Experten, mit dem wir gesprochen haben, benötigt man $4 an Materialkosten, um eine Jeans in Bangladesch herzustellen. Mindestlohn in Bangladesch beträgt $68 im Monat, Schneiderinnen arbeiten dort rund 50 Stunden pro Woche, für eine Jeans benötigt man ungefähr 45 Minuten – also sind die Arbeitskosten mit knapp 45 Cent zu veranschlagen. Cool! $4,45 (also umgerechnet knapp 4,10€) klingt doch super… das beinhaltet aber noch nicht die Nieten, Reißverschlüsse, Fabrik Overhead (also sowas wie Kontrollen, dass die Maschinen richtig funktionieren, dass es Ventilation in der Fabrik gibt, oder, dass Arbeiterinnen menschlich behandelt werden), das Waschen, Finishen, Veredeln, Verschiffen, Zölle, Store Overhead, Marketing, und all die anderen Kleinigkeiten, die man benötigt, um die Jeans in deine Hände gelangen zu lassen.
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„Wenn ich in ein Geschäft gehe und eine Jeans für 4,99€ sehe, dann muss ich mich echt fragen, wie die das machen,“ sagt Ron Balatbat, Head Designer bei AG Jeans. Amie Gaines, Head Designer bei Level 99 Jeans, sagt, dass man nicht unter 25 oder 20€ gehen kann, ohne in Kauf zu nehmen, dass Arbeiterinnen ausgebeutet und gefährdet wurden.
Also ist 20€ das Minimum, was eine Jeans kosten muss, um zumindest theoretisch ethisch hergestellt worden zu sein, ohne, dass der Retailer Verlust macht oder sie runtergesetzt im Lagerverkauf angeboten wird.
Aber natürlich ist es etwas komplizierter
Es gibt andere Arten, wie Jeans töten können.
Allen voran, Giftstoffe. Synthetisches Indigo wird aus Kohlenteer und giftigen Chemikalien hergestellt und, laut eines Berichts im The Guardian, in 90% aller Jeans aus China verwendet. Für die Dokumentation River Blue haben Greenpeace Aktivisten Wasserausflüsse in der Nähe von Denim-Fabriken in Xintang in China untersucht und fanden fünf neurotoxische und krebserregende Schwermetalle – Cadmium, Chromium, Blei, Kupfer, und Quecksilber – in 17 von 21 Wasser- und Sedimentproben. Andere Forscher fanden in Flüssen Mangan, welches mit Gehirnschäden in Verbindung gebracht wird. Laut einer Studie der University of Vermont über Levi’s, basiert der billigste Farbstoff auf Schwefel, ein Stoff, der für diejenigen, die ihm ausgesetzt sind, und die Umwelt, extrem schädlich ist - Schwefel kann sogar nach der Filterung noch im Abwasser nachgewiesen werden. Textilarbeiter leiden vermehrt an Blasen- und Nasenkrebs, wahrscheinlich durch das Benzidin, welches Bestandteil von synthetischen Farbstoffen ist. Weitere Chemikalien wie Natronlauge, Hydrosulfit, und Formaldehyd werden ebenfalls in der Denim-Produktion verwendet.
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Als nächstes haben wir Sandblasting, eine billige, dreckige Methode deiner Jeans den abgetragenen Look zu verleihen. Diese Methode kann für Arbeiterinnen tödlich sein, weil sie durch das Inhalieren der Partikel an Staublunge erkranken können. Die meisten Marken haben aufgehört diese Methode zu verwenden, allerdings hat Al Jazeera herausgefunden, dass sie zumindest letztes Jahr noch für Marken wie American Eagle und Hollister in China Anwendung fand (American Eagle bestritt, dass sie Sandblasting noch verwendeten und versicherte, dass die Methode seit 2011 abgeschafft worden ist).
Dann haben wir noch die ungeheuren Massen an Wasser, die verbraucht werden, um Jeans herzustellen. Oft betrifft es ausgerechnet ausgedörrte Gebiete der Welt, wo Zugang zu Wasser eine Frage von Leben und Tod ist. Die World Wildlife Federation schätzt, dass ein Paar Jeans in ihrem Leben rund 11.000 Liter Wasser verbraucht. Eine durchschnittliche Jeans benötigt rund 41 Liter Wasser allein für den Finishing-Prozess – der Löwenanteil, 49%, geht aber in den Baumwollanbau.
Und zu guter Letzt: Der konventionelle Baumwollanbau arbeitet mit Pestiziden und Düngemitteln, die sich im Grundwasser absetzen. Laut dem Nationalen Gesundheitsinstitut der USA sterben jährlich schätzungsweise 1 Million Menschen durch die Aufnahme von Pestiziden und Landarbeiter sind am meisten betroffen.
…die langwierige Antwort
Giftige Chemikalien, Sandblasting, Wasserverbrauch, Pestizide, und gefährliche Arbeitsbedingungen – wer hätte gedacht, dass die geliebte Jeans so tödlich sein kann? Aber es gibt Wege, wie einige Brands sich dieser Probleme annehmen. Klar, einige verkaufen ihre Jeans für 250€, aber andere sind schon für 100€ zu haben.
Project Just, eine Website die Konsumenten mit Informationen darüber, wie ihre Kleidung hergestellt wird, einbeziehen will, hat gerade ihren ersten Just Aprroved Guide herausgebracht. Für ihre erste Liste haben sie sich die Welt des Denims angesehen und vier Brands, sowie eine ehrenwerte Erwähnung, vorgestellt, die alles richtig machen, um eine Jeans zu kreieren, die nicht toxisch ist, unter sicheren Bedingungen entstanden ist, weniger Wasser verbraucht, Arbeiterinnen fair vergütet, und andere feel-good Faktoren mit sich bringt.
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Lasst und mit den Chemikalien anfangen. Kings of Indigo (fangen bei 100€ an) benutzen natürliches Indigo, also die pflanzenbasierte Farbe, die traditionell für das Färben von Denim benutzt wird. Patagonia verwendet einen neuen, ungiftigen Färbeprozess ohne Indigo, der auch noch weniger Wasser und CO2 verbraucht. Ich weiß, du denkst bei Patagonia nicht an Denim, aber sie haben erstaunlich schöne, super stretchy, fast athleasure-artige Jeans für nur knapp 100€. Levi’s, die von Just für ihre Innovation ausgezeichnet werden, war eine der ersten Marken, die eine Liste mit verbannten Substanzen herausbrachte und auf diese giftigen Stoffe in ihren Produkten (und ihrer Produktion) verzichtet – zusätzlich haben sie sich zum Ziel gesetzt, bis 2020 auf den Ausstoß von giftigen Chemikalien komplett zu verzichten.
Wenn es darum geht den Vintage Look ohne Sandblasting zu bekommen, heißt die Antwort: Laser. Kings of Indigo benutzen diese; die Unisex Line Nudie Jeans setzt auf die neue Technik mit dem fancy namen „ozone processing“, um ihre hellen Waschungen hinzubekommen.
Wenn dir Wasser am Herzen liegt, dann tauche in die Levi’s Water>Less Line ein (pun very much intended) – sie verbraucht pro Hose nur 1,5 Liter Wasser, um den Used Look zu kreieren, im Gegensatz zu 42 Litern, die normalerweise dabei verbraucht werden. Kings of Indigo und Patagonia benutzen ebenfalls wassersparende Methoden. Laut einer Studie zum CO2 Footprint, verbrauchen MUD Jeans 78% weniger Wasser und 61% weniger CO2 in der Produktion, im Vergleich zu gewöhnlichen Jeans. MUD Jeans gibt es ebenfalls für knapp 100€ zu haben.
Um Pestiziden und chemischen Düngemitteln aus dem Weg zu gehen, empfiehlt es sich dringend Jeans zu kaufen, die aus Bio-Baumwolle hergestellt wurden. Patagonia und Nudie nutzen beide 100% Bio-Baumwolle. Kings of Indigo nutzen in 90% ihrer Materialen Bio-Baumwolle mit GOTS-Zertifikat. MUD nutzt Baumwolle die entweder Bio, oder durch die Better Cotton Initiative, eine schnell wachsende Non-Profit, die Bauern lehrt weniger Pestizide und Wasser zu verwenden, zertifiziert ist. Nicht so gut wie Bio-Baumwolle, aber immerhin besser als herkömmliche Baumwolle.
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Und nun das größte Problem: Arbeitersicherheit. Kings of Indigo kennt alle ihre Zulieferer, stellt eine komplette Liste dieser bereit, und zahlt einigen Arbeiterinnen Löhne die Lebenskosten decken. Sie veröffentlichen ihren Bericht auch bei Fair Wear, einer unabhängigen Non-Profit, die mit Firmen und Fabriken zusammenarbeitet, um die Arbeitsbedingungen für Textilarbeiterinnen zu verbessern.
MUD Jeans ist eine B-Corp, sprich, Teil ihrer Philosophie ist, dass sie sie um Menschen und die Umwelt genauso kümmern wie um Profite. Sie veröffentlichen Namen und Herkunftsländer ihrer Zulieferer und auch die Revision einer ihrer Fabriken durch Fair Wear. Nudie kennt jeden ihrer ausgewählten Zulieferer – 69% aller Nudie Jeans werden in Italien hergestellt, und die Brand arbeitet daran, auch ihren Arbeiterinnen in Indien angemessene Löhne zu zahlen. Patagonias Nähproduktion ist durch Fair Trade zertifiziert; auch sie kennen einen Großteil ihrer Zulieferer und arbeiten hart daran transparenter zu werden.
Da hast du deine Antwort: 100€ (Vollpreis) sollteungefähr das Minimum sein, was wir für Jeans ausgeben sollten, um uns ein zumindest wahrscheinlich human hergestelltes Produkt in den Schrank zu hängen. Natürlich garantieren Preise im dreistelligen Bereich nicht, dass deine Jeans nicht unter fragwürdigen Bedingungen hergestellt wurde (leider!), aber sie sind ein guter, erster Indikator, dass keiner für sie sterben musste. Wenn du also eine Jeans findest, die Vollpreis weniger als 100€ kostet - besonders wenn wir von den 20€ Stücken reden – dann zolle deinen Schwestern in China, Bangladesch, und Indien Tribut und lass die Jeans da.
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