Wenn ich morgens aufwache, gilt der erste Griff – nach einem Kuss für meinen Freund –meinem iPhone. Es gab eine Zeit, da hatte ich mir angewöhnt, meinen Herzschrittmacher (wie meine Mutter mein Mobiltelefon nennt) nachts auf Flugmodus zu stellen. Spätestens seit ich wieder rein freiberuflich arbeite, ist dieser Vorsatz Geschichte. Ich checke meinen Instagramfeed ebenso wie meine private Facebookseite, dann scrolle ich die Seiten durch, die ich verwalte, beantworte Anfragen, kommentiere und vergebe hier und da einen Daumen nach oben oder ein Herzchen. Noch bevor ich die Zähne geputzt habe, habe ich zumindest die großen Headlines von Spiegel Online, der Süddeutschen und der Zeit gelesen, die Emails aller vier Emailaccounts abgerufen und garantiert auch die wichtigsten WhatsApp-Nachrichten beantwortet.
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Ich weiß nicht, wie ich zu Orten finden sollte ohne Google Maps und ich gebe zu, ich kenne nicht alle Verbindungen des Berliner Verkehrsnetzes, weil die Deutsche Bahn-App eine meiner besten Freundinnen ist.
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Beruflich gehöre ich zu den digitalen Nomaden; ich kann von überall aus arbeiten: Von meinem Schreibtisch zuhause, einem Flugzeug in die Heimat, vom ICE (der neuerdings kostenloses WiFi hat) aus, einer Beachhütte in Thailand, vom Küchentisch daheim bei meinen Eltern oder eben auch aus der Redaktion. Ich bin ständig online und muss das auch sein, weil ein Großteil meines Jobs sich in sozialen Netzwerken abspielt, weil ich meine Artikel digital schreibe, weil Nummer eins Kommunikationsmittel Emails sind und Netzwerken ohne WhatsApp mühsam und viel zu zeitaufwendig wäre. Ich checke auf der Vernissage am Abend, wo es danach noch hingeht und bei welchem Opening die Freundin gerade ist, die ich seit Wochen nicht geschafft habe zu sehen. Ich weiß nicht, wie ich zu Orten finden sollte ohne Google Maps und ich gebe zu, ich kenne nicht alle Verbindungen des Berliner Verkehrsnetzes, weil die Deutsche Bahn-App eine meiner besten Freundinnen ist. Fakten wie letztere fallen mir auf, wenn mein Handy geklaut wurde, entgegen aller Vorsicht der Akku mal leer ist oder ich es beim Sprung in den Supermarkt, der gleich ums Eck ist, zuhause liegen gelassen habe. Meine Einkaufslisten speichere ich in der App Wunderlist, mit Asana manage ich meine freiberuflichen Aufträge und über den Facebookmessenger und WhatsApp stehe ich in stetigem Kontakt mit der Familie in NRW, meinen Freunden, Kollegen, Auftraggebern. Seriously: Clue informiert mich über den Fortgang meines Zyklus’ und bei ebay-Kleinanzeigen verkaufe ich lästig gewordene Möbel.
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Ich bin auch Freelancer, um mir bestimmte Freiheiten leisten zu können und damit ich eben nicht morgens um neun an meinem Schreibtisch im Office sitzen muss. Internet ist dafür unerlässlich.
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Den gesamten Februar habe ich auf den Philippinen verbracht – ermöglichen kann ich mir das, weil ich zur digital bohème gehöre. Kein Arbeitgeber würde mich mehrmals im Jahr so lange freistellen, aber mein Laptop und ich, wir sind ein echtes Dreamteam – egal ob im bitterkalten Berlin oder auf Palawan, wo die Temperaturen im Februar eher tropisch sind. Die Qualität des WLANs schwankt zwar, aber wofür gibt es philippinische Simkarten? Egal ob 3G oder LTE – ein wenig Kontakt zur Außenwelt, die wichtigsten Emails und Recherchen sind drin. Bis wir uns entschieden haben fünf Tage mit Tao Philippines auf einem Boot zwischen El Nido und Coron zu verbringen. Fünf Tage auf See, die Nächte in einfachen Hütten am Strand von einsamen Inseln – fließend Wasser? Strom? Fehlanzeige. WLAN? Unser Leader Jeff lacht: „Fragt mich einer von euch auf einer der Inseln nach WLAN, ich scheue mich nicht, ich auf eine der Palmen zu schicken und sein Handy in den Himmel zu halten. Ich verrate euch dennoch: Finden werdet ihr da auch keins.“ Ich reise seit ich volljährig bin mit dem Rucksack, war in Myanmar, Indien, Kambodscha und sonst wo. Ich brauche wenig Komfort, liebe die Nähe zu Locals fernab der touristischen Hotspots und genieße auch so gern meine Ruhe beim Backpacken. Ich brauche keine anderen deutschen Touristen, keine Menschen mit denen ich mich immerzu austauschen kann und es reicht mit abends mein lokales Bier mit meinem Reisepartner zu teilen. Wenn Langeweile aufkommt, tut es Uno, MauMau oder Kniffel. Aber fünf Tage ohne verfügbar zu sein? Was wenn es einen Shitstorm auf einer der Seiten meiner Kunden gibt? Einer meiner Auftraggeber mich als Ansprechpartner braucht, eine wichtige Frage hat? Fünf Tage lang wird das schon gehen, denke ich mir. Muss es einfach. Ich bin auch Freelancer, um mir bestimmte Freiheiten leisten zu können und damit ich eben nicht morgens um neun an meinem Schreibtisch im Office sitzen muss. Internet ist dafür unerlässlich. Mein Freund freut sich auf die Zeit: Er ist ebenfalls Freelancer, hat aber zurzeit keine Auftraggeber für die er 24-7 ansprechbar sein muss. Im Briefing von Tao steht ausdrücklich, dass wir Bilder machen dürfen, Fotos, Filme – was immer wir möchten. Aber das manche Augenblicke auch einfach am schönsten sind, wenn man sie nur mit dem eigenen Auge erfasst, sie genießt – Erinnerungen kann einem keiner nehmen, auch wenn sie nirgends abgebildet sind. Ein Grundsatz, den ich mir selbst immer wieder eingebläut habe; ein Argument, welches ich immer gebracht habe in Gesprächen, in denen es darum ging, wieso ich bereit bin viel Geld für Reisen auszugeben. Aber auch ein Aspekt, den man im Alltag schnell vergisst. Es geht also los: 19 Mitreisende sind wir, einige sind ebenfalls Freiberufler, andere Weltreisende oder solche, die sich eine Pause vom Berufsleben gönnen. Allesamt interessante Persönlichkeiten; solche, mit denen man gern redet, sich austauscht; die vernünftige Ansichten vom Leben haben, Vorstellungen, die in vielen Teilen deckungsgleich mit meinen sind. Am Anfang erwische ich mich immer wieder, wie ich auf mein Handy schaue. Vom Flug- in den normalen Modus schalte, um zu schauen, ob wir so kurz vor den großen Küsten nicht doch etwas Empfang haben. Ich mache Fotos davon, wie wir einchecken, wie wir starten, ein Boomerang von den ersten hohen Wellen, eine Story vom Lunch an Deck. Kann ich zwar gerade niemandem zeigen, aber ist doch alles so sehenswert.
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Das lässt nach. Ich merke, wie ich zusehends entspanne – und dabei lasse ich nicht nur den Handyeinsatz schleifen. Meine Kamera bleibt fast durchgängig sicher im Drybag verstaut. Die extra gekaufte Unterwasser-Einwegkamera nehme ich ungeöffnet wieder mit nach Deutschland: Nach dem ersten Blick unter Wasser beim Schnorcheln bin ich so fasziniert, dass es mir schlichtweg zu stressig ist, das Ding mitzunehmen – und sind wir mal ehrlich, wer guckt sich den Kram denn eigentlich im Nachhinein noch an?
Zeitangaben sind bei Tao Philippines Fehlanzeige, das wurde von Anfang an so kommuniziert; anfangs macht trotzdem der ein oder andere den Fehler und fragt Jeff, wann wir am nächsten Stopp sind. „Nach dem Frühstück“, lautet die Antwort. Und wann gibt es Frühstück? „Wenn es fertig ist.“ Wir schnorcheln „nach dem Lunch“, essen zu Abend „wenn wir im Camp angekommen sind“, stehen auf, „wenn der Hahn kräht“. Und er kräht wirklich: Manchmal um sechs, manchmal erst um halb acht. Zeit ist unwichtig während unser Expedition. Und es stimmt, man verliert völlig das Zeitgefühl. Irgendwann sagt jemand, heute sei sein Geburtstag. Ich rechne zurück und merke, dass Dienstag sein muss. Schon nach dem ersten Tag fühlt es sich ganz normal an, sich einfach treiben zu lassen. Mehrmals am Tag halten wir, um zu schwimmen, zu schnorcheln, kleine Inseln zu entdecken. Am Abend finden wir uns jeweils in einem anderen Basecamp ein – es gibt Jungle Juice, philippinischen Tanduay-Rum, frischen Ananassaft und ein bisschen „Magic“ – man isst, was die Köche auf den Tisch zaubern und verbringt den Abend mit guten Gesprächen, Trinkspielen, Basketballmatches und damit seine Hütte einzurichten – nach einem Tag sitzt jeder Handgriff: Moskitonetz, Matratzen, Bettbezug, Kissen, Taschenlampe – mehr braucht man eigentlich nicht. Ich vermisse kaum etwas. Ein bisschen die lustigen Mails aus dem Familienchat. Ein Gläschen philippinischen Ron de Papa, den ich während unserer Reise lieb gewonnen habe, denn der Jungle Juice macht wirklich Kopfweh(sorry guys), ein bisschen auch das Aufschreiben meiner Erlebnisse – aber das geht auch in einem Notizbuch anstatt im Handy. Und die warme Dusche. Aber hey – sonst wäre es ja kein Abenteuer.
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Die Reise ist nicht nur Spaß: Tao Philippines hat einen tieferen Sinn. Jeff und seine Crew stammen fast alle von den Inseln, die wir besuchen. Sie zeigen uns das Leben der Inselvölker und das Engagement, welches Tao an den Tag legt, um diese zu unterstützen. Im größten Base Camp werden Schweine, Enten, Hühner gezüchtet. Diese werden zur Mast an die Communities verkauft und am Ende wieder zurück erstanden, um Gäste wie uns damit zu bekochen. Nach Taifunen und Tsunamis stattet Tao die Fischer der Communities mit stabilen Booten aus, wenn die ihrigen zerstört wurden. Sie schulen um zu Schreinern und Masseurinnen – Hilfe zur Selbsthilfe wird groß geschrieben. Themen, die auch beruflich interessant für mich sind, dennoch genieße ich, sie ganz ohne Devices und direkten Kontakt zu Redaktion auf mich wirken zu lassen.
An einem Abend feiern wir, trinken gemeinsam, singen Karaoke in einer verlassenen Hütte am Strand. Bilder und Eindrücke, die sich hervorragend in meinen Instagram Stories machen würden – aber so eben für immer in meiner Erinnerung existieren. Was mir auffällt: Mein heißgeliebtes iPhone braucht kaum Akku. Schleppe ich sonst tendenziell meine Powerbank mit mir herum, kommt mein Mobiltelefon quasi mit einer Ladung aus. Ich bin entspannter, weil ich nicht stetig aufs Handy schauen muss. Ich verweile länger an Orten, bleibe in Konversationen aufmerksam und kriege keine Herz-Rhythmusstörungen, weil Emails von unerwünschten Absendern kommen.
Nach fünf Tagen ist man dann aber doch neugierig. Als wir von Bord gehen habe ich etliche Nachrichten, auch beunruhigte, weil für die Region eine Tsunamiwarnung galt, während wir auf See waren. Niemand hat davon etwas mitbekommen während unserer Expedition. Vielleicht wären wir beunruhigt gewesen, hätten uns die Nachfragen erreicht. So haben sie der Entspannung keinen Abbruch getan. Und ich verrate euch: Es tut gut, das Handy mal Handy sein zu lassen. Emailabsender auch mal ein paar Tage auf die Antworten warten zu lassen. Durchzuatmen. Ich weiß natürlich, dass der Alltag mich schnell wieder hat, aber für mich persönlich gibt es nun ein paar Regeln, die ich versuchen werde einzuhalten:
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1. Das iPhone nicht mit ins Bett nehmen, sondern die Nacht über einfach mal ein bisschen entfernt hinlegen (so ist das Handydisplay auch nicht das letzte, was man am Abend sieht).
2. Im Restaurant mit Freunden das Handy einfach mal auf das Display legen, so dass man nicht sieht wenn Nachrichten eingehen. Ein schnelles Bild vom Essen ist erlaubt, aber keine Parallelgespräche während des Lunchs/Dinners.
3. Anstatt ellenlanger Diskussionen und rudimentärer Gespräche via WhatsApp einfach mal anrufen. Ist persönlicher und stärkt zwischenmenschliche Beziehungen.
Ich hatte Respekt vor den 5 Tagen an Bord ohne Kontakt zur Außenwelt. Aber sie haben mir gut getan und mir gezeigt, wir sind auch so gestresst und immer unter Strom, weil wir Stress selbst produzieren. Wir haben das Gefühl immer erreichbar sein zu müssen, immer on air, Ansprechpartner 24-7. Bezahlen tut uns dafür niemand und die Gesundheit, die dabei auf der Strecke bleiben kann, kann uns ebenfalls keiner ersetzen. Dennoch tut es gut, sich in der heutigen Zeit ohne viel Aufwand bei der Familie melden zu können und zu sagen "Hey, es geht mir super nach fünf Tagen Abgeschiedenheit". Und für jemanden wie mich, der gern viel arbeitet, ist es auch schön nach fünf Tagen eine Kundenmail lesen zu dürfen. Dennoch: Ein bisschen Reduzieren hat noch keinem geschadet. Probiert es aus und genießt es – I promise.
Alle Bilder außer dem letzten: Marvin Schoenberg.