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Content in Corona-Zeiten: Ein Instagram-Account stellt Influencer*innen bloß

Photographed by Meg O'Donnell.
Wie sehr stellt dieses Jahr deine Prioritäten auf den Kopf? Machst du dir jetzt Gedanken über Ungerechtigkeiten und gesellschaftliche Probleme, die dich früher nie beschäftigt haben? Gibst du dein Geld immer noch genauso aus wie vor Corona? Haben sich deine großen Karrierepläne, deine persönlichen Lebensziele geändert?
Für viele von uns sind die Social-Media-Stars und Influencer*innen, die wir vor der Pandemie noch innig geliebt haben (okay, bei manchen war es eine Hassliebe), plötzlich auf der Prioritätenliste nach ganz unten gerutscht. Im Fall einiger dieser Promis ist es fast schon unerträglich geworden, ihnen zu folgen.
Manche stürzen sich auf jeden neuen Hashtag-Trend, der eigentlich nur als Ausrede dafür dient, ein Selfie zu posten. Einige können mit ihren vermeintlich gut gemeinten Aktionen sogar Menschen schaden – indem sie zum Beispiel für den perfekten Post überfüllte Veranstaltungen besuchen oder #BlackLivesMatter mit nett gemeinten, aber letztlich sinnlosen schwarzen Quadraten überfluten. Da fühlt es sich schnell verwerflich an, ihnen als Follower zusätzlich Geld ins Bankkonto zu spülen. Die scheinbar einfachste Lösung ist, auf „Nicht mehr folgen“ zu klicken und mit alldem abzuschließen. Doch manchen reicht das nicht.
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Eine kleine, aber stetig wachsende Zahl an Social-Media-User*innen hat sich das Ziel gesetzt, fragwürdige Aktionen von Influencer*innen bloßzustellen – ob es dabei nun um heimlich bearbeitete Bilder geht oder um Verhaltensweisen, mit denen sie andere während der Pandemie aktiv gefährden. Einer der beliebtesten dieser Accounts ist InfluencersTruth, der aktuell über 73.000 Insta-Follower hat und ähnlich aufgebaut ist wie Diet Prada, ein Account, der einen kritischen Blick auf die Modebranche wirft.

Die Motivation hinter InfluencersTruth warrein emotional, erzählt dessen Gründerin C., die anonym bleiben möchte. Nachdemihr aufgefallen war, wie einige berühmte Influencer*innen – mit Millionen vonFollowern, großen Sponsoren-Deals und eigenen erfolgreichen Brands – mitCOVID-19 umgingen, wollte sie sich dazu äußern. „Ich erstellte InfluencersTruthin der ersten Aprilwoche, während die Pandemie in New York City gerade aufihrem Höhepunkt war. Einer meiner Freunde lag zu dem Zeitpunkt mit Corona imKrankenhaus. Er starb. Was ich währenddessen auf Instagram von Influencer*innenzu sehen bekam, war einfach ekelhaft. Deren fehlende Selbstwahrnehmung war undist erschreckend.“

Während vieles von dem, was InfluencersTruth beobachtet und kommentiert, theoretisch jedem in den Original-Posts auffallen könnte, bekommt der Account manchmal auch von seinen Followern geheime Hinweise zugeschickt – von denen einige, so C., einfach zu gemein sind, um sie zu posten. „Ich versuche, nicht zu bissig zu sein“, erklärt sie. „Aber ich denke, wir alle haben es irgendwie satt, von diesen Influencer*innen eine Welt präsentiert zu bekommen, die einfach nicht echt ist.“
InfluencersTruth und Diet Prada sind übrigens nicht die ersten “Internet-Wachhunde“. Zum Beispiel wäre da noch Get Off My Internets (kurz: GOMI), ein ziemlich fieses Forum, in dem sich User*innen anonym über Blogger*innen, Vlogger*innen und wer auch immer sie noch gerade im Internet nervte, auslassen konnten. Reddit hat einen ähnlichen Subreddit namens BlogSnark (und es gibt sogar noch einen Subreddit namens „blogsnarkmetasnark: a place to snark on the snarkers“, denn aus jedem Kritiker und jeder Kritikerin wird scheinbar irgendwann jemand, der oder die kritisiert wird). Während GOMI und Reddit aber auch pure Gerüchte und Spekulation zulassen, forschen Accounts wie InfluencersTruth für gewöhnlich vor dem Posten genauer nach. „Ich glaube, diese Influencer*innen unterschätzen Google manchmal. Man findet dort fast alles“, sagt C.
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Auch die Copywriterin, freie Journalistin und ehemalige Refinery29-Angestellte Sophie Ross hat es sich zur Aufgabe gemacht, verwerfliches Influencer*innen-Verhalten anzuprangern – und zwar auf Twitter, wo sie etwa 11.000 Follower hat. „Viele Menschen haben keine Lust mehr auf dieses Getue, vor allem jetzt“, sagt sie „Wir erleben gerade einen kulturellen Wandel. Die Leute lassen sich von dem Bullshit nicht mehr blenden. Manche Influencer*innen geben mit ihren Chanel-Taschen an, während die Arbeitslosenquote immer weiter steigt… Hier wird einfach extrem mit Privilegien geprahlt.“
Tatsächlich fühlt sich das, was vorher vielleicht als unterhaltsamer Voyeurismus durchging – ein Fenster in die Welt der Superprivilegierten mit ihren geschenkten Designer-Handtaschen und Häusern in den Hamptons –, heute unglaublich unangebracht an. Vor allem, wenn Influencer*innen versuchen, zweigleisig zu fahren, indem sie heuchlerisch woken Social-Justice-Content direkt neben Unboxing-Videos mit dem Hashtag #Anzeige posten. Wir haben diese Community immer mehr satt, und allmählich fällt es auch anderen auf. Immer wieder liest man Headlines à la Marie Claires “Is This The End of The Influencer?“ oder Vanity Fairs „Is This The End of Influencing As We Know It?“ oder WiredsCould The Coronavirus Kill Influencer Culture?“.
Es wäre vielleicht voreilig, diese Gegenreaktionen als definitives Ende der Influencer*innen-Kultur zu deuten. Sicher läuft sie momentan auf Sparflamme, vor allem, weil aktuell wohl nur großen Brands ein nennenswertes Marketing-Budget zur Verfügung steht. Dank unseres runtergeschraubten Soziallebens verbringen wir momentan aber mehr Zeit auf Social Media denn je: Laut Daten von eMarketer wird sie dieses Jahr voraussichtlich um 8,8 Prozent steigen – für den Content-Hunger ist also kein Ende in Sicht. Die Influencer-Kultur ist noch nicht tot, aber vielleicht steht uns zumindest das Ende ihrer Ära des Erfolgs um jeden Preis bevor.
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Weder Ross noch InfluencersTruth haben bisher viel Gegenwind bekommen – vielleicht, weil ihre Posts auf der Realität und konkreten Problemen der Influencer*innen-Kultur aufbauen, nicht auf Lästern um des Lästerns Willen. C. erzählt, sie habe schon Drohungen von unzufriedenen Influencer*innen bekommen, und auch Ross ist das nicht fremd. „Das ist mir egal“, sagt sie. „Manche warnen mich und sagen, ich würde es mir mit vielen Leuten verscherzen. Aber ich kann gut ohne die leben. Mit den Personen, die ich auf Twitter bloßstelle, möchte ich ohnehin nichts weiter zu tun haben.“
Zwar hat InfluencersTruth nicht ansatzweise so viele Follower wie die meisten Influencer*innen, über die C. postet. Dennoch bringt sie mit ihren Posts eine Unterhaltung in Gang, die auf jeden Fall unsere Aufmerksamkeit verdient. Wir sollten hohe Erwartungen an diejenigen haben, die glauben, Leben zu führen, Ideen zu haben und Meinungen zu vertreten, die es wert sind, gesehen zu werden. Schließlich wünschen wir uns auch in anderen Lebensbereichen Transparenz, Verantwortung und Authentizität. Und ebenso wie Unternehmen und Brands müssen sich eben auch Influencer*innen und Social-Media-Stars der Nachfrage anpassen, um nach 2020 relevant zu bleiben.
„Influencer*innen sollten nicht darauf warten, dass irgendetwas in Vergessenheit gerät“, rät Ross allen, die in den letzten Monaten einen Shitstorm abbekommen haben. „Ich denke, sowas solltest du direkt angehen – schließlich fragen sich deine Follower, was los ist. Sie verdienen deine Ehrlichkeit. Sei doch einfach mal kurz ganz echt.“
Aber wissen diejenigen, die schon jahrelang jeden Aspekt ihres Lebens retuschieren, überhaupt noch, wie “echt“ aussieht? Und können sich Influencer*innen eigentlich entschuldigen oder rebranden, ohne dabei so zu wirken, als wollten sie einfach bloß möglichst wenige Follower verlieren? Immer wieder wird darüber gelacht, wenn das nächste Entschuldigungsvideo inklusive Messy Bun und Brille gepostet wird. Doch für diejenigen, die diese Videos drehen, kann es niederschmetternd sein, dass ihre über Jahre hinweg kreierte öffentliche Persönlichkeit nicht mehr gut ankommt und sie mit ihr anderen vielleicht sogar wehtun.
Es ist allerdings Fakt, dass es ein großes Privileg ist, ein eigenes Publikum zu haben – niemand hat einen Anspruch darauf. Es gibt so viele Menschen, die ihre Social-Media-Kanäle nutzen, um wichtige Themen rund um soziale Gerechtigkeit anzusprechen, Diversity zu feiern oder einfach andere zum Lachen zu bringen. Und viele von ihnen hätten die Vorteile, die Influencer*innen mit „zurückhaltenderem“ oder brand-freundlicherem Content schon seit Langem genießen, vielleicht eher verdient.
Aber auch traditionellere Influencer*innen, die sich auf Produktempfehlungen und Lifestyle-Posts beschränken, können eine authentische Beziehung zu ihren Followern aufbauen. „Ich mag Grace Atwood sehr gerne“, sagt C. „Meiner Meinung nach ist sie sehr offen und gibt sich viel Mühe – im Gegensatz zu anderen Influencer*innen, die einfach Fotos von sich posten.“ Abgesehen davon glaubt C. aber nicht, dass sich die Influencer*innen-Kultur als Ganzes reformieren lässt. „Ich finde, zumindest ihre Relevanz sollte sich ändern. Wenn wir alle aufhören, zu folgen, zu swipen und zu verherrlichen, wäre unsere Gesellschaft bestimmt gesünder und glücklicher.“

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