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Ich war Beauty-Influencerin – und plötzlich völlig pleite

Foto: Anna Jay.
Vielleicht kennst du Annie Thomson (a.k.a. @a_day_in_the_life_of_annie auf Instagram) für ihre lustigen und sympathischen Beauty-Videos. Ob du rausfinden willst, wie gut dieses oder jenes virale Haarprodukt wirklich ist oder auf der Suche nach Geschenkideen für Make-up-Fans bist: All das findest du auf Annies Seite. Womit du dort aber vielleicht eher nicht rechnest, ist ein ehrlicher Instagram-Post, in dem Annie erklärt, wie sie in einem Jahr rund 7.000 Pfund (etwa 8.100 Euro) ausgegeben hat – nur um ihren Beauty-Blog auf Instagram aufrechtzuerhalten.
Es war für sie ein riesiger Schock, schreibt Annie auf Instagram, als sie bemerkte, wie viel sie tatsächlich ausgegeben hatte. „50 Euro hier, 100 Euro da wirken für viele Leute vielleicht nicht wie viel Geld“, erzählt sie. Das Ganze addierte sich aber schnell. „Wenn eine Brand sechs neue Lippenstifte launchte, konnte ich nicht einfach eine normale Kundin sein und mir einen oder zwei davon aussuchen.“ Annie musste sie alle haben. „Ich machte ein Foto für Instagram. Danach wanderten die Produkte in meine Make-up-Kiste, weil sie dann eben ‚alt‘ waren.“
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Viele Mikro-Beauty-Influencer wie Annie fingen während der Pandemie an, auf Instagram zu posten. „2020, als ich meinen Account startete, waren alle noch im Lockdown“, erklärt sie. Zum Glück wirkten sich diese Lockdowns nicht auf ihre finanzielle Situation aus. Dadurch hatte sie ein bisschen mehr Geld als sonst zur Verfügung, weil sie eben nichts mehr unternehmen konnte. „Wenn dir langweilig ist, shoppst du vielleicht online“, sagt sie, und aus dem kleinen Hobby, ab und an mal ein Produkt auf ihrem Account zu reviewen, wurde schnell eine Besessenheit.
Blogger:innen stehen im Zentrum dieses endlosen Kreislaufs. Wir erwarten von ihnen, uns immer das Neueste zu präsentieren. Und genau deswegen ist Annie nicht die Einzige, die ihr Erspartes für Beauty-Produkte ausgibt, im in den sozialen Medien „mithalten“ zu können.
Du brauchst dich nur mal kurz durch Instagram oder TikTok zu scrollen, um festzustellen, dass es inzwischen unzähligen Beauty-Content-Creators so geht wie Annie: Sie stecken in potenziell gefährlichen finanziellen Situationen, geben vielleicht einen Großteil (oder alles) ihres Ersparten für Produkte aus oder stürzen sich sogar in Schulden, um den „Durchbruch“ zu schaffen. „Wenn du pleite gehst, weil du Influencerin werden willst“, schrieb zum Beispiel @christianchanel unter ein virales TikTok-Video mit Tausenden Views und vielen solidarischen Kommentaren. Und auch @char_nella47 erzählt davon, schon viele beliebte Influencer:innen „in Schulden ertrinken“ gesehen zu haben, nur um möglichst luxuriös rüberzukommen.
Klar schaffen einige den Durchbruch. Viele bekannte Beauty-Stars (wie Mikayla Nogueira, Abby Roberts und Amelia Olivia, zum Beispiel) haben Millionen von Fans und Follower:innen, lukrative Markendeals und -partnerschaften. Es ist daher kein Wunder, dass so viele von uns ihre Beauty-Sucht gern in ein Business verwandeln würden. Genau deswegen verschwimmt die Grenze zwischen „normalen“ Kund:innen und Mikro-Influencer:innen immer stärker. Mit den richtigen Ressourcen kann inzwischen jede:r influencen. Tatsächlich neigen TikTok-Nutzer:innen mit 2,4-facher Wahrscheinlichkeit dazu, nach dem Kauf eines Produkt einen Post dazu zu erstellen und die Marke zu verlinken, verglichen mit Nutzer:innen anderer Social-Media-Plattformen. Dir so den Weg zu deinem Traumjob zu erarbeiten, kann aber schnell zur Last werden.
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@christianchanel Over 1k in a day on my beauty routine alone 🥹 I’m about to go NATURAL 😭 #brokelife ♬ original sound - DeAndre Brown
„Ich habe schon Geld von meinem Sparkonto genommen und mein Konto sogar überzogen, um mir Beauty-Produkte leisten zu können, wenn ich gerade kein regelmäßiges monatliches Einkommen hatte“, erzählt auch die Beauty-Bloggerin Masha Solechnik (@beautefocus auf Instagram). „Es war ein Albtraum. Ich war total unruhig deswegen, fühlte mich aber doch dazu gezwungen, diese Sachen zu kaufen, von denen ich wusste, dass sie auf Instagram gut funktionieren würden.“
Auch Annie gibt zu, dass sie überflüssige Dinge kauft, um sich online „akzeptiert“ zu fühlen. Immerhin fühlen sich Likes, Follower:innen und Kommentare wie eine Belohnung an. Die Aufmerksamkeit, die Annie für ihre Reviews zu neu gekauften Lidschatten-Paletten, Lippenstiften und Skincare bekam, war für sie Grund genug, immer weiter Content zu produzieren.
Das Problem dabei: Große Beauty-Influencer:innen bekommen ihre Produkte oft von Brands geschenkt, die sich dadurch Werbung auf deren Social-Kanälen erhoffen. Diese Creators bekommen demnach Hilfe – im Gegensatz zu vielen Mikro-Influencer:innen, die sich all das selbst kaufen müssen. Und Beauty ist nicht günstig. Insbesondere im letzten Jahr haben viele Marken, darunter The Inkey List und The Ordinary, die Preise nochmal gehoben. Beauty-Produkte sind heute so teuer wie seit 2016 nicht mehr, ergab ein neuer Bericht

Ich kaufte andauernd das, was gerade beliebt war. Dadurch bekam ich irgendwann 1.000 Follower:innen, dann 2.000.

ANNIE THOMSON
Eine anonyme ehemalige Beauty-Bloggerin erzählt uns, die meisten Beauty-Influencer:innen, die sie bei Launch-Events und Partys getroffen habe, seien schon wohlhabend aufgewachsen und hätten demnach genug Geld zur Verfügung gehabt, um sich die Produkte für ihre Beauty-Karrieren leisten zu können. Wer jedoch kein so prall gefülltes Konto zur Verfügung hat, geht mit dem Beauty-Influencing ein riskantes Spiel ein – vor allem, wenn du nicht dauernd Gratis-Proben zugeschickt bekommst.
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Vielleicht ist dafür auch der Algorithmus mitverantwortlich. Masha erklärt, dass sich Beauty-Blogger:innen dazu verpflichtet fühlen, trendige neue Produkte zu kaufen, die auf Instagram und TikTok gerade in aller Munde sind, um unter Beweis zu stellen, dass sie total auf dem Laufenden sind. „Wenn du willst, dass deine Plattform wächst, brauchst du die beliebtesten Produkte oder die neuesten Launches. Der Algorithmus bevorzugt diese Art von Content“, sagt sie. Tatsächlich: Wenn du dich kurz durch TikTok scrollst, stößt du schnell auf zahlreiche Trendprodukte wie Charlotte Tilbury Hollywood Flawless Filter (31 Millionen Views), Caudalie Detox Mask (32 Millionen) und Dior Backstage Rosy Glow Blush (37 Millionen). 
Und nicht nur Blogger:innen und Content Creators stecken viel Geld in Beauty-Produkte, sondern wir alle: Bloomberg zufolge wird auf TikTok immer mehr ausgegeben. Schätzungen zufolge waren es 2022 rund 2 Milliarden US-Dollar (etwa 1,9 Milliarden Euro) – und 2023 sollen es schon atemberaubende 23 Milliarden Dollar (etwa 21,7 Milliarden Euro) sein. Und da Social Media so designt sind, dass du immer weiter scrollen sollst, ist es kaum verwunderlich, dass wir irgendwann kaum noch zwischen Beauty-Hobby und -Sucht unterscheiden können.
Das kann kritisch werden, da die sozialen Medien enorm beeinflussen können, wie wir uns selbst bewerten, erklärt der Psychologe Robert Common. „Schon in ihrem Kern sind die sozialen Medien dazu designt, Konsum und Materialismus zu fördern“, sagt er. Und das kennt auch Annie: Immerhin fühlte sie sich von den Netzwerken dazu gezwungen, bestimmte Produkte zu kaufen. „Ich kaufte andauernd das, was gerade beliebt war. Dadurch bekam ich irgendwann 1.000 Follower:innen, dann 2.000.“ Sie glaubte, durch die modernsten Produkte immer weitere Follower:innen dazuzugewinnen. Diese falsche Bestätigung ließ sie immer mehr Geld ausgeben.
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„Den Leuten wird vermittelt, der nächste Kauf – ob nun ein neues Beauty-Produkt oder ein Kleidungsstück – würde ihnen die Erfüllung bringen“, ergänzt Robert. „Das stimmt natürlich nie.“ Jede Woche bekam Annie diverse Pakete von teuren Brands geliefert, über die sie sich früher gefreut hatte. Je mehr sie aber ausgab, desto unwohler fühlte sie sich: „Das Einzige, was ich irgendwann tun konnte, war, meinen Kopf in den Sand zu stecken und immer mehr zu kaufen, weil ich mithalten wollte.“

Je mehr Likes du bekommst, desto befriedigender ist das Ganze.

Annie thomson
Auch die Psychologin Dr. Rina Bajaj sieht Social Media vor allem als Mittel für soziale Kontakte. „Dadurch ergibt sich daraus das menschliche Bedürfnis, anerkannt, gemocht und aus evolutionärer Sicht Teil der ‚Kerngruppe‘ zu sein“, erklärt sie. Für Beauty-Blogger:innen ist diese Gruppe die Online-Community mit dem Motto „Mehr ist mehr“. Das schadet einerseits der Umwelt, weil durch diese Konsumhaltung extrem viel Abfall entsteht: Laut Zero Waste wurden allein im Jahr 2018 120 Milliarden Kosmetikverpackungen produziert. Andererseits stürzt es viele Leute gleichzeitig in ein tiefes finanzielles Loch.
Für viele – wie Annie und Masha – wurde das einst spaßige, harmlose Hobby schnell zur Schuldenfalle. „Je mehr Likes du bekommst, desto befriedigender ist das Ganze“, sagt Annie. Dieser Kreislauf des Geldausgebens und Postens übte aber irgendwann enormen Druck auf ihr Bankkonto aus – von ihrer geistigen Gesundheit mal ganz zu schweigen.
Und genau dann kann alles eskalieren, warnen Psycholog:innen. „Es kann schwierig sein, zwischen einem Hobby, dem wir gern Zeit und andere Ressourcen widmen, und einer Aktivität zu unterscheiden, aus der eine Gewohnheit oder sogar eine Sucht wird“, erklärt Robert. „Wenn Sucht im Spiel ist, folgt darauf ein Teufelskreis aus Scham und Schuldgefühlen. Um sich vor diesen Gefühlen zu drücken, erfinden viele Betroffene Ausreden, mit denen sie rechtfertigen wollen, warum sie das Geld ausgeben müssen.“
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Zum Nachteil vieler kleinerer Beauty-Influencer:innen wird diese Sucht oft als „Begeisterung“ verharmlost und sogar ermutigt. „Die andauernd neuen Trends können dafür sorgen, dass die Leute weiterhin versuchen, relevant zu bleiben“, meint Dr. Bajaj. „Dann bemühen sie sich oft unbewusst, sich selbst besser zu fühlen oder sich einzureden, ja noch die Kontrolle über das eigene Geld zu haben.“ Vielen Betroffenen fällt es leichter, sagt sie, die Augen gegenüber der Gefahren zu verschließen oder sich etwas einzureden wie: „Ich schade ja niemandem“, oder: „Sobald mein Account erfolgreich ist, verdiene ich das ganze Geld wieder zurück“, oder: „Das ist eben eine Investition.“

Die paar Extra-Likes, die du für ein Foto bekommst, sind im echten Leben eigentlich gar nichts wert. Ein Loch im Bankkonto hingegen schon – du musst so viel mehr arbeiten, um das alles zurückzuzahlen.

Annie thomson
Da helfen leider auch nicht die „Kauf jetzt, bezahl später“-Modelle, die immer beliebter werden. Für Annie war das ein großes Problem. „Erst sah es gar nicht so dramatisch aus, weil ich keine großen Summen auf einmal ausgab. Da waren nicht mit einem Mal 500 Euro weg“, erklärt sie. Stattdessen zahlte sie über einen „Buy now, pay later“-Anbieter drei Monate hinweg 100 Euro, über einen anderen weitere 100, „dann nochmal 100 Euro Kredit via PayPal, 100 Euro von meiner EC-Karte und 100 Euro von meiner Kreditkarte“. 
Auch die Expert:innen erkennen darin ein Problem. Diese Bezahlmodelle sind  zwar nützlich, weil sie Menschen Käufe ermöglichen, die sie sich sonst nie leisten könnten. Dennoch haben sie eine enorme psychologische Schattenseite, warnt Catherine Morgan, Finanzberaterin mit Trauma-Spezialisierung. „Dadurch wird das unangenehme Gefühl auf ein späteres Datum verschoben“, erklärt sie. So entstehen Verhaltensmuster, die das übermäßige Geldausgeben erleichtern.
Obwohl viele nicht dasselbe Glück haben, gelang es Annie, ihre Finanzen in den Griff zu bekommen. Im ersten Schritt musste sie sich dafür erstmal eingestehen, dass sie ein Problem hatte. „Ich holte alle meine Skincare- und Make-up-Produkte raus und sah mir alles an. Ehrlich gesagt fühlte ich mich dabei beschissen. Das waren so viele Produkte – das könnte kein einzelner Mensch je alles verbrauchen.“ Jetzt versucht Annie, nicht über ihre Verhältnisse zu leben. „Die paar Extra-Likes, die du für ein Foto bekommst, sind im echten Leben eigentlich gar nichts wert. Ein Loch im Bankkonto hingegen schon – du musst so viel mehr arbeiten, um das alles zurückzuzahlen.“ Auch Masha sagt, sie musste irgendwann einen „kalten Entzug“ machen und endlich akzeptieren, wie stark sich ihre Ausgaben für Beauty-Produkte auf ihre Ersparnisse ausgewirkt hatten.
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Die Instagram-Beauty-Bloggerin Jessica Wallace postet viel zu echter Hauttextur, Skincare und Selbstliebe. Sie gibt inzwischen weniger Geld für ihre Produkte aus als früher – und hat dennoch mehr Follower:innen dazugewonnen. „Ich benutze meinen Account jetzt definitiv anders“, sagt sie. „Und ich weiß, dass ich nicht die neuesten Produkte brauche, um reinzupassen.“ Stattdessen benutzt sie die Dinge, die sie bereits besitzt, oder wartet, bis die leer sind, um sich neue zu kaufen. Wenn man bedenkt, wie stark sich die Kosmetik-Branche und ihr Abfall auf die Umwelt auswirken – mal ganz von der mentalen Auswirkung des Drucks abgesehen, in Sachen Beauty immer „up to date“ sein zu müssen –, könnten sich zahlreiche Influencer:innen viel von Jessicas Herangehensweise abgucken.
Zu guter Letzt sollten wir unbedingt bedenken, dass Social Media ein zutiefst inszeniertes Universum ist und Überkonsum nicht automatisch Erfolg verspricht. „Ich finde, eine von Instagrams stärksten toxischen Eigenschaften ist der immense Druck, den viele spüren, wenn sie diese ‚perfekten Leben‘ anderer Leute sehen – woraufhin sie glauben, sie bräuchten unbedingt das neueste Produkt, um ein besseres Leben zu führen“, meint Annie. Sie findet es wichtig, nur denen zu folgen, von denen du dir sicher bist, dass sie nur reale, ungefilterte Meinungen mit dir teilen. Und ob du nun selbst Influencer:in bist oder lediglich Beauty-Fan – Jessicas Worte sollten wir uns alle zu Herzen nehmen: „Kein Beauty-Produkt ist es jemals wert, dich dafür in Schulden zu stürzen.“
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Wenn du selbst Schulden hast und darunter leidest oder eine Person kennst, die eventuell Hilfe brauchen könnte, kannst du die Hotline der TelefonSeelsorge unter 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222 anrufen oder den Chat der TelefonSeelsorge nutzen.
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