Anfangs sei es ein „soziales Experiment“ gewesen sagt Jasmin Freyjadóttir. Jetzt ist es bitterer Ernst. Seit vier Monaten ist Jasmin wohnungslos. Die 34-Jährige wohnt bei Freunden: Mal auf dem Sofa, mal im Kinderzimmer, mal im Doppelbett.
Ende August kündigte ihre Mitbewohnerin den Mietvertrag. Jasmin war nur zur Untermiete und plötzlich ohne Dach über den Kopf. Das Angebot, in eine befreundete WG zu ziehen, zerbröselte wenig Tage vor ihrem Auszug. Was tun?
Kurzentschlossen lagerte sie ihre Sachen ein. Drei Quadratmeter für Matratze, Surfboard, Nähmaschine und zwölf Kartons. „Das war die totale Befreiung“, sagt Jasmin. Sie wusste ihre Sachen gut untergebracht: „Ein Problem weniger!“ Mit einem Rollkoffer, einer blauen Ikea-Tasche, Ukulele und Hund Chinelo findet sie bei einem Freund Unterschlupf. Jasmin und Chinelo freuen sich – dessen Freundin weniger. Nach zehn Tagen zieht sie aus.
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Jasmin sitzt im Café Oslo am Berliner Nordbahnhof, sie nippt an ihrem Tee und wirkt geschafft. Was als „soziales Experiment“ begann, ist nach vier Monaten zur Belastung geworden. „Inzwischen ist es eher eine Mischung aus Coachsurfing und der Angst vor Obdachlosigkeit“, sagt sie matt.
Die gelernte Friseurin verliert langsam die Hoffnung. Der Berliner Wohnungsmarkt ist extrem geworden. Der Berliner Mietspiegel 2017 zeigt: Die Durchschnittsmiete (kalt) liegt bei 6,39 Euro pro Quadratmeter monatlich. Um 9,4 Prozent sind die Mieten im Schnitt seit dem Mietspiegel 2015 gestiegen. Doch in beliebten Lagen wie Kreuzberg, Prenzlauer Berg oder Mitte müssen die Mieter noch viel tiefer in die Tasche greifen. „Bei den unteren Einkommen trägt die Mietenentwicklung wesentlich zur Armut bei“, erklärt Reiner Wild, der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins. Wie viele inzwischen obdachlos geworden sind, wird leider nicht erhoben.
Konkret heißt das: Jasmin war gerade bei einer Besichtung. Einzimmerwohnung, 36 Quadratmeter für stolze 580 Euro. „Und trotzdem kommen 60 Leute zur Besichtigung“, sagt sie. Günstiger Wohnraum ist knapp – und stark umkämpft. Jasmin hat in Mosambik und Australien gelebt und arbeitet neben ihrer Arbeit als Friseurin auch als Coach. Sie ist enttäuscht, dass sie keine Wohnung findet. „Ich möchte auch noch Ansprüche haben dürfen“, sagt sie leise. Aber inzwischen sind die auf ein Minimum gesunken, denn nach vier Monaten und acht Wohnungen ist sie mürbe geworden.
„Ich habe das Gefühl, dass einige meiner Freunde an ihre Grenzen stoßen und mich nicht jeder verstehen kann“, sagt sie. „Ich will niemandem zur Last fallen.“ Die Münchnerin Christine Neder hat mit ihrem Bestseller „90 Nächte, 90 Betten“ 2011 Cochsurfing berühmt gemacht. Auch sie verbrachte drei Monate in fremden Berliner Betten, doch dann war für die damals 25-Jährige Schluss.
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Für Jasmin ist noch kein Ende in Sicht. Anfangs nahm sie es als Herausforderung: „Ich bin eher introvertiert und ziehe mich schnell zurück“, sagt sie. Durch das Mitwohnen war sie jedoch gezwungen im Außen zu bleiben. „Die Wohnsituation hat mich dazu gebracht, mich Menschen und Umständen zu öffnen.“ Sie hat in einer Dachgeschosswohung mit Blick über Berlin geschlafen, aber auch im Wohnzimmer einer Familie.
„Es gab viele Hochs und Tiefs“, sagt sie. Statt sich wie gewohnt zurückzuziehen, geht sie in die Offensive. Sie teilt ihre Erfahrungen und Gefühle offen und ehrlich bei einem Video-Journal auf Facebook Live. „Manchmal geht es mir gut und ich spiele auf meiner Ukulele, manchmal heule ich, weil mich die Lebenssituation überwältigt“, sagt sie. Die Frage nach dem Morgen setzt ihr zu. „Es ist anstrengend, immer wieder umzuziehen. Ich fühle mich entwurzelt“, sagt sie.
Inzwischen hat sie ihr Gepäck reduziert. „Das Schleppen war zu viel“. Sie besitzt jetzt nur noch einen Rollkoffer für eine Jeans, zwei Leggings und ein Paar Winterstiefel. Eine Winterjacke hat sie nicht, „die ist noch im Storage“, sagt sie. Ihr Nervenkostüm ist dünn geworden. Kürzlich hat sie in der U-Bahn eine Frau gesehen, die die Straßenzeitung Motz verkauft hat. „Es hat mich zum Nachdenken gebracht, wie schnell Menschen in so eine Situation kommen können. Bei dem Gedanken daran, wie viel Überwindung es einen Menschen kosten muss, sich so zu zeigen, kamen mir die Tränen.“
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