Dieser Artikel erschien zuerst bei HuffPost.
Tollkühne Helden der Lüfte, die in schicken Uniformen, umringt von bildhübschen Stewardessen, die exotischsten Länder der Erde bereisen – der Mythos, der Piloten seit Beginn der Luftfahrt umschwebt, ist gestorben.
Prekäre Arbeitsverhältnisse, hohe Schulden, Stress, Übermüdung und Burnout – so sieht heute die Realität des einst so glamourösen Berufs aus. Dies wirkt sich am Ende auch negativ auf die Sicherheit der Passagiere aus, die den Piloten oft blind vertrauen.
Der Pilotenberuf befindet sich in einer Abwärtsspirale
Für die derzeitige Entwicklung auf dem Markt kann Bernd Hamacher kein Verständnis aufbringen. Als Professor und Fluglehrer hat er selbst jahrzehntelang Luftfahrtingenieure und Berufspiloten ausgebildet.
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"Gerade durch die Etablierung der Billigflieger befindet sich der Pilotenberuf in einer Abwärtsspirale“, sagte er gegenüber "tagesschau.de".
Begonnen habe alles mit der Liberalisierung des Marktes im Jahr 2013. Seitdem könnenangehende Piloten in der gesamten EU eine einheitlich anerkannte Lizenz erwerben.
Infolgedessen entstanden in ganz Europa Flugschulen, die Piloten ausbilden dürfen. Doch weil sich daraus insbesondere in Ost-Europa ein lukratives Geschäftsmodell herauskristallisiert hat, sind die Anforderungen der Anwärter auf ein Minimum gesunken.
"Es ist eine Frage des Geldes mittlerweile, ob man die Ausbildung finanzieren kann oder nicht", sagte Hamacher. In vielen Schulen gibt es daher noch nicht mal einen richtigen Eignungstest. Seit der Einführung des EU-Lizenzsystems für Piloten hat sich die Situation nur noch verschlechtert.
Eine Pilotenlizenz zum Spottpreis
Die Bewerber bekommen zum Teil großzügige Angebote von den Schulen versprochen: eine Verkehrspilotenlizenz zum relativen Spottpreis von 35.000 Euro. In Deutschland kostet die Ausbildung das Doppelte.
Zweifler werden mit dem Versprechen geködert, es winke direkt nach der Pilotenprüfung ein Job bei einer großen Fluggesellschaft.
Piloten während einem Nachtflug: "Alles eine Frage des Geldes." Credit: iStock
In Wirklichkeit handelt es sich dabei jedoch um leere Versprechen. "Wir haben schätzungsweise zurzeit 1000 arbeitslose Piloten in Deutschland, 7000 europaweit", sagte James Phillips von der Pilotenvereinigung Cockpit "tagesschau.de".
Die meisten frisch gebackenen Piloten bleiben nach ihrer Ausbildung arbeitslos. Überschuldet und desillusioniert werfen viel ihren Job wieder hin. Denn zur Ausübung der Rechte der Lizenz müssen die Anforderungen hinsichtlich der fortlaufenden Flugerfahrung erfüllt sein. Und das geht nur mit einem abgeleisteten Stundensatz als Co-Pilot.
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Zahlen, zahlen, zahlen
Doch auch für die wenigen Glücklichen, die es tatsächlich in ein Cockpit schaffen, sind die Perspektiven nicht gerade gut. Denn anstatt endlich Geld als Co-Pilot zu verdienen, müssen sie erstmal selbst zahlen. Bis zu 50.000 Euro für Praxisstunden auf einem Co-Piloten-Sitz.
“Pay to fly" wird dieses Verfahren in der Branche genannt. Auch nach diesem Procedere bleibt den Piloten das Cockpit vorerst verwehrt.
Stattdessen wird erneut zur Kasse gebeten: Um auf einen bestimmten Flugzeugtypen, wie zum Beispiel den einer Boeing 737 oder einem Airbus 320 eingewiesen zu werden, müssen die Jung-Piloten weitere 30.000 Euro blechen.
"Schnell liegt man in der Größenordnung von 150.000 Euro Schulden, je nachdem, wie man das sieht", sagte Hamacher.
"Das ist Sklaverei. Das hat nichts mit Luftfahrt zu tun. Das ist Mafia," sagte ein Pilot dem "Bayrischen Rundfunk".
"Es gibt keine Regeln, die können verlangen, was sie gerade wollen. 50.000 oder 80.000 Euro."
Schulden, Stress und wenig Schlaf
Schulden in einer derartigen Größenordnung affektieren unweigerlich die Psyche der Piloten. Der Druck, endlich mit der Fliegerei Geld zu verdienen wird immer höher. Und genau Menschen, die diesen Druck ausgesetzt sind, bekommen die Mitverantwortung für ein Linienflugzeug mitsamt der gewöhnlich knapp 200 Passagiere.
Durch die hohen Schulden werden die Piloten schnell zum Spielball der Airlines. Denn sie tun alles, um ihren Job zu behalten. Eine andere Wahl bleibt ihnen auch nicht.
Passagiere an Bord eines Airbus A320: "Wer mehr zahlt, fühlt sich oft schon abgezockt." Credit: iStock
Viele versuchen zu sparen, wo immer es nur geht. "Ich kenne persönlich tatsächlich Leute, die im Flugzeug übernachten - hab ich selber eine Weile auch gemacht“, sagte der ehemalige Berufspilot Markus Lüer "tagesschau.de".
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Um mit dem Job über die Runden zu kommen, würden viele Crews auf langen Strecken am Stück durcharbeiten, erzählt Lüer. "So kommt es dann zu Situationen, dass Crews nicht acht, neun, zehn Stunden arbeiten, sondern vierzehn, sechzehn, achtzehn oder sogar zwanzig. Und dann pfeift man wirklich aus dem letzten Loch.“
Blindes Vertrauen
Die Passagiere bekommen von all dem meist nichts mit. Im Gegenteil: Die Low-Cost-Politik der letzten Jahre hat Wirkung bei den Kunden gezeigt.
Ein Flug nach Mallorca für 30 Euro ist für viele Passagiere ganz normal. Wer mehr zahlt, fühlt sich oft schon abgezockt. Ein fataler Irrglaube. Denn Fluggesellschaften, die immer mehr Geld sparen, können in Zukunft nicht mehr für die Sicherheit ihrer Passagiere garantieren.
In jüngsten Umfragen landen Piloten bei der Frage, wem die Deutschen am meisten vertrauen, direkt hinter Feuerwehrleuten, Sanitätern und Krankenschwestern auf Platz vier – noch vor Ärzten, Apothekern oder Geistlichen.
Wie illusorisch und antiquiert diese Vorstellung ist, bezeugt der anonyme Kommentar eines Piloten, der vor zwei Jahren im Auftrag einer EU-Kommission zu den Arbeitsverhältnissen von Piloten befragt wurde: "Vielleicht sollte einmal ein Flugzeug abstürzen, damit man wirklich sieht, welche Probleme es gibt."
Es bleibt zu hoffen, dass dieser Fall niemals eintreten wird. Um das sicher zu stellen, muss sich an drei Fronten etwas ändern: bei den Flugschulen, den Fluggesellschaften und bei der Zahlungsmoral der Passagiere.
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