2018 bekommt Girlpower ein ganz neues Gesicht. Beziehungsweise gleich drei: Das britisch-isländische Trio Dream Wife bezeichnet sich und seine weiblichen Fans stolz als „Bad Bitches“, die während ihrer gefeierten Liveshows mit speziellen Safe Spaces gegen sexuelle Belästigung antreten. Ende Januar erscheint nun das Debütalbum der Poppunk-Kämpferinnen.
Kennengelernt haben sich Sängerin Rakel Mjöll, Gitarristin Alice Go und Bassistin Bella Podpadec vor gut drei Jahren während ihres Kunststudiums an der Universität von Brighton. Was ursprünglich als reines Kunstprojekt mit offenem Ausgang begann, das hat sich in rasender Geschwindigkeit zu einem internationalen Hype entwickelt. Mit nur einer Handvoll Songs gelten Dream Wife als eine der angesagtesten neuen Bands. Auch Vivienne Westwood ist auf das Trio aufmerksam geworden, das kürzlich in einer Kampagne der großen alten Dame der britischen Mode zu sehen war. Gemeinsam mit der Londoner Fotografin Meg Lavender und der Aktivistinnen-Vereinigung Girls Against hat die Band im vergangenen Jahr die „Bad Bitches“-Community ins Leben gerufen: Dream Wife verhandeln in Tracks wie „Somebody“, „Act My Age“ oder „F.U.U.“ nicht nur Themen wie weibliche Selbstbestimmung, sondern wollen auch bei ihren Konzerten mit extra eingerichteten Safe Spaces den Zusammenhalt des Publikums stärken und zum female Empowerment beitragen.
WerbungWERBUNG
Der Bandname Dream Wife ist einerseits ironisch, hat aber auch eine politische Dimension. Erklärt mal!
Bella: Die wichtigste Frage lautet doch: Was soll eine perfekte Ehefrau denn überhaupt sein? In unseren Augen existiert sie nicht. Außer natürlich in irgendwelchen schnulzigen Filmen aus den 50er-Jahren oder in der Werbung, wo Frauen heute immer noch zu Objekten degradiert werden. Das nehmen wir ein wenig aufs Korn. Jeder, der uns nur ein bisschen kennt, weiß, dass wir absolut nichts mit dem Klischee vom braven Heimchen hinterm Herd gemein haben. Auf einer anderen Ebene geht es um den Zusammenhalt in der Band. Eine Band ist tatsächlich wie eine Ehe, in der man irgendwie miteinander klarkommen muss.
Dream Wife entstand ursprünglich aus einer ausgeprägten Do-It-Yourself-Mentalität, die ihr bis heute eisern vertretet.
Rakel: Der DIY-Gedanke ist stark von unserem Kunststudium inspiriert. Man lernt, seine Ideen zu formulieren und umzusetzen. Obwohl wir damals absolut keinen Schimmer hatten, wie man ohne Manager, ohne Konzertagentur oder sonstige Hilfe eine Tour durch Kanada auf die Beine stellt, haben wir es einfach probiert. Einfach um zu schauen, was passiert und wohin einen die Träume führen können. Man muss offen sein für Überraschungen. Es ist sicher nicht der leichteste Weg, aber derjenige, auf dem man am meisten lernt. Über sich selbst und auch über andere. Und man lernt, sich durchzukämpfen und die kleinen Dinge des Lebens wertzuschätzen.
Mit Künstlerinnen wie Charli XCX, Halsey, Tove Lo, MØ oder Dream Wife präsentiert sich die weibliche Popmusik heute so selbstbewußt und kämpferisch, wie selten zuvor. Die Anfänge einer neuen Generation?
WerbungWERBUNG
Alice: Definitiv! Wobei die Musikwelt größtenteils unter diesem ausgeprägten Einhorn-Komplex leidet, bei dem gerade Mädchenbands als etwas Exotisches angesehen werden. Um das Geschlecht wird oft ein riesiger Aufriss gemacht. Das endet dann jedes Mal im gleichen Diskurs über Feminismus und darüber, was Frauen für Berufschancen haben. Was sie alles dürfen, können, sollen, müssen. Ich habe mich schon immer ganz selbstverständlich an starken Frauen orientiert. Aber ich freue mich natürlich, dass es heute so viele tolle Künstlerinnen gibt. Gründet mehr Mädchenbands!
Mit welchen weiblichen Vorbildern seid ihr denn aufgewachsen?
Alice: Für mich waren schon immer die starken Frauen der Siebziger und Achtziger prägend: Patti Smith, Joan Jett, Blondie. Ich komme vom Land, wo damals traditionell ein anderes Frauenbild herrschte. Jeder versuchte einfach, nicht dumm aufzufallen, sondern sich irgendwie einzufügen. Erst durch das Internet habe ich später den Mut gefasst, mich nicht mehr in irgendwelche Erwartungshaltungen pressen zu lassen, sondern die Frau zu sein, die ich sein will.
Rakel: Das Schönste am Jungsein ist, dass es so viel zu entdecken gibt! Durch das Internet ist es heute so leicht, etwas über die Geschichte des Feminismus mit all ihren einflussreichen Persönlichkeiten zu erfahren. Ich finde es enorm wichtig, jungen Menschen die Vorreiterinnen des modernen Feminismus vorzustellen und wie sie seine Entwicklung geprägt haben. Auf unserer letzten Tour haben wir besonderen Wert darauf gelegt, dass schon 16-Jährige die Shows besuchen durften, in manchen Fällen sogar Kids ab 14. Wir haben viele Mädchen kennengelernt, für die unser Gig das erste Konzert ihres Lebens war. Daran werden sie sich ewig erinnern.
WerbungWERBUNG
Ihr habt zusammen mit Girls Against die „Bad Bitches“-Community gegründet. Was genau steckt dahinter?
Rakel: Durch die Bezeichnung als „Bad Bitches“ drücken wir ein Gemeinschaftsgefühl aus. Wir beziehen das Publikum mit in die Show ein. Wenn ich die Menge während der Show frage, wo meine „Bad Bitches“ sind, dann kocht der ganze Laden! Im Januar 2016 haben wir unsere gute Freundin, die Fotografin Meg Lavender, mit auf Tour genommen, die nicht nur uns, sondern insbesondere unsere Fans fotografiert und ihre ganz persönlichen Geschichten festgehalten hat. Wir sind wahnsinnig stolz auf unsere „Bad Bitches“!
Bei euren Auftritten habt ihr außerdem besondere Sicherheitszonen für weibliche Fans eingerichtet. Was war der Auslöser?
Alice: Unsere eigenen Erfahrungen. Es ist zum Heulen, doch als Frau wird man auf Konzerten fast immer sexuell belästigt. Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen, wie oft man mir an den Arsch gepackt oder von hinten in den Nacken geatmet hat. Für die meisten Frauen sind diese Belästigungen leider Normalität und nicht nur bei Events. Doch es ist eben nicht fucking normal! Man geht zu einem Konzert, um Spaß zu haben und zu tanzen. Man sollte sich sicher fühlen und keine Angst haben müssen, von irgendwelchen schmierigen Idioten begrapscht oder sonstwie angegriffen zu werden!
Bella: Bei unseren Shows erleben Frauen, was die Regel sein sollte: In einem sicheren Moshpit zu feiern. Es gibt für mich keinen geileren Anblick, als eine Crowd total ausflippender Girls, die sich völlig angstfrei gehen lassen. So etwas hätte ich mir mit 14 gewünscht: Zu einer Kick-Ass-Mädchenband abzurocken, als gäbe es kein Morgen!
WerbungWERBUNG
Der Song „Somebody“ behandelt explizit sexuelle Gewalt gegen Frauen.
Rakel: Das Lied handelt von Vergewaltigung und sexuellen Übergriffen. Die Hauptzeile lautet „I am not my body, I am somebody“. Der Text entstand vor ein paar Jahren im Zuge des Slut-Walk-Movements, der zeitweise allgegenwärtig in unseren Social-Media-Feeds war. Es war fantastisch zu beobachten, wie sich dieser Aktion immer mehr Menschen anschlossen und was für ein unglaublicher Zusammenhalt plötzlich herrschte, als das Thema offen diskutiert wurde.
Mit der momentanen #MeToo-Debatte hat das Thema noch einmal eine völlig neue Dynamik bekommen und auch die „Silence Breakers“-Bewegung wurde im Time Magazine als „Person Of The Year“ des Jahres 2017 gewürdigt...
Bella: Eine tolle Anerkennung für diesen Mut! Endlich wird sexuelle Gewalt gegen Frauen auf breiter Basis diskutiert. Wie ein Schneeballeffekt, bei dem Frauen ermutigt werden, nicht länger zu schweigen, sondern deutlich machen, dass sich sofort etwas ändern muss. Sexuelle Belästigung ist ein kulturelles und gesellschaftliches Phänomen, das sich nicht mehr länger ignorieren oder verharmlosen lässt!
Wie weit geht die Verantwortung eines Künstlers gegenüber seinem Publikum in euren Augen?
Alice: Uns geht es in erster Linie um Empowerment und darum, dass das Publikum eine gute Zeit bei unseren Shows hat. In meinen Augen muss sich jeder, der auf irgendeine Weise für die Durchführung von öffentlichen Events verantwortlich ist, seiner besonderen Verantwortung bewusst werden. Ob es die auftretenden Künstler sind, die Konzertveranstalter, die Türsteher – sie alle haben die Pflicht, dafür zu sorgen, dass Frauen nicht mehr belästigt werden!
Auf eurem Facebook-Profil ist ein gemeinsames Foto mit Marija Aljochina von Pussy Riot zu sehen. Hat sie eine Art Vorbildfunktion für euch?
WerbungWERBUNG
Alice: Pussy Riot stellen in vielerlei Hinsicht Ikonen dar. Sie haben unschätzbar viel für die internationale Frauenbewegung erreicht. Sie sind das Paradebeispiel mutiger, starker und redegewandter Frauen. Sie haben für ihre Überzeugungen alles gegeben und sogar Gefängnisstrafen auf sich genommen. Ich könnte mir nicht ausmalen, wie ich in den lebensgefährlichen Situationen reagieren würde, in die sich Pussy Riot begeben haben.
Wie weit würdet ihr selbst gehen, um eure Botschaft zu transportieren?
Rakel: Obwohl unsere Musik auch einen gewissen aktivistischen Ansatz hat, kann man Dream Wife nicht mit Pussy Riot vergleichen. Sie setzen tatsächlich ihr Leben für ihre Überzeugungen aufs Spiel. Bei uns gab es bisher nur eine einzige Situation, in der mir ein wenig mulmig wurde: Als der Song „Somebody“ Anfang 2017 erschien, hatte ich anfänglich starke Bedenken, weil der Text so persönlich und konfrontativ war. Die Diskussion über sexuelle Gewalt war in den Medien noch nicht so präsent wie heute. Doch ich denke, Kunst ist immer eine Konversation mit dem Publikum. Und ein mächtiges Werkzeug, sich gewissen Risiken und Gefahren zu stellen. Je stärker man seine eigene Angst thematisiert, desto mehr verliert sie ihren Schrecken.
Mit Modedesignerin Vivienne Westwood habt ihr einen weltbekannten Fan gewonnen!
Alice: Wir lieben es, wie sie mit der Bedeutung von alltäglichen Dingen experimentiert und ihnen einen komplett anderen Sinn gibt. Sie ist in der Lage, aus einem simplen Vorhängeschloss ein kleines Schmuckstück zu machen, das man gerne als Ohrring trägt. Sie spielt mit der Mode und zeigt, dass es möglich ist, eine wichtige Botschaft zu vermitteln, ohne dabei verbissen oder besserwisserisch zu sein. Ich glaube, wir haben eine Menge gemeinsam.
Das Dream Wife-Debütalbum „Dream Wife“ erscheint am 26.01. bei Rough Trade.
WerbungWERBUNG