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Interview: Lena Meyer-Landrut über ihren Umgang mit Hass

Foto: Hendrik Schneider/Universal Music GmbH
„Hässlich“, „Du Schande“, „ekelig“, „dumme Schlampe“ – das sind nur ein paar der harmlosesten Beleidigungen, mit denen Lena Meyer-Landrut täglich im Netz konfrontiert wird. Im vergangenen Herbst postete die 27-jährige Sängerin auf ihrem Instagram-Account ein Selfie mit schockierenden Hasskommentaren. Auf ihrem kommenden Album meldet sie sich mit einer klaren Botschaft zurück: Auf Only Love, L erzählt sie von Selbstliebe, von Self-empowerment und davon, auch an schmerzhaften Erfahrungen zu wachsen. Refinery29 Germany traf Lena zum sehr persönlichen Vier-Augen-Gespräch.
Du hast sehr lange an deinem neuen Album gearbeitet und zwischendurch sogar eine andere Version fertiggestellt, die wieder verworfen wurde. Was genau lief nicht richtig?
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Ich hatte fast das komplette Album fertig. Irgendwann telefonierte ich mit meiner Mutter und erzählte ihr, dass es mir einfach nicht gut ging. Ich war ständig müde, traurig und hatte absolut keine Lust mehr, ins Studio zu gehen. Nichts machte mehr Spaß. Im Laufe des Gesprächs sagte ich zu ihr, dass ich gar nicht wirklich sagen könnte, warum es das Album überhaupt gibt. Ich schrieb irgendwas, das ich nur halb-geil fand. Es gab einfach keinen Grund für diese Songs. Das war der Entschluss, den Stecker zu ziehen und die Aufnahmen abzubrechen. Alle Aufnahmen wurden gelöscht. Punkt.
Danach hast du dir eine Auszeit genommen, warst kaum noch in den Medien oder auf Social Media aktiv...
Es war wichtig, mich ein bisschen zu beruhigen und den ganzen Lärm von außen auszublenden. Ich bin nicht mehr auf Events gegangen und habe nichts mehr auf Social Media von mir hören lassen. Das hat mir geholfen. Ich habe in dieser Zeit versucht, zu meiner Mitte zu finden. Ich musste herausfinden, was ich möchte und was nicht. Nach diesem kleinen emotionalen Reset konnte ich wieder loslegen. Die neue Platte ist das Ergebnis dieser Denkprozesse.
Was hast du während dieser kreativen Pause über dich gelernt?
Eine Million Dinge, die mir in dieser Form noch nicht so bewusst waren. Sinn und Zweck einer Auszeit ist doch, sich mit den unangenehmen Facetten von sich selbst zu beschäftigen. Etwas, was viele Menschen gerne versuchen zu umschiffen. Statt sich dem Schmerz zu stellen, laufen wir lieber weg. Wobei es völlig egal ist, wie man Schmerz definiert. Für manche ist es schon schmerzvoll, die Küche aufzuräumen. Für mich zum Beispiel. Man findet immer tausend Sachen, die gerade wichtiger sind. Und sei es nur die neue Folge irgendeiner Netflix-Serie.
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Um die Schmerzen beim Aufräumen geht es auf deinem neuen Album Only Love, L allerdings nicht...
Nein. Die wichtigste Selbsterkenntnis war, alles mit Liebe zu behandeln und sich nicht von Äußerlichkeiten wie der öffentlichen Meinung beeinflussen zu lassen. Die wichtigsten Themen sind Selbstliebe, platonische Liebe, sexuelle Liebe, romantische Liebe. Alle Facetten der Liebe, die man sich vorstellen kann. Plus das nötige „Selbst-Bewusstsein“ im eigentlichen Sinne – das Bewusstsein für sich selbst und seine Emotionen. Ein klareres Bewusstsein für sich selbst macht einen weniger abhängig von anderen. Ich öffne mich auf diesem Album auf eine ganz andere Art. Alles ist sehr viel privater, persönlicher und sehr viel autobiographischer. Ich habe Todesangst davor, diese Platte zu veröffentlichen, weil so viele persönliche Informationen darin stecken. Andererseits hat mir die Ruhe der letzten Zeit großes Vertrauen geschenkt, offener zu sein, was meine Gefühle und Gedanken angeht.
Im vergangenen Herbst hast du ein Selfie mit den krassesten Beleidigungen gepostet, die du dir im Netz anhören musstest. Wie kam es dazu?
Es war eine Blitzidee; wie vieles, was ich so mache. Wir saßen bei mir zu Hause und haben all diese Dinge auf einen Spiegel geschrieben. Uns ging es dabei wirklich körperlich schlecht; mir war kotzübel beim Hochladen. Es wurde aber besser, als schon bald die ersten positiven Kommentare kamen. Man war einerseits schockiert, was für Worte dort zu lesen waren, hat sich andererseits dafür bedankt, dass dieser Hass endlich einmal thematisiert wird. Ich kann nur sagen, dass es nicht mal die krassesten Bemerkungen waren. Die heftigsten Sachen habe ich sogar komplett weggelassen, damit sich meine jüngeren Fans so einen Müll nicht antun müssen. Es gibt Beschimpfungen, die klar unter die Gürtellinie gehen und die ich konsequent lösche.
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Das Foto hat in kürzester Zeit mehr als 4.000 Kommentare bekommen. Hat dich dieses unglaubliche Feedback überrascht?
Ich kann mich nicht mehr erinnern, welches Medium es war, aber irgendwo stand zu lesen: „Lena schockt mit Fotzen-Selfie“... Aber ernsthaft: Mich hat diese starke Resonanz absolut nicht überrascht. Das ist ein Thema, das uns alle angeht und zu dem viele etwas zu sagen haben. Die Anonymität des Internets führt zu einer gewissen Verrohung. Niemand aus meinem persönlichen Umfeld würde jemals zu mir das F-Wort sagen. Und ich glaube auch, dass es nur wenige gäbe, die sich trauen würden, es mir ins Gesicht zu sagen.
Ist der Albumtitel Only Love auch eine Gegenreaktion auf diese Online-Trolls?
Es ist nicht der Masterplan gewesen, aber ganz sicher ein Teil der Intention, allem mit Liebe zu begegnen. Weich zu sein. Durchlässig zu sein. Obwohl mir das natürlich auch nicht immer leicht fällt, ist es eine gute und wichtige Grundeinstellung, mit der man sehr weit kommt und viel für sich selbst erreicht. Nur so erlangt man Glück und Freude: von innen heraus. Jeder ist für sich selbst verantwortlich. „Only Love“ ist mein Werk, es geht um mich und um den Weg, den ich gehe.
Magdalena aka Sirius.Film / Universal Music GmbH
Gerade soziale Medien quellen über vor Hass und Missgunst. Wodurch wird denn dein Positive Thinking gespeist?
Ironischerweise durch all den Mist, der überall passiert. Auf verschiedenen Ebenen. Überall auf der Welt zeigen sich momentan so viele verschiedene negative Auswirkungen des menschlichen Umgangs, dass man nur hoffen kann, dass das eines Tages zu einer Art Overload führt und die Menschen wachrüttelt. Ich habe das Gefühl, es geht so langsam los. Die Leute erkennen, dass es nicht mehr so weitergehen kann und Veränderungen nötig sind. In meinem Umfeld machen wir uns viele Gedanken, wie man Dinge anders und besser machen kann. Der erste Schritt zur Veränderung liegt immer bei einem selbst. Durch das Internet bleibt heute nichts unkommentiert; entweder man wird gelobt oder niedergemacht. Aber wenn man nicht aktiv wird, kann sich auch nichts verbessern. Man muss einfach mutig sein und die Dinge in die Hand nehmen. Man sollte sich nicht davon beeindrucken oder abhalten lassen, was andere darüber denken. Wenn ich eine Sache gut mache, werde ich für zwanzig andere Dinge verurteilt, die ich vielleicht weniger gut hinbekomme. Das ist nun mal so. Und das wird auch so bleiben.
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Du hast in den letzten Jahren auch immer wieder Gegenwind kassiert...
Gegenwind wird es immer geben. Egal, was ich mache – es wird immer Leute geben, die sagen „Oh Gott Lena! Horrortrip, die Alte!“ Man muss sich davon freimachen, das persönlich zu nehmen. Man steht in der Öffentlichkeit, diese Dinge passieren. Die neue Platte ist eine Art Selbstschutzmechanismus. Indem ich mich angreifbar mache, wachse ich. Vor ein paar Jahren gab es eine andere Art von Selbstschutzmechanismus: Ich habe mich zurückgezogen und eingeigelt. Ein paar Türen und Fenster zu meinem Inneren geschlossen. Das hatte aber auch zur Folge, dass sich mein Wesen verändert hat. Und auch die Wahrnehmung meines Wesens in der Öffentlichkeit hat sich geändert.
In welcher Form?
Weil ich jemand anders war. Ich hatte mir diese Rüstung angelegt und war nicht mehr ich selbst. Es hieß dann, ich wäre arrogant, eingebildet, unnahbar, ein abgehobener Star und tausend andere Dinge. Damals konnte ich diese Wahrnehmung nicht verstehen, im Nachhinein betrachtet aber schon. Auch daraus habe ich gelernt. Ich finde Gegenwind richtig und wichtig, wenn es sich um konstruktiven Gegenwind handelt. Beleidigungen wie „du siehst scheisse aus“ oder irgendwelche Fragen der Boulevardmedien, ob ich magersüchtig wäre, sind mir mittlerweile wirklich egal.
Du bist nach deinem Sieg beim Eurovision Song Contest vor zehn Jahren ja quasi in der Öffentlichkeit aufgewachsen. Jeder kleinste Fehler wurde in den Medien kommentiert.
Man lernt, damit umzugehen. Ich habe erkannt, dass bei diesen oberflächlichen Kommentaren nicht meine Person, sondern die Projektionsfläche angegriffen wird, die ich biete. Das hat nichts mit dem Menschen Lena zu tun. In den meisten Fällen kann ich mir diese Beleidigungen rational erklären und mich davon abschotten.
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Magdalena aka Sirius.Film/Universal Music GmbH
Deine erste Single „Thank You“ beginnt mit einem Selbstgespräch mit der jungen Lena, die noch am Anfang ihrer Karriere steht. Du gibst dir selbst den Ratschlag, mutig und offen zu sein.
Das Song-Intro stammt aus dem Opener der Platte „Dear L“. Ich fand es schön, vorab einen kleinen Einblick ins Album zu geben. Der Albumtitel „Only Love, L“ wurde von meiner Unterschrift inspiriert, die ich in Emails und Briefen verwende. Es geht darum, alles mit Liebe und einem positiven Gedanken abzuschließen. „Dear L“ ist so ein Brief, den ich mir heute selbst schreibe und den ich gerne bekommen hätte, als ich 18 war. Es geht in erster Linie darum, Vertrauen in sich selber zu haben. Sich von der Angst vor dem, was kommt, zu befreien und eine gewisse Gelassenheit zu haben. Dinge werden eh schieflaufen und man wird Fehler machen. Man wird hinfallen und man wird wieder aufstehen. Und wahrscheinlich wird man irgendwann wieder hinfallen. Solange man immer wieder aufsteht, ist alles okay. Gelassenheit ist der größte Rat, den ich mir geben würde. Und auf meine Intuition zu hören; und manchmal auch auf meine Mutter – das habe ich in den letzten Jahren relativ selten getan. Seit zwei Jahren Jahren fange ich wieder damit an. Und es geht mir sehr gut damit!
Der eigentliche Text von „Thank You“ beschäftigt sich mit der Stärke, die man aus negativen Erfahrungen gewinnt. Im Grunde etwas sehr Zynisches, jemandem für Schmerzen zu danken, oder?
Geht so. Vor allem solche Erfahrungen geben einem die Möglichkeit, zu wachsen und stärker zu werden. Man sollte mit sich selbst so im Reinen sein, dass man diese Dinge nicht mehr als etwas Schlechtes, sondern eher als weiteren Schritt auf seinem Weg betrachtet. Statt einen Groll entwickelt man Dankbarkeit für die Dinge, die einem widerfahren. Wenn man von anderen beleidigt wird, sollte man ruhig und besonnen bleiben. Es war noch nie eine gute Idee, Feuer mit Feuer zu löschen. Das klappt nie. Man muss für sich selbst einen anderen Weg finden, um mit gewissen Erfahrungen umzugehen. Dieses Dankeschön hat weniger mit Zynismus zu tun, sondern mit einer gelassenen Einstellung. Fast schon buddhistisch.
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Du bist momentan auch bei „The Voice Kids“ zu sehen und hast eine gewisse Vorbildfunktion. Was gibst du den jungen Kandidaten mit auf den Weg?
Natürlich hat man in der Öffentlichkeit eine gewisse Vorbildfunktion. Es wäre aber andererseits für die eigene Seele sehr schade und schlecht, sich allzu sehr einzuschränken. Ein hundertprozentiges Vorbild zu sein, würde eine zu große Verantwortung mit sich bringen; zumindest für mich. Ich finde, man sollte als authentisches Beispiel vorangehen und sich nicht verstellen. Authentisch zu sein, heißt, ehrlich zu sein und auch zu seinen Fehlern zu stehen.
Wäre es nicht fair, die jungen Talente auch vor der dunklen Seite der Popularität und somit auch vor dem F-Wort in Kommentarspalten zu warnen?
Ich würde den Kids raten, authentisch zu bleiben. Seine Mitte und sein Herz nicht zu verlieren. Wenn man das behält und auf sich selber vertrauen kann, kann einen nichts mehr umhauen. Auch nicht das F-Wort.
Lenas neues Album „Only Love, L“ erscheint am 05.04.2019 bei Universal Music.
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