Als WhatsApp eines Tages in Form des ausrangierten Smartphones meines Bruders in das Leben meiner Mutter trat, änderte sich für unsere Tochter-Mutter Beziehung schlagartig einiges: Die Distanz, die ich mir vorher mühsam über räumliche Entfernung (500 Kilometer) und vielen Trainingseinheiten im Wegignorieren des klingelnden Festnetztelefons aufgebaut hatte, verlor innerhalb weniger, aber sehr prägnanter Messenger Dialoge dramatisch an Stabilität. Mit jedem Wortwechsel zweifelte ich einerseits mehr und mehr an der Zurechnungsfähigkeit meiner eigenen Mutter, die in Shortmessengerform eher wie eine volltrunkene Version eines Aliens beim Erstkontakt im U-Bahn Netz von Tokyo wirkte, als wie eine lebenserfahrene Person, die zwei Kinder anständig großgezogen hat. Andererseits schien mir dieser Fakt geradezu beängstigend normal, wenn man den Geschichten vieler Freunde Glauben schenken mag, die ähnliches über ihre Erzeuger berichten. WhatsApp schenkt unseren Eltern derzeit nämlich eine zweite Pubertät und dieses Mal sind wir die Leidtragenden. Eigentlich äußerst gerecht. Wir sollten uns also weniger beschweren!
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Jetzt hat meine Mutter auch WhatsApp. Und ein Bild von mir im Alter von 2 Jahren als Avatar.
— ?️? Schnorri (@spektrallinie) 16. Februar 2014
Irgendwann schreibt jeder seine erste WhatsApp Nachricht. Bestenfalls enthält diese dann die kurze Ankündigung, dass man jetzt auch den Messenger benutzt, versehen mit dem eigenen Vor- und Nachnamen, damit der Empfänger die Nachricht auch zuordnen kann. Schlechtestenfalls ist man meine Mutter und verschickt erstmal einen Berg ominöser Buchstabenverdreher und unpassender Formulierungen an alle seine Kontakte.
Die erste Nachricht von den Eltern ist immer ein großer Schock, der bei intensiver Beschäftigung mit dem Inhalt wie ein schwerer Unfall ausartet, bei dem man einfach nicht wegsehen kann. Gott sei Dank ist Social Media aber sehr zeigefreudig und stellt immer wieder skurrile WhatsApp Nachrichten unserer Erzeugern online. Dadurch wird die, zuerst individuell zugeordneten Verfehlung, die auf dem eigenen Smartphone betrachtet noch recht verstörend wirkt, in einen größeren Zusammenhang eingebettet und kann im Nachgang eher bewundernd als Phänomen betrachtet werden. Es ist also kein individuelles Versagen der eigenen Eltern und man muss sich folglich nicht der Schuldfrage stellen, denn sobald etwas ein Phänomen ist, kann man es bewundernd genießen und sich entspannt zurücklehnen, auch wenn das bedeutet, mehrmals am Tag Fotos von Schnittblumen geschickt zu bekommen oder wiederholt die Frage beantworten zu müssen, wie der Drucker nochmal funktioniert.
My dad is in Peru having a melt down over alpacas. pic.twitter.com/d7JkPM1tWs
— Alexandria Neonakis (@Beavs) 6. Dezember 2016
Bisher war es nämlich so: Mein Smartphone war stets ein elternfreier Ort. Eine von Erziehungsberechtigten befreite Zone. Ein glücklicher, sorgenfreier Ort der ungestörten Privatsphäre. Ein Spa um meine missglückte Jugend zu verarbeiten. Hier tobte ich rum, um gewisse Dinge des Alltags zu vergessen: Organisation, längerfristige Planung, Verantwortung. Nun muss ich mich regelmäßig mit der Frage beschäftigen, ob heute etwas Besonderes bei mir los war, denn die erhalte ich täglich. Teilweise mehrmals. Mutter wirkt regelrecht enthemmt durch das neue Medium.
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Strong start to my Dad's whatsapp career. pic.twitter.com/UHnj4DoYcM
— Tom (@tdawks) 24. März 2017
Seit sich unsere Eltern aktiv whatsappisiert haben, hat sich unser Leben grundlegend verändert. Irgendwann fingen einige Eltern an. Dann gab es WhatsApp Gruppen, in denen wollten dann alle plötzlich dabei sein, als gäbe es Gratiseis. Man tauschte unter den Geschwistern (Tanten und Onkel) Bildern von den Auslandsaufenthalten seiner Kinder aus, oder brauchte WhatsApp um nach der Hochzeit meines Cousins alle Fotos der aufsteigenden Tauben sehen zu können. Eine Grenze wurde überschritten.
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Wir hatten das Internet, Social Media und Messenger eigentlich für uns entdeckt. Das war schon ein paar Jährchen her, aber es war eine Erfindung unserer Generation für unsere Generation. Quasi. Der Messenger Lifestyle traf mich erstmals mit SMS als ich 14 Jahre alt war und voll in der Blüte stand mich jedem immer mitteilen zu wollen. Dann kam später StudiVZ, Myspace, Twitter und irgendwann wammste dann WhatsApp in die Stube. Dabei ging es uns natürlich nie um aktiven Ausschluss der älteren Generation, eher im Gegenteil, denn ein paar Eltern waren schon immer dabei, weil sie direkt mitgemacht hatten. Den eigenen Eltern schwärmte man hingegen immer wieder von den Vorteilen vor und warnte schon 2005, dass es nun aber wirklich an der Zeit wäre, denn hier fände die Zukunft statt. Aber das ist nun auch schon 12 Jahre her.
Die ersten Eltern im Internet waren auch ziemlich in Ordnung und geduldet. Vielleicht hatten sie einen anderen Charakter: Neugier und Pioniergeist. Aber 15 Jahre lang das Internet zu ignorieren und dann 2017 plötzlich wieder big ins Business einzusteigen, da muss man sich nicht vormachen, dass man auf Natives nicht wirken würde, als wäre man eine dieser Personen, die bisweilen mit fußknöchellangen Haare auf vier Beinen krabbelnd irgendwo nackt am Strand angespült werden, und nicht mehr wissen wer sie sind und eine uns unbekannte Sprache sprechen, die für unsere Ohren wie Tierlaute klingt. Das Problem: Kein anderer versteht sie und ein paar Jahre Internet-Sozialisierung nachzuholen, dafür müsste man ihnen eigentlich einen Professionellen zur Seite stellen!
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Yesterday I learned that my mom has no idea what our dog looks like pic.twitter.com/N6xUWvseci
— Jeff Squires (@jeff_jssj) 28. Juni 2017
Denn Kommunikation hat immer auch einen bestimmten Codex, der sich wie ein unausgesprochener Standard durch jahrelange Nutzung etabliert hat. Man weiß wie man kommuniziert. Man kennt die Bedeutung der gängigen Abkürzungen. LG. MFG. LOL. ROFL. BAE. WTF. BTW. Es gibt außerdem eine allgemein geduldete Art Smileys einzubinden. Auch rein mengentechnisch gesehen. Und eine einzige Sprachnachricht in Eile ist auch voll okay, aber fünf Sprachnachrichten, die alle den gleichen leicht modifizierten Inhalt haben, sind dann doch irgendwie komisch.
Die verschriftliche Kommunikation mit unseren Erzeugern führt uns vor Augen, wie verschroben sie in Wirklichkeit sind (oder wir). Dinge, die sonst nicht direkt ersichtlich sind, wenn man lediglich telefoniert. Denn diese Art der Kommunikation haben wir über dreißig Jahre mit unseren Eltern bis hin zur Perfektion trainiert, als würde es dabei um einen olympischen Titel gehen. Darin ist man Profi als Team, aber wenn es um WhatsApp geht, ist jeder ein gnadenloser Einzelkämpfer.
Whatsapp mit Mama.
— Laura Gehlhaar (@LauraGehlhaar) 30. September 2014
"Mama!Auf wieviel Grad wasche ich ne Daunenjacke?!"
Online
Online
Schreibt
Online
Offline
Schreibt
Online
Schreibt
"Ja."
Meine Mutter schickt mir fast täglich um 17 Uhr eine Nachricht, in der sie sich mit “Schlaf gut!” verabschiedet, was zuweilen skurril ist, denn um diese Zeit mache ich als Freiberufler gerade erst Mittagspause. Natürlich kann ich das mit einem Augenzwinkern wahrnehmen, denn schaut man sich seinen Verlauf an, ergibt sich eine immer gleiche Frage-Antwort-Konstellation in Endlosschleife. Da wirkt die Gute-Nacht Nummer schon eher wie eine willkommene Abwechslung zu solchen Dialogen:
Mutter: Wie geht es dir?
Ich: Gut soweit. Gerade viel Arbeit.
Mutter: Ich hatte heute Aufräumfieber.
Mutter: Gute Nacht!
Wann hört man eigentlich damit auf ein gemeinsames Thema zu haben? Vermutlich schon in sehr jungen Jahren. Es geht dann bei jeglicher Kommunikation nur um das Abklappern der Sachverhalte des Alltags. Was hast du heute gemacht? Was machst du morgen? Bist du krank? Fährst du in Urlaub? Einfache Terminkalender Fragen. Brauchst du noch irgendwas? Diese Themen finden bereits in unserer Kindheit/Jugend am Esstisch statt, verlagern sich dann nach unserem Auszug auf gelegentliche Telefonate und halbjährliche Besuche. Organisatorisch ist man stets verbunden, aber inhaltlich hat man sich schon längst distanziert. Man bespricht Themen, die einem wirklich am Herzen liegen, nicht mehr mit seinen Eltern, sondern mit seinen Freunden oder total random mit anonymen Social Media Kontakten. Ich möchte mit meiner Mutter nicht über Politik oder Feminismus reden. Ich habe Angst, dass das unsere Beziehung nicht aushalten würde. Ich kann gesellschaftliche Themen nicht zwischen Bildern des blühenden Tulpenbaumes und “Papa hat sich einen neuen Hut gekauft” abhandeln. Aus purer Furcht vor einer Antwort mit einem Schulterzucksmiley ihrerseits.
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Mein Fazit: Eltern nutzen WhatsApp in erster Linie um “dabei zu sein”, was unterstützenswert ist, aber in der Realität nicht wirklich funktioniert. Folglich geht es ihnen mehr um Form als um Inhalt. Dafür haben sie unser Verständnis und unseren Support verdient. Ich versuche immer einen guten Kompromiss aus nett gemeintem Ratschlag und beiße mir das ein oder andere Mal doch auf die Zunge, um ihre anfängliche Motivation und Euphorie nicht zu zertrümmern. Das offene Geheimnis ist aber: Wer den Anschluss nicht verlieren möchte, hat den Anschluss bereits verloren.
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