Immer öfter wird darüber gejammert, wie schlimm es ist, dass „die Jugend nur noch mit dem Handy in der Hand“ rumläuft. Dabei habe ich das Gefühl, dass es bei den meisten sogar dazu geführt hat, ihr Umfeld bewusster wahrzunehmen. So oberflächlich es auch klingt: Gerade wegen meines Smartphones schaue ich genauer hin. Und wenn man erst einmal sensibilisiert ist für Instagram-würdige Schnappschüsse oder griffige Anekdoten, wird der Alltag zur ewigen Ressource.
Natürlich liegt der frisch erweckten Wahrnehmung ein ästhetischer Anspruch zugrunde. Aber seit sich mir eine Plattform bietet, auf der ich visuell festhalten kann, wie die Welt aus meinen Augen aussieht, sind diese weiter denn je geöffnet und, nun ja, auf der Suche nach Motiven.
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Das bedeutet nicht, dass ich alles andere plötzlich ausblende oder gar Multitasking-unfähig bin. Nein, ich höre immer noch sehr gut, was in meinem Umfeld passiert. Natürlich ist es eine Sache der Höflichkeit, bei einer Verabredung nicht ständig auf das Telefon zu schauen oder ausgerechnet dann ein Bild zu bearbeiten, schon aus Respekt für mein Gegenüber. Zugegeben, auch ich muss hier sporadisch zurechtgewiesen werden. Aber die Unterstellung, dass ich deshalb „mit Scheuklappen“ durch die Welt wandern würde, ist ganz einfach nicht wahr.
Vielmehr hat sich seit der Etablierung von Social Media mein Verständnis von Umwelt verändert, von den vielen Zusammenhängen, die im Unerwarteten stecken. Die Grenzen scheinen verschmolzen zu sein, täglich entstehen neue Referenzen und Verknüpfungen – erst in meinem Kopf, dann auf meinen Social-Media-Accounts und schließlich zwischenmenschlich.
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Ich sehe in Dingen, die ich vorher übersehen hätte, plötzlich etwas, das einen Kommentar, ein Bild, eine Verewigung wert ist.
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Wenn ich Ereignisse und Gedanken in 140 Zeichen festhalte, bei Twitter teile und damit Menschen erreiche, die ich nicht kenne, dann habe ich aus meiner unmittelbaren Erfahrung einen kleinen Mehrwert geschaffen, selbst wenn der nur mich und die andere Person betrifft. Wenn ich ein Motiv sehe, das mir über Instagram bekannt ist, und ein passendes Bild mit Hashtag poste, wird meine kleine Fotokachel plötzlich in einen Kontext eingebettet, der viel umfassender ist als nur der Moment, in dem der Schnappschuss entstand. Mein kleines Bild wird so spürbar Teil eines großen Ganzen.
Das Bewusstsein dafür, dass das so ist, schlägt sich in meinem Alltag eben so nieder, dass ich häufiger auch mal auf der Straße stehenbleibe und für Außenstehende ominöse Fotos mache. Das nimmt mir noch lange nicht die Fähigkeit, empfänglich zu sein für das, was unmittelbar um mich herum passiert – eher das Gegenteil ist der Fall: Ich sehe in Dingen, die ich vorher übersehen hätte, plötzlich etwas, das einen Kommentar, ein Bild, eine Verewigung wert ist. Und dafür muss ich nicht erst ein Mohnfeld aufsuchen oder zum Taj Mahal reisen, weil das auch einfach mein Mittagessen, die symmetrische Anordnung von Fenstern oder das bunte Herbstlaub vor meiner Tür sein kann.
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