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Deutschrap, wieso bist du so ein Arschloch?

Hey Deutschrap, es liegt an dir, nicht an mir. Können wir Freunde bleiben? Ich bin mir nicht so sicher, denn es ist nicht so leicht, etwas zu lieben, das so wenig Respekt vor einem selbst und anderen hat. Auch wenn ich dich gern lieben würde, Deutschrap! Du lässt mich nicht.
Das Antisemitismusproblem im deutschen Rap, das Dank des Echos für Kollegah und Farid Bang gerade viel diskutiert wird, ist nur die Spitze eines Eisberges der Diskriminierung und des unreflektierten Machogehabes. Dabei geht es um so viel mehr als „nur“ um den Satz „Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen“, der sich auf Kollegahs nun preisgekröntem Album „JBG3“ findet. Der selbsternannte Boss bedient sich schon seit geraumer Zeit immer wieder antisemtitischer Symbolik und Metaphern in seinen Texten und Videos und macht keinen Hehl daraus, wie ausgesprochen viel er von der Theorie der jüdischen Weltverschwörung hält: Eine brandgefährliche und uralte Schwachsinnstheorie, mit der unter anderem unmittelbar der Holocaust gerechtfertigt wurde. Und er ist nicht der Einzige: Auch Haftbefehl, Bushido, Kool Savas und einige weitere Rapper geraten immer wieder in antizionistische und antisemitische Gefilde.
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Auch wenn ich dich gern lieben würde, Deutschrap! Du lässt mich nicht

Beim Thema Sexismus brauche ich gar nicht erst anfangen, Namen aufzuzählen – hier lässt es sich einfacher an einer Hand abzählen, welche Rapper und Rapperinnen sich dem nicht schuldig machen. Und selbst ebendiese Rapper, bei denen man die allergrößten Hoffnungen hatte, dass sie ohne Rapejokes, grenzüberschreitende Beleidgungen und Gewaltphantasien gegen Frauen auskommen, scheitern früher oder später an dieser anscheinend unerfüllbaren Herausforderung des gegenseitigen Respekts: So wie Rin, den ich so lange uneingeschränkt gefeiert habe, bis er in seinem Track „Arrêté“ (übrigens auch noch grammatikalisch falsch) romantisiert, dass er beim Sex ein „Nein“ nicht akzeptiert („Machen wir Liebe, Babe, im Bett, dann schreist du: Arrêté!“). Dass er sich dabei als Vergewaltiger inszeniert, scheint Rin nicht bewusst zu sein – viel mehr dient das Ganze als edgy Stilmittel. Gegenwind? Gab es nicht wirklich. Und das lässt sich mit einem einzelnen Fachbegriff erklären: Rape Culture. Er beschreibt die kulturelle Normalisierung und Verharmlosung sexueller Gewalt – angefangen bei Rapejokes und Catcalling – die letztendlich auch dazu führt, dass Täter ungeschoren davon kommen und Opfern die Schuld zugeschoben wird. Rape Culture führt auch dazu, dass Rin Vergewaltigungsphantasien in seinen Texten äußern kann, ohne dass ein großer Aufschrei folgt. Und sie führt dazu, dass man immer noch als verklemmt wahrgenommen wird, wenn man in Deutschrap-Kreisen Bedenken in diese Richtung äußert.
Rin ist ein vergleichsweise harmloses, wenn auch besonders trauriges Beispiel – in einigen anderen Subgenres, vor allem im Battle- und Gangsterrap, finden sich beinahe in jedem Track frauenverachtende, homophobe, rassistische oder antisemitische Lines. Es bietet geradezu Anlass für ein lustiges Deutschrap-Diskriminierungs-Bingo. Es gab in meinem Leben eine Zeit, da konnte ich all das so gut ignorieren, dass ich sogar Frauenarzt – dessen gesamtes Konzept aus Sexismus besteht – feiern konnte. Ein gewisses Unbehagen haben solche Texte schon immer in mir ausgelöst – aber ich habe das ignoriert. Weil ich keinen Stock im Arsch unterstellt bekommen wollte. Weil ich nicht diese Spielverderberin sein wollte. Und weil ich dachte, dass es okay ist, weil sie das ja alle gar nicht so meinen. So geht es vielen: Denn das ist das meistangebrachte Argument zur Verteidigung diskriminierender Sprache im Deutschrap. Die meinen das doch gar nicht so. Das ist doch nur ein Stilmittel. Und Battlerap lebt von Beleidigungen! An dieser Stelle möchte ich gerne die hochintelligente Dr. Bitch Ray zitieren:
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Welcher Spacken behauptet, dass Antisemitismus, Homophobie und frauenfeindliche Texte zum Battlerap gehören? Was stimmt ist, dass Battlerap als verbales Ventil dafür entstand, um sich mit Rival*innen auf künstlerischer Ebene zu messen und den anderen jeweilig in lyrisch anspruchsvoller Form zu dissen. Es ist jedoch immer auch der geschmacklose Stil und die intellektuelle Beschränktheit vieler unserer männlichen Rapper, das mit frauenfeindlichen, antisemitischen oftmals gar mit islamistischen Zeilen zu tun. Diese kleinen Jungs haben halt nichts anderes, um die kleinen Kinder (die ihre Alben kaufen) zu schocken: Koks, Nutten und fette Wagen reichen halt nicht mehr aus, um sich als Rapper zu profilieren, da muss man schon anfangen, Juden zu beleidigen und Frauen nur noch als Prostituierte abtun.
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Im Grunde ist es völlig irrelevant, wie ernst oder nicht ernst Kollegah es meint, wenn er KZ-Witze macht. Oder ob Rin es tatsächlich okay findet, weiterzumachen, wenn eine Frau „Stop“ sagt. Oder oder oder. Denn so oder so werden menschenverachtende und gefährliche Vorstellungen in die Welt getragen und landen dann direkt im Unterbewusstsein der Zielgruppe: Jungen (meistens sogar sehr jungen) Menschen. Männern und Frauen in spé, die die Erfahrung machen, dass man mit diesen Mindsets nicht nur keinen Gegenwind erfährt, sondern sogar dafür gefeiert wird und Preise verliehen bekommt. Ist das der Standard, den wir wollen?
Versteht mich nicht falsch: Provokation und Tabubrüche gehören zu Rap dazu. Nur müssen und dürfen diese keine menschenverachtende Weltanschauung vertreten, verteidigen und normalisieren. Darin liegt die wahre Kunst: Denn Minderheiten beleidigen ist leicht und nicht besonders kreativ.
Dass es auch anders geht, beweisen eine Handvoll deutschsprachiger Rapper und Rapperinnen, die die angeblich so unbezwingbare Herausforderung des diskriminierungsfreien und trotzdem guten Raps zu bewältigen wissen.
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