Es ist später Nachmittag in Chicago, ein langer Festivaltag liegt hinter uns. Auf der Bühne tanzen die Sänger der Band M83 und schmettern die wohlbekannten Klänge ihres Hits Midnight in die Festivalwelt hinaus. Hundertausend haben sich hier vor der Bühne zusammengefunden. Bass und Melodie wummern über ein schier endloses Feld an jubelnden Händen, das von den letzten Sonnenstrahlen, die sich ihren Weg durch die Wolkenkratzer bahnen, in gleißendes Licht getaucht wird. Am Horizont kennzeichnen hohe Baumwipfel das Ende des Parks, dahinter die fulminante Skyline, darüber nichts als Himmel. Eigentlich war das Lollapalooza, das ursprünglich als ein Tourneefestival von Sänger Perry Farrel für seine Band Jane’s Addiction ins Leben gerufen worden war, vor einigen Jahren bereits dem Untergang geweiht: zu wenig Ticketverkäufe, zu viele Pleiten. Nach einigen Jahren der Ruhepause dann das Revival. Drei Festivalveranstalter aus Austin, C3presents, kamen zur Hilfe, übernahmen die Leitung und platzierten das Lollapalooza in Chicago, im Grant Park, dem wie der Name schon sagt, größten Park der Stadt. Jahr für Jahr erweiterte C3presents Areal, Bühnen und Line-Up und machten das Lollapalooza zu dem, was es jetzt ist: dem erfolgreichsten Festival der USA, neben dem Coachella in Kalifornien.
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Und hier stehe ich nun, bei 28 Grad im Schatten und einer Luftfeuchtigkeit von bis zu 75 Prozent. Acht Bühnen gibt es im Grant Park. Die Musik: Rock, Pop, Punk, Hip Hop, Singer Songwriter und ein bisschen Trash. Täglich strömen mehr als 100.000 Besucher auf die Festivalwiesen und -parks. Der Aufbau der gesamten Anlage liegt im zweistelligen Millionenbereich, ungefähr 2000 Mitarbeiter sind hier im Einsatz, das Gelände ist bewacht wie Fort Knox. Regelmäßig kreist ein Helikopter über das Areal, alle Straßen rund um den Konzertbereich sind stillgelegt, vielerorts patrouilliert die Polizei und schaut man ganz genau hin, sieht man in kleinen Türmen Militär samt Snyper sitzen. Das Lollapalooza gilt als das sicherste Festival der Welt, vielleicht auch dies ein Grund, warum selbst Präsidententochter Malia Obama hier mit ihren Freundinnen einigermaßen ausgelassen feiern kann. Dennoch merkt man von der Gegenwart der Staatsgewalt wenig, die Stimmung ist euphorisch und entspannt, das Publikum jung und die Regeln klar. Unter 21 kriegt hier keiner etwas Alkoholisches zu trinken, dafür sorgt die ID-Kontrolle und das dazugehörige Bändchen. Das Gelände als solches ist riesig, vom Eingang bis hin zur letzten Bühne ist man hier gut zwanzig Minuten unterwegs. Wir fahren mit einem Golf Cart die Außenbahn ab, so erreicht man die Bühnen am schnellsten. Gerade greifen die Post-Grunge-Pop Rocker von Third Eye Blind zum Mikro. Mit Anfang fünfzig haben sie ja schon fast Veteranenstatus inne, werden aber von den Jugendlichen im Publikum gefeiert, wie ihresgleichen. Generell hatte ich mir das Lollapalooza wesentlich angepasster vorgestellt, amerikanischer und poplastiger. Amerikanisch ist es schon, das sieht man allein am Einheitslook der jungen Festivalbesucher. Die Jungs mit weißen Socken, Shorts und Sneakern, belassen ihre Oberkörper mit Vorliebe frei, nur ein kleiner Rucksack ist gerngesehenes Accessoire, der mit einem durchsichtigen Schlauch seines vermutlich alkoholischen Inhaltes entleert wird. Auch bei den Mädchen gilt in der Regel less is more: Hotpants, Low Pants, No pants – Körpergewicht und –umfang spielen hier keine Rolle, alles typisch amerikanisch, total in Ordnung nur ein bisschen langweilig.
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Musikalisch kann das Lollapalooza aber tatsächlich einiges. Während Lana del Rey mit Videogames alle Pokemon Go-Spieler in den Schatten stellt, bringt Flume das Kollektiv mit epochalen Soundsets zum Beben. Bei Radiohead schmilzt das Publikum dann zu einer melancholisch dahin transzendierenden Masse zusammen, um am nächsten Abend mit den Red Hot Chili Peppers ein wahrhaftes Revival der Band abzufeiern, was nach dem aktuellen und etwas enttäuschenden Album tatsächlich eine Offenbarung ist.
Als am vierten und letzten Abend dann noch die Dance-Punk-Show von LCD Soundsystem einen akuten Massenrave auslöst, ist es spätestens auch um mein Herz geschehen. Denn die Band aus Brooklyn ist alles andere als Mainstream. Hier steht am besten Slot des Festivals ein kleines Orchester auf der Main Stage, das mit Klavier, Schlagzeugen, Bass, Gitarren, Gesang, Synthezisern und Piccoloflöte das Publikum ekstatisch in die Nacht begleitet, während sich im Hintergrund der dunkle Himmel über die hellerleuchteten Tower legt. Pünktlich um zehn Uhr ist dann aber auch Schluss, da gibt es klar Vorlagen, schließlich war eben noch der Bürgermeister da. Glücklich und friedlich ziehen die nach nun vier durchgefeierten Tagen doch erschöpften Besucher vom Gelände. Zu späterer Stunde schwebt allein Jane’s Addiction Sänger Perry Farrel noch über die Wiese, was gut passt, denn dieser sieht mittlerweile ohnehin aus wie der Geist seiner selbst. Ob dies wohl in etwa das Festival war, was er sich vor über 25 Jahren vorgestellt hatte? Weiter geht es jedenfalls mit dem nächsten Lollapalooza in Berlin, das sich am 10. und 11. September in Berlin im Treptower Park die Ehre gibt.
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