Mein erstes Mal werde ich nie vergessen: Das nervöse Fummeln und der gehemmte Smalltalk danach. Nein, ich rede nicht von Sex. Es geht um meine erste Sprachnachricht. Ich erinnere mich nur noch dunkel an die Gründe für diese erste aufgenommene Nachricht: Da war der Verlust meiner Hausschlüssel, die betrunkene Anmache eines guten Freundes und die 20er Box Chicken McNuggets, die ich mir alleine reingepfiffen hatte. Diese Geschichte hätte ich unmöglich in schriftlicher Form wiedergeben können, sie verlangte einfach nach einer Sprachnachricht. Auch wenn die Mitglieder der WhatsApp-Gruppe, in die ich sie postete, und alle Passagiere des überfüllten U-Bahn-Wagons, in dem ich mich befand, wahrscheinlich anderer Meinung gewesen sind.
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Geschichten von spätabendlicher Verführung, gebrochenen Herzen, sonntäglichen Foodkomas und Verschwörungstheorien über trashige Dating-Shows werden erst durch das Medium Sprachnachricht zu lebendigen Erzählungen. Und auch Mark Zuckerberg hört mit. Seit März testet Facebook ein neues Feature in Indien, mit dem Nutzer*innen akustische Statusmeldungen aufnehmen und in ihrer Timeline posten können. Ein Firmensprecher sagte gegenüber TechCrunch: „Wir arbeiten konstant daran, dass Menschen auf Facebook so mit ihren Freunden und der Familie kommunizieren können, wie es für sie am angenehmsten und natürlichsten ist. Die akustischen Statusmeldungen bieten Nutzern ein neues Medium, durch das sie sich mitteilen können.“ Das heißt, wir können der Welt schon sehr bald erzählen, was wir denken. Und die verbale Statusmeldung direkt danach wieder aus Scham über den Klang unserer überraschend schrillen oder monotonen Stimme löschen. Wenn wir nämlich mal ehrlich sind, gibt es nicht so viele Stimmlagen dazwischen.
Dieses neue Feature ist der vorläufige Höhepunkt des individuellen, durch den oder die Nutzer*in generierten Contents auf Facebook. Dieser Entwicklung voraus gingen Facebook Live Videos und Facebook Stories, auch wenn beide mittlerweile von ihrem Äquivalent auf Instagram überholt worden sind.
Ich würde an dieser Stelle gerne anmerken, dass wirklich niemand eine Push-Benachrichtigung darüber braucht, dass das Mädchen, das in der gleichen O-Wochen-Gruppe an der Uni wie man selbst war, und mit dem man nie wieder ein Wort gewechselt hat, gerade im Livestream zu Mambo No. 5 am Ballermann tanzt. Aber in unserer Selbstbedienungsgesellschaft, in der es wahrscheinlicher ist, dass wir mit einem Bot statt einem Menschen aus Fleisch und Blut kommunizieren, sehnen wir uns nach den Nuancen einer echten menschlichen Stimme. Die Beliebtheit von Podcasts wie My Dad Wrote a Porno basiert zu gleichen Teilen auf ihren Inhalten und dem Gefühl der Hörer*innen, Teil einer Gang zu sein.
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Die Psychologie-Professorin Maike Luhmann von der Ruhr-Universität Bochum hat kürzlich eine Studie veröffentlicht, aus der hervorgeht, dass je nach Altersgruppe durchschnittlich zehn bis 15 Prozent der Menschen in Deutschland einsam sind. Wer eine menschliche Stimme hört, ob als Podcast oder Sprachnachricht, fühlt sich weniger allein.
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Ein Lachen über Sprachnachrichten ist so viel ansteckender, als wenn das Gegenüber „haha“ oder „lol“ schreibt.
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Simona Barbieri hat eine Firma gegründet, die sich auf das Vermitteln von Geschäftskontakten spezialisiert hat. Sie und ihre Kolleg*innen kommunizieren mittlerweile fast ausschließlich über Sprachnachrichten, wobei viele von ihnen diese neue Kommunikationsform zunächst abgelehnt haben. „Sie fanden das erstmal extrem komisch“, erinnert sich Simona. „Insbesondere die Männer kamen sich dabei seltsam vor, weil ihnen durch die Sprachnachrichten bewusst geworden ist, wie sie sich anhören, wenn sie reden.“ Für Simona, die ursprünglich aus Italien kommt, liegt diese Abneigung sowohl im Geschlecht als auch in der Kultur begründet. „In Italien benutzen alle Sprachnachrichten. In meinem Team kommen viele aus England und Schottland, für die war das am Anfang komisch. Aber jetzt lieben sie sie. Ich fühle mich dem Team dadurch näher und ich bin davon überzeugt, dass wir so besser kommunizieren, als wenn wir Emails benutzen würden. Die bergen einfach viel zu viele Möglichkeiten für Missverständnisse.“
Obwohl auch Frauen geteilter Meinungen über Sprachnachrichten sind, ist das männliche Lager offenbar in zwei noch stärker polarisierende Gruppen geteilt: Die einen verschicken regelmäßig welche, die anderen wissen noch nicht mal, dass es sie gibt. Ein männlicher Bekannter von mir kam bei einer Reise durch Südafrika auf den Geschmack und nutzte die Sprachnachrichten, um mit seinen Freund*innen zu Hause im Kontakt zu bleiben. „Das ist einfach persönlicher als eine Textnachricht. Obwohl ich auch seltsame Aufnahmen bekomme. Neulich hat mir ein Freund, der gerade in Peru ist, eine Nachricht gesendet, die aus einem vierminütigen, schrillen Panflötenkonzert bestand. Er lernt wohl gerade, das Instrument zu spielen.“
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Die meisten Millennials die ich kenne, hassen es, angerufen zu werden. Wir sind mit so vielen Kommunikationsmöglichkeiten aufgewachsen, von MSN Messenger bis Instagram Direct Messages, für uns ist es ganz natürlich, die am wenigsten aufdringliche Kontaktform zu wählen, die es gibt. Die Gedanken, die wir unseren Freund*innen mitteilen, sind sorgfältig ausgearbeitet, gescreenshottet und nochmal überarbeitet. Wenn jemand einen unerwartet anruft, fühlt es sich ungefähr so an wie damals, wenn Mama ohne anzuklopfen ins Zimmer gestürmt kam, während man splitterfasernackt in der Mitte des Raumes stand und eher fragwürdigen Aktivitäten nachging.
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Wenn jemand einen unerwartet anruft, fühlt es sich ungefähr so an wie damals, wenn Mama ohne anzuklopfen ins Zimmer gestürmt kam, während man splitterfasernackt in der Mitte des Raumes stand und eher fragwürdigen Aktivitäten nachging.
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Die Sprachnachricht erlaubt unserer Generation auf einem persönlichen Level miteinander zu kommunizieren, ohne sich um Zeitzonen, Tarife und unaufgeforderte Monologe am Telefon, die man nicht ohne weiteres beenden kann, kümmern zu müssen. Hier würde ich gerne eine weitere Anmerkung machen: Können bitte mit sofortiger Wirkung alle aufhören, endlose Monologe darüber zu führen, was sie letzte Nacht geträumt haben? Wirklich keiner möchte das wissen.
Wie dem auch sei, Sprachnachrichten tauchen einfach überall auf. Ob man sie liebt oder hasst, sie haben unsere digitale Kommunikation, die vor einigen Jahren noch ausschließlich aus kostspieligen SMS und E-Mails bestand, um einiges lebendiger und intimer gemacht.
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