Ich bin riesiger Fan von Beyoncé und Jay-Z. Dem kommenden Konzert der zwei in Berlin fiebere ich seit Monaten entgegen, meine Vorfreude auf ein mögliches gemeinsames Album der zwei konnte ich kaum im Zaum halten, seit die ersten Gerüchte darüber im Netz kursierten. Auch die Streaming-Plattform Tidal nutze ich sehr gerne; SMS wie „Kann ich mal deine Log-in-Daten?” bekam ich von diversen Spotify-Freunden nach der Veröffentlichung von Lemonade, 4:44 und jetzt Everything is Love mehr, als ich zählen konnte.
Doch nun ist es da, das lang ersehnte gemeinsame Release von Queen Bey und Hova, und meine Gefühle schwanken zwischen Ernüchterung und Enttäuschung. Ich hätte einfach so gerne mal wieder einen echten Hit von den Artists, die mir und Millionen Fans in den vergangenen 20 Jahren Hymnen aller Art geschenkt haben. Egal ob man Liebeskummer hatte („If I were a Boy“), wilde Partynächte feierte („Crazy in Love“), sich einfach mal den Frust von der Seele rappen wollte („99 Problems“) oder eine Erinnerung an die eigene Stärke brauchte („Run the World“), „The Carters“ hatten bisher einen Song für jede Lebenslage parat.
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Beyoncé und Jay-Z beenden ihre musikalische Trilogie
Lemonade und 4:44 erzählten nacheinander und aufeinander abgestimmt die Geschichte einer Liebe, die wegen Untreue beinahe gescheitert wäre, jedoch mit viel Arbeit und Vergebung überlebte. In der heutigen Wegwerfgesellschaft und bei einer Scheidunsgsrate von gefühlten 50 Prozent eine bewundernswerte Leistung und fast schon ein Unikat in Promi-Kreisen. Bey wurde betrogen – ein Thema, mit dem sich fast jeder Mensch auf der Welt identifizieren kann. Jay-Z stand zu seinem Fehltritt und entschuldigte sich auf seiner Platte – auch da kann man sich einfühlen und seine Ehrlichkeit respektieren. Beide betreiben Storytelling auf hohem künstlerischen Niveau und schufen etwas vorher nie Dagewesenes, während sie es gleichzeitig schafften, nahbarer zu werden: Hey, wir sind zwar Beyoncé und Jay-Z, aber auch wir haben die selben Probleme wie du.
THE CARTERS sind Kunst & Kultur, kein Mainstream
Der Tenor des letzten Teils der Trilogie, Everything is Love, ist ein anderer. Das Album fühlt sich schwerer an und irgendwie weiter weg von den Alltagsproblemen der Masse. Damit haben sie ihr thematisches Repertoire trotzdem definitiv erweitert: Hier geht es um Kunst, schwarze Kultur, Rassismus und Ungleichheit, ihren Erfolg als vermögendes Power-Couple und ihre wiedergefundene Liebe. Ich verstehe auch, dass das Album sowohl als Gesamtwerk als auch in speziellen Songs wie „Black Effect“ und „Apes**t“ für mich als weiße Frau in Deutschland nicht dasselbe bedeutet wie für schwarze Personen. Aber ich stelle fest, dass ich mich während des ersten, zweiten und auch dritten Hörens nicht dabei erwische kontinuierlich mitwippen oder singen zu wollen und das finde ich schade, aus musikalischer, melodischer Sicht, aus Sicht des Mainstreams. Ich kann mich mit dem Besingen ihres Reichtums, ihres Erfolges, ihrer heißen Liebe an privaten Traumstränden oder ihrer internationalen Bekanntheit nicht identifizieren. Natürlich sind die beiden etwas Besonderes, sie sind weltberühmt. Songtexte wie „No need to ask / you heard about us”, „My friends, real friends, better than your friends“ treffen allerdings eine klare Aussage, mit der ich so viel nicht anfangen kann: Vorbei sind die Zeiten der offenen Verletzlichkeit, die man in Lemonade und 4:44 heraushören konnte. In Everything is Love drehen die Carters ihre Egos auf 180 und hauen gewaltig auf die Kacke.
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Everything is Love: Einfach anders als erwartet
Beyoncé ist meiner Meinung nach eine der besten Sängerinnen ihrer Generation, zeigt hier aber eher ihre Sprechgesang-Fähigkeiten – auch mal schön, aber die Balance zu einem melodischen Refrain zum Mitgröhlen suche ich vergeblich. Lemonade hatte unglaublich aufwendige, begleitende Visuals und die Hymne des Sommers „Formation“, was in diesem Fall das Fehlen eines weiteren Radiohits für mich wettmachte. 4:44 begleiteten ebenfalls mehrere filmische Darstellungen, die die Thematik des Reifeprozesses eines eigentlich schon erwachsenen Mannes noch verdeutlichten. Beide Alben liefen bei mir über Tage hinweg in Dauerschleife. Immer wieder fand ich Songs und Texte, die mich trafen und berührten, die bei aller Ferne zwischen dem Entertainerpaar und mir eine Art Nähe schafften, wie es nur Musik kann. Everything is Love gefällt mir zwar mit jedem Mal besser, aber es löst keinerlei überwältigenden Emotionen in mir aus.
Natürlich spreche ich hier immer noch von zwei der besten Künstler*innen der Welt. Selbstverständlich ist das Album nach wie vor ein Meisterstück, und das fast meinungsunabhängig: Das Video zur ersten Single „Apeshit“ hat so viele kulturelle Meta-Ebenen und thematisiert so viel bereits Gesagtes in einem ganz neuen Licht, dass man vor subtilen sowie nicht so subtilen Referenzen eine Dissertation darüber verfassen könnte. Mit Textzeilen wie „My great-great-grandchildren already rich / that’s a lot of brown children on your Forbes list“, dem Videosetting im Louvre, die Anordnung der Songs, wie „Summertime“ eine Ausdehnung des letzten Lemonade-Songs „All Night“ ist und dem klaren Kanye-Bezug („Beyzus”) schaffen die Carters mit Everything is Love Großes. Sie schließen den Kreis der Storyline und laden ihre Fans dazu ein, sie und ihre musikalische, künstlerische, kulturelle und romantische Geschichte mit ihnen zu feiern. So weit, so gut, nur hatte ich mir vom Ergebnis etwas anderes erhofft: weniger Abstraktion, mehr Mainstream, weniger über die zwei, mehr über alle, weniger Rap, mehr Pop, weniger Kunst und Meta, mehr Entertainment.
Immerhin ist Everything is Love für mehr Menschen zugänglich als die ersten beiden Teile der Trilogie: Obwohl Beyoncé auf dem Track „Nice“ die mit Tidal konkurrierende Streaming-Plattform disst („If I gave two fucks about streaming numbers / I would have put Lemonade up on Spotify”), haben Spotify- und Apple-Music-Abonnent*innen nach knapp 36 Stunden nun doch die Chance, sich ihr eigenes Bild vom Album zu machen und ihre persönlichen Hymnen darauf zu suchen.
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