Dass im 21. Jahrhundert eine Straße in Deutschland tatsächlich einen Namen mit einer rassistischen Bedeutung trägt, scheint unwahrscheinlich. Nein, sogar unglaubwürdig. Doch die Liste ist lang. In Großstädten wie Berlin, München, Hamburg und Köln, aber auch in kleineren Städten wie Ravensburg, Herford und Cuxhaven findet man sie – die Überreste der deutschen Kolonialzeit. Denn aus dieser stammen Bezeichnungen und gefährliche Akteure, die bis heute ihre Spuren hinterlassen haben. Ein Skandal, der für viele keiner ist.
Seit Jahren, ja sogar Jahrzehnten, setzten sich Initiativen und einzelne Aktivisten dafür ein, solche Straßen umzubenennen. Doch oft scheitert es an den Anwohnern selbst. Wie zum Beispiel in den Jahren 2010 und 2011, als die Bürgerinitiative „Pro Afrikanisches Viertel“ sich öffentlich gegen die Umbenennung von kolonialrassistischen Straßennamen aussprach. Sie wären Meilensteine der neuen Zukunft und ein „Wegweiserfür die Freundschaft Deutschlands mitden Völkern und Staaten Afrikas“, hießes damals. Doch sind diese Straßennamen nicht eher der respektlose Umgang mit der Vergangenheit? Ein unreflektiertes Hinnehmen, ein Normalisieren von Taten und Auswirkungen, die unsere Gesellschaft eigentlich erschüttern sollten?
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Oft sind die Straßennamen nicht offensichtlich rassistisch, sondern setzen voraus, dass man sich mit dem geschichtlichen Zusammenhang auseinandersetzt. Wie diese, welche Akteure aus der Kolonialzeit würdigen. Herrmann von Wissman zum Beispiel war ein Kolonialverbrecher, der als Kriegsheld gefeiert wurde. Er bereitete unter anderem die Besteuerung der Kolonisierten vor, die später den Maji-Maji-Krieg auslöste. 100.000 Menschen aus dem heutigen Tansania wurden ermordet. Franz Adolf Eduard Lüderitz, Gustav Nachtigal und Carl Peters waren die Begründer der deutschen Kolonien in Afrika. Die Erinnerung an sie und berüchtigten Sklavenhändlern wie Heinrich Carl von Schimmelmann und Heinrich Ernst von Schimmelmann ist bis heute auf den Schildern mancher Straßen gedruckt.
Genau wie die „Mohrenstrasse“. Man findet sie unter anderem im Herzen Berlins, in Köln, Wuppertal und Bonn. Lange muss man nicht recherchieren, um zu wissen, dass „Mohr“ eine entwürdigende Fremdbezeichnung für schwarze Menschen war, die glücklicherweise aus unserem heutigen Sprachgebrauch weitgehend verbannt wurde. Sie geht auf das Wort „moros“ zurück, das im Griechischen für töricht, einfältig, dumm und gottlos steht. Als „Mohren-Sklaven“ wurden unzählige Afrikaner im 17. Jahrhundert nach Berlin verschleppt. Trotz Protesten und medialer Aufmerksamkeit ist es bisher nicht gelungen, eine Straßenumbenennung durchzusetzen.
Doch woran liegt das? „Es ist die Nicht-Betroffenheit, ein Nicht-Sehen-Wollen, ein Unbewusstsein unserer Gesellschaft, in der man sich auf Menschen beruft, die Täter, die Massenmörder sind, die Länder kolonialisiert haben“, findet Tahir Della, Aktivist und Vorstand der „Initiative für Schwarze Menschen Deutschland“. Seit Jahren setzt er sich dafür ein, über die Kolonialgeschichte aufzuklären, und brachte mit „Berliner Entwicklungspolitischer Ratschlag“, „Berlin Postkolonial“und der „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland“das Dossier „Stadt neu lesen“ heraus, welches über kolonialrassistische Straßennamen aufklärt.
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„Viele Leute sagen, dass diese Akteure zum Teil auch Gutes getan haben – zum Beispiel Straßen gebaut. Und zum zweiten werden die Taten nicht als relevant betrachtet. Dieses Normalisieren von Völkermord und Kolonialisierung hat zufolge, dass die Leute die Vergangenheit so hinnehmen. Natürlich fehlt hier komplett die Perspektive der Betroffenen. Diese empfinden das keineswegs als normal. Die ehemals kolonialisierten Länder leiden noch heute an den Spätfolgen“, erklärt er weiter.
Doch bei wem liegt die Verantwortung, etwas zu verändern? „Aktuell ist es zum Beispiel in Berlin so, dass die einzelnen Bezirke für die Straßen zuständig sind. Deswegen fordern wir ein gesamtstädtisches Konzept. Denn dieses Abkämpfen mit den einzelnen Bezirken ist mühsam und scheitert maßgeblich an den Anwohnern. Wir brauchen etwas, was von einer Stadt selbst organisiert wird. Denn hier geht es letztendlich auch um das Ansehen einer Stadt, die sich auf bestimmte Akteure bezieht. Der Stadt selbst sollte es wichtig sein, sich umzupositionieren und deutlich zu machen, dass man sich von der Geschichte nicht distanziert, sondern verantwortlich zeigt“, sagt Della. „Nach der Wende zur deutschen Wiedervereinigung wurden ja auch Straßen umbenannt, weil man gesagt hat, dass man sich aufbestimmte Akteure nicht mehr beziehen will. Die will man nicht ehren. Und so muss es auch bei der Kolonialgeschichte sein.“
Wir haben nicht die Möglichkeit, Taten aus der Vergangenheit zu ändern oder auszulöschen. Aber wir können uns mit der Thematik auseinandersetzen, uns näher informieren und mit Aufklärung etwas bewegen. Della jedenfalls plädiert an die Gesellschaft und hofft auf Eigeninitiative: „Man sollte E-Mails und Protestbriefe schreiben, deutlich machen, dass man rassistische und koloniale Straßennamen nicht mehr haben möchte. Man kann sich verschiedenen Gruppen anschließen, die unterstützende Arbeit leisten. Und deutlich machen, dass die Gesamtgesellschaft Position beziehen muss.“ Vor allem ist es wichtig, die Diskussion rund um dieses Thema immer wieder zu entfachen. So steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich nach und nach etwas ändert und ein komplettes Stadtbild eine aufgeklärte Gesellschaft widerspiegelt.
Wer mehr zum geschichtlichen Hintergrund erfahren will, findet diesen und eine Liste kolonialrassistischer Straßennamen auf der Seite „Freedom Roads“.
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