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Wie ich auf einer abgelegenen Insel meine Alkoholsucht besiegte

Foto: Lisa Swarna Khanna.
Zu viel trinken, bereuen, was man betrunken tut, mühsam seinen eigenen Platz in der großen weiten Welt zu finden und zu behaupten – das gehört für viele von uns zu den Zwanzigern . Und wenn wir ganz ehrlich sind, zieht sich das für viele auch noch bis in die Dreißiger. Genauso ging es auch Amy Liptrot – mit einem Unterschied: Der Alkohol radierte irgendwann alles andere aus. „Ich traf auf andere Menschen, die mit derselben Dringlichkeit zum Glas griffen und wusste, dass ich nicht alleine war“, erzählt Liptrot. „Es gehörte nicht einfach zum sozialen Leben, es war die antreibende Kraft dahinter.“ Angetrieben hat es auch ihre Autobiografie, The Outrun, in der Liptrot unerschrocken vom Suchtverfall und ihrer Rehabilitierung auf einer abgelegenen schottischen Insel spricht. Liptrot wuchs auf einer Farm in Orkney auf, einer Inselgruppe an der nordöstlichen Küste Schottlands, zog zum Studieren nach Edinburgh und anschließend weiter in den Süden, die grellen Lichter und dreckigen Straßen Londons lockten sie. Ihre Kindheit war einzigartig, die Anekdoten, die sie aus ihren Mittzwanzigern in einer europäischen Großstadt erzählt, kommen unseren hingegen ziemlich nah: Bier im Park, verkaterte Sonntage.
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Mir war nicht bewusst, wie leicht es ist, alles auf einmal zu verlieren.

Doch irgendwann wendet sich die Medaille, plötzlich fangen ihre Geschichten an, ein anderes Ende zu nehmen. Sie erzählen von Verlust, Arbeitslosigkeit, Körperverletzung, Misshandlung, Verhaftung wegen Alkohol am Steuer – die Ausschnitte ihrer 30er fahren fort mit Entzugsversuchen, vom alleine leben in einem anmaßenden Wohnschlafzimmer über einem Londoner Pub. „Man sagt, dass man in London immer auf der Suche nach einem Job, einer Wohnung oder einem Partner ist“, schreibt Amy. „Mir war nur nicht bewusst, wie leicht es ist, alles auf einmal zu verlieren.“ Alkoholismus ist ein starkes Wort, eines, das für viele Menschen unterschiedliche Bedeutungen trägt. Wir benutzen es scherzhaft, ironisch, oder flüstern es, wenn wir ernsthafte Vermutungen haben. Oft wird es aber gerade dann nicht ausgesprochen, wenn es nötig wäre. Sogar jetzt, seit 5 Jahren trocken und mit einem kürzlich veröffentlichten Buch über ihr Trinkverhalten und den Heilungsprozess in den Regalen der Buchhandlungen, scheint Alkoholismus kein Wort zu sein, das einem von uns einfach über die Lippen geht. „Alkoholismus folgt einem Verlaufsmuster“, erzählt Liptrot mir bei einer Tasse Tee in London, ganz nah dran an dem Leben, das sie einmal führte und über welches sie in ihrem Buch schreibt. „Es fängt damit an, dass du mit deinen Freunden streitest; solange, bis deine Freunde irgendwann nicht mehr deine Freunde sein wollen. Dann läuft es in der Arbeit immer schlechter, bis du irgendwann gefeuert wirst. Du verlierst deinen Job, verlierst Beziehungen, verlässt Partys frühstmöglich, um wieder nach Hause zu kommen und schneller mehr trinken zu können.“ „Vier oder fünf Jahre vor meiner Entzugskur war ich das erste Mal bei den Anonymen Alkoholikern“, fährt Liptrot fort. „Die Menschen um mich herum sagten mir, ich hätte ein Problem und wie die meisten Alkoholiker musste ich erst Phasen durchmachen, in denen ich dagegen ankämpfte, und versuchte meinen Konsum zu kontrollieren, und scheiterte. Ich bin nach der Arbeit in einen Laden mit der Absicht, mir zwei Bier zu holen, nur um mich ein paar Stunden später erneut vor dem Kühlregal wiederzufinden und mit vier Flaschen wieder nach Hause zu gehen. Das ist passierte bestimmt mehrere hundert Mal.“
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Spätestens dann, wenn du aufhören willst und es nicht schaffst, ist es ein Problem.

Dieses Gefühl des völligen Kontrollverlusts über das Trinkverhalten ist das, was viele als ein erstes Zeichen von Alkoholismus betrachten. Sarah Hepola, die in ihrer Autobiografie Blackout über ihre eigene Suchtgeschichte schreibt, sagte mir etwas Ähnliches. „Ich sagte mir immer wieder, ich würde nur drei Drinks auf einer Party nehmen, und jedes Mal wurden es zehn. Oder ich nahm mir vor, eine ganze Woche lang nicht zu trinken, aber dann erlaubte ich mir immer dienstags eine Ausnahme“, erzählt Hepola. „Es gibt viele Kernsätze, die auf eine Alkoholsucht hinweisen, aber einer der wichtigsten ist ‚Ich kann nicht aufhören‘. Wenn du aufhören willst und es nicht schaffst, spätestens dann merkst du, dass es zum Problem wird.“
Es gibt aber auch Menschen, wie beispielsweise Lucy Rocca, deren Dokumentation My name is... and I’m an Alcoholic diesen Monat erschienen ist, bei denen man keinen Alkoholmissbrauch vermuten würde, obwohl er da ist. In einem Artikel für die englische Tageszeitung The Guardian schreibt sie: „Es kam zu häufig vor, dass ich morgens aufwachte und mich selbst verabscheute für Dinge, die ich am Vorabend im Rausch gesagt oder getan hatte; zu viele Filmrisse, ganze Nächte, die in einem tiefschwarzen Loch aus alkoholisiertem Nichts verschwanden.“ „Manchmal hatte ich tatsächlich das Gefühl, ich müsste erstmal beweisen, wie schlimm mein Trinkverhalten wirklich ist und dass ich überhaupt ein Problem hatte“, sagt Liptrot. „Ich bin in London Menschen begegnet, die das alles nicht so schlimm fanden. Aber sie wussten auch nicht, wie es weiterging, sobald ich zuhause war.“
Eines Tages legte sich bei Amy, wie von alleine, ein Schalter um. Sie rief im Büro an, kündigte ihren Job und begab sich in Entzugskur. „Das Spiel war vorbei. Ich trank täglich. Ich versuchte jeden Tag den vorherigen runterzuspülen und zu vergessen.“
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Manchmal hatte ich das Gefühl, ich müsste erst beweisen, wie schlimm es war und dass ich überhaupt ein Problem hatte.

Erst als sie wieder nach Orkney zog und sich alleine auf Papa Westray niederließ – einer winzigen Insel mit 70 Einwohnern – merkte Liptrot, dass sie Fortschritte in ihrer Heilung machte und die Wahl eines Entzugs keine übertriebene war. „Die Anekdoten des Betrunkenseins und alles, was mir während meiner Sucht widerfahren ist, sind nur ein Teil meines Buchs“, so Liptrot. „Eigentlich geht es darum, was man mit sich anfängt, nachdem man mit dem Trinken aufhört, wie man einen neuen Lebensweg findet und das Ungewisse einfach geschehen lässt.“
Ungewissheit hieß in Amy Liptrots Fall vollkommen ins schottische Inselleben einzutauchen und zu lernen, ihre Umwelt und die Schönheit der Natur wieder wertzuschätzen: Sie fing an für die britische Königliche Gesellschaft für Vogelschutz zu arbeiten und nachts nach einem seltenen Vogel Ausschau zu halten, dem Wachtelkönig. Sie schwamm mit Fremden im Meer, errichtete gemeinsam mit ihrem Vater kleine Steindämme, sie fing mit dem Laufen und dem Schreiben an. „Als ich mit meinem Buch begann, war meine Motivation pure Verzweiflung – es gab einfach nichts Anderes, was ich noch hätte tun können. Mittlerweile merke ich, dass das Schreiben mindestens genauso viel zu meiner Heilung beigetragen hat wie das 12-Stufen-Programm oder die Zeit, die ich im Freien beim Schwimmen oder Beobachten der Vögel verbringe. Ich konnte nicht wissen, wohin mich dieser Weg führen würde, aber ich war es mir schuldig, das herauszufinden.“ The Outrun von Amy Liptrot erscheint in Deutschland am 1. September.
Übersetzt von Rea Mahrous
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