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Körperbewusstsein, Freiheit & Arbeit: Tänzerin Nikeata Thompson im Porträt

FOTO: getty
Wer mit Nikeata Thompson durch Berlin läuft, braucht in etwa doppelt so lange, um ans Ziel zu kommen. Die Frau, die von Beruf Tänzerin ist, kennt gefühlt die halbe Stadt. Küsschen hier, freudige Wiedersehensschreie da. Wer sie nicht persönlich kennt, der tut das zumindest aus dem Fernsehen. Mit fast allen spricht Nikeata so, als wären sie Freunde. Sie ist interessiert, gibt Komplimente, ohne dabei falsch zu wirken. Man glaubt ihr das alles sofort. Auch drei junge Mädchen haben keine Scheu sie im Restaurant anzusprechen. Der Beweis dafür wie nahbar sie wirkt. Wie ihrer Tante erzählen sie, der eine Türsteher würde die 16-Jährigen nicht aufs Konzert von Bibi Bourelly lassen. Nikeata geht dort auch hin an diesem Abend. Sie ist sofort zur Stelle: Vielleicht bekomme sie das irgendwie hin, sagt sie. Das gibt Credibility-Punkte. Angefangen zu tanzen hat Nikeata ungefähr im Alter dieser Teenager. Eigentlich war sie die große Olympiahoffnung als Leichtathletin für ihre Pflegefamilie, bei der sie in Wermskirchen aufwuchs. Ihre leiblichen Eltern – die Mutter Engländerin, der Vater Jamaikaner – gingen nach einer kurzen Zeit in Deutschland wieder zurück nach England. Als Dunkelhäutiger war man damals Minderheit in Deutschland. Und dann war da auch noch die fremde Sprache. Ihre Tochter, die 1980 in Birmingham geboren wurde, fühlte sich dagegen wohl. Nikeata entwickelte sich gut in dem beschaulichen Städtchen. Also blieb sie dort bei der befreundeten Familie wohnen. Mit 16 Jahren durfte sie noch nicht ausgehen. Wie jeder Jugendliche will man gerade das tun, was eigentlich unerlaubt ist. Also schlich sie nachts heimlich aus ihrem Zimmerfenster und fuhr in die Diskothek „Neuschwanstein“ nach Köln. Erst neulich, in einer Talkshow, als ihre deutsche Mama auch im Publikum saß, erfuhr sie davon. In dieser Zeit wollte sich das junge Mädchen aber nicht besaufen wie andere. Sie wollte tanzen. Und das tat sie, so oft es eben ging. Da habe sich plötzlich eine ganz neue, bislang unbekannte Welt für sie aufgetan, erinnert sie sich an die Magie, die sie da vor sich sah. Von dem Schauspieler Tyron Ricketts, der sie damals beobachtete, wurde sie „Duracell“ genannt, weil sie nie müde wurde. Bis die Lichter angingen, probierte sie sich und ihren Körper im Takt der Musik aus. Das mit der Leichtathletik beendete sie. Nikeata wurde klar, dass sie irgendetwas mit Tanz machen möchte. Ab da hieß es für sie: ganz oder gar nicht. So sei sie eben, sagt sie. Der Ehrgeiz steht ihr ins Gesicht geschrieben, wenn sie so einen Satz sagt. Nikeata weiß genau, was sie will. Und dafür bemüht sie sich. Auch wenn es nur der Gang zur Bar ist, wo sie ihren Drink, der ewig nicht kommt, einfach selbst abholt. Daran dass Tanzen irgendwann sogar ihr Beruf sein würde, trotz dessen sie nie eine Tanzschule besucht hat, hatte sie damals nicht gedacht.
Und doch kam eins zum anderen: Sie wird Choreografin für namhafte Musiker wie SEEED, Lena Meyer-Landruth, Frida Gold oder Namika, gibt Coachings auch für Tom Hanks in einem Film. Lange stand sie damit vor allem im Hintergrund, war diejenige, die die Fäden in Sachen Körpersprache und Bühnenpräsenz zog. Nun coacht Nikeata nicht mehr nur aus der zweiten Reihe. Mittlerweile kann sie ihrer Persönlichkeit Raum verleihen, sich auf die eigene Bühne stellen und Star sein. Im Mittelpunkt zu stehen, auch auf der Tanzfläche in einem Club, das braucht Mut und Selbstvertrauen. Genau das versuche Nikeata ihren Tanzschülern mitzugeben, sagt sie. Auch den Models bei „Germany’s Next Topmodel“. Es gehe darum, zu lernen, wie man mit seinem Körper umgeht. Wer sich an Lena Meyer-Landruths erste Auftritte und ihre eher eigenartigen Bewegungen erinnert, kann sich denken, wie die Choreografin ihr damals geholfen haben muss. Tanzen bedeutet für Nikeata loszulassen, Körperbewusstsein, Freisein und natürlich Arbeit. Und doch sieht sie, wenn sie tanzt, unglaublich leichtfüßig aus, so als würde sie etwas Alltägliches tun, wie ins Telefon zu tippen oder so. Aber auch sie strengt es an. Bis zu sieben Stunden täglich ist Nikeata im Studio, wenn sie nicht gerade für einen Job unterwegs ist. Dass nicht jeder sofort beim Tanzen so aussehen kann wie sie, das muss einem klar sein. Das Taktgefühl aber, also diesen Grundbeat, den habe jeder, sagt sie. Man müsste den nur fördern. Nikeata findet, Tanzen sollte viel mehr als Sportart angesehen werden. Nur sei das Problem, dass sich viele nicht trauen würden. Sie würden sich in ihrer eigenen Welt reduzieren und aus Scham Dinge nicht ausprobieren. Zu groß, zu dick, zu schlaksig – sich nicht so wohlfühlen, wenn es zum Beispiel hell ist. Und es merkwürdig finden, sich extrovertiert zu bewegen. Wir Deutschen, sagt sie, seien ja sehr genau, was die eigene Figur angeht. Hat man nicht Größe 38, sei man schon schwer. Dabei hat Tanzen nur mit seinem inneren Wohlergehen zu tun, nichts mit Äußerlichkeiten. Vor allem die Menschen, die extrovertiert sind, obwohl sie nicht besonders gut tanzen können oder angeblich nicht in die Norm passen, bewundere sie. Tanzen also als Sport, den jeder kann. Im Juli hat Nikeata einen ersten Schritt in die Richtung getan. Sie hat die Online-Tanzschule „Urban Dance School“ (UDS) gegründet. Sie soll die Gegenantwort zu den unzähligen Fitness-Apps sein, die einem noch mehr einbläuen, man sei nicht perfekt genug. In denen es immer heißt: ‚In zehn Wochen hast du deine Bikinifigur!‘ Alles sei mit diesem Druck verbunden. Natürlich ist der Körper wichtig, aber sollte nicht im Zentrum stehen und der einzige Reiz sein, sich zu bewegen. Lasst uns lieber alle zusammen tanzen! Das will Nikeata sagen. Der Körper werde ganz nebenbei straffer und fitter. Ist ja ganz klar: Beim Tanzen steht man fast ständig im Squad. Mit halb gebeugten Knien, immer am Bouncen. Der Körper ist damit dauerhaft in Bewegung und angespannt. Und das geht genau dahin, wo die Problemzonen sind. Bauch, Beine, Po. Aber abgesehen vom Körperlichen, ist auch das Psychische von großer Bedeutung. Ein inneres Gefühl von Leben entstehe da. Was natürlich nicht heißen soll, dass man alle Probleme einfach wegtanzen könne. Kein Wunder also, dass die Blicke ganz automatisch von allen Seiten kommen, wenn sie an diesem Abend vom Interview im Restaurant die zehn Meter zum Konzert im Club nebenan läuft. Natürlich weil sie bekannt ist, aber eben auch, weil sie eine Erscheinung ist. Man schaut Nikeata gerne an: ihren Körper, wie er schwingt, auch schon bei den kleinsten Bewegungen. Stets mit gezielter und doch unprätentiöser Eleganz. Auf hohen Schuhen, in engen Hosen, mit Bluse. Stolz und aufrecht. Verrückt ist, dass diese Frau trotz all ihrer eher künstlichen Features durch ihre Art so gar nicht künstlich wirkt. Dabei kann man Natürlichkeit mit äußerlicher Natürlichkeit eigentlich auch gar nicht gleichsetzen. Aber manikürte Nägel, frisierte Haare, angeklebte Wimpern, sowas steckt man schnell in bestimmte Schubladen. Das mit den Schubladen brauchen manche Menschen, um ihre Realität zu ordnen. Nikeata mag das nicht, weiß aber genau, dass man als Frau schnell in gewisse Ecken gedrängt wird. Deshalb war vor ein paar Jahren vielleicht auch ein Grund für sie, sich die Haare abzurasieren. Man erahnt, dass ihr das Tanzen zu ihrer extrovertierten Haltung verholfen hat. Sie wirkt selbstbewusst, ist stellenweise überdreht. Kaum zu glauben, dass auch sie manchmal keine Lust hat aufzustehen. Schlechte Laune? Aber natürlich hat sie die manchmal, sagt sie. Ihre Endorphinausschüttung scheint trotzdem doppelt, vielleicht sogar dreimal so viel wie bei anderen Menschen. Es ist fast ein bisschen ansteckend. Peter Fox sagte mal über sie, dass es genau deshalb so anstrengend sei, mit Nikeata zu arbeiten, aber deshalb auch so gut. Dass Bewegung glücklich macht, das weiß man, wenn man sich erstmal dazu überwunden hat. Rhythmisch, organisch, den eigenen Körper zur Musik spüren, die einen allein schon beim Zuhören fröhlich stimmt – das gelingt einem am Ende vor allem beim Tanzen. Es ist schlicht ein Gefühl, dass einen dabei lenkt, Gliedmaßen und Rumpf zu bewegen. Choreografien einzustudieren, das bedeutet dann natürlich auch Konzentration, Koordination, Motorik. Alles auf einmal. Da sind Hirn und Körper gefragt, im Einklang miteinander zu funktionieren. Aber eigentlich gehe es nicht um Können oder nicht Können, sagt Nikeata. Jeder sollte sich ausprobieren, findet sie. So häufig sehe sie Leute in Clubs, die tanzen wollen, sich aber nicht trauen. Mit „UDS“ könnten sie sich ein paar Moves aus insgesamt neun Choreografien abgucken. Hip Hop, Dancehall, Street. Oder Popping, wo man lernt, einzelne Muskeln gezielt anzuspannen und dabei aussieht wie ein Roboter. Tanzen sei eine demokratische Angelegenheit, findet Nikeata. Daher sollte sich da auch nicht die Altersfrage stellen. Sie fragt sich, wieso mit alten Menschen überhaupt immer nur noch spaziert werde? Leute, die ihr ganzes Leben getanzt haben, hätten schließlich auch noch im Alter beneidenswerte Körper. Aber vor allem eine schöne Ausstrahlung. Es sei ja eine Sache der Aura, die wächst, wenn man ein gewisses Körperbewusstsein entwickelt. Nikeata ist da das perfekte Beispiel.

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