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Will Smiths Oscar-Ohrfeige war falsch, aber wichtig

Foto: bereitgestellt von ABC.
Gerade, als wir dachten, die Oscars könnten gar nicht noch chaotischer laufen als der berüchtigte „Bester Film“-Fail von 2017, lieferten uns die diesjährigen Academy Awards einen der unvorstellbarsten und schockierendsten Skandale ihrer bisherigen Live-Show-Geschichte: Will Smith verpasste Chris Rock vor den Augen der Hollywood-Elite und der gesamten TV-Welt eine Ohrfeige. Dieser Moment hat die Timeline in zwei klare Lager aufgeteilt: Einige sind enttäuscht von Will Smiths Verhalten, andere wiederum zutiefst beeindruckt. Diese Streiterei ist aber nicht so schwarz und weiß, wie sie vielleicht scheint – insbesondere, weil in ihrem Zentrum der mangelnde Respekt gegenüber einer Schwarzen Frau steht.
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Die Oscars 2022, produziert von Will Packer (der das erste komplett Schwarze Produktionsteam der Show anführte), versprachen schon vor Beginn, eine bisher nie dagewesene Zeremonie zu werden. Beyoncé kehrte endlich wieder ins Rampenlicht zurück, Megan thee Stallion war zum ersten Mal mit dabei, und Ariana DeBose schrieb Geschichte als erste Afro-Latina und offen queere Frau, die den Titel für „Beste Nebendarstellerin“ mit nach Hause nahm. Und alles lief auch relativ glatt, bis ein geschmackloser „Witz“ den Abend entgleisen ließ. Während er auf der Bühne den Award für „Beste Dokumentation (kurz)“ anmoderierte, richtete der Comedian und Schauspieler Chris Rock einen seiner typisch provokanten Witze in Richtung Jada Pinkett Smith und deren neuerdings rasierten Kopf – für den sie sich entschied, wie sie seitdem verraten hat, weil sie unter Alopezie und Haarverlust leidet.
„Jada, ich liebe dich“, witzelte Rock auf der Bühne. „Die Akte Jane 2 – ich freu mich schon drauf.“
Der Witz, eine Anspielung auf Demi Moores berühmten Kurzhaarschnitt im 1997er-Actionfilm Die Akte Jane, kam bei den Smiths nicht gut an. Smith erhob sich von seinem Stuhl, schlenderte lässig auf die Bühne zu Rock und schlug ihm ins Gesicht, während ihre Kolleg:innen entsetzt zusahen. Nachdem er zu seinem Platz zurückgekehrt war, machte der King-Richard-Star dem ganzen Publikum seine Gründe für den Schlag klar: 
„Nimm nicht den Namen meiner Frau in deinen verf*ckten Mund“, sagte Smith, während Rock verwirrt und benommen auf der Bühne stand. Smith nutzte später seine Dankesrede für seinen „Bester Darsteller“-Preis, um sich zur Ohrfeige zu äußern und sich bei der Academy und dem Publikum zu entschuldigen (nicht aber bei Rock).
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„Ich versuche, die Menschen in meinem Leben zu lieben und zu beschützen“, erzählte er dem Publikum mit dem Oscar in seiner Hand. „Ich weiß, dass wir Beschimpfungen und Schmähungen runterschlucken müssen, um das zu tun, was wir [Schauspieler:innen] tun. Du musst damit klarkommen, dass die Leute in diesem Business negativ über dich reden. Du musst damit klarkommen, dass dich die Leute nicht respektieren, musst aber dabei lächeln und so tun können, als sei das okay. Denzel [Washington] meinte vor ein paar Minuten zu mir: ‚An deinem Höhepunkt solltest du vorsichtig sein: Genau dann kommt dich der Teufel holen.‘“
„Ich wirke gerade wie ein irrer Vater – was auch Richard Williams vorgeworfen wurde“, sagte er abschließend. „Aber Liebe bringt dich dazu, Verrücktes zu tun.“

Pinkett Smith dermaßen ins Rampenlicht zu zerren, indem er sich vor versammelter Mannschaft über ihren rasierten Kopf lustig macht, der eine Nebenwirkung einer Autoimmunerkrankung ist, war eine miese Nummer und ein eindeutiges Beispiel für die ganz besondere Art von Mobbing, unter der Schwarze Frauen in aller Welt jeden Tag zu leiden haben.

Smiths mühsam kreiertes öffentliches Image als liebevoller Vater und Ehemann und liebenswürdiger Scherzkeks hätte uns nie vermuten lassen, dass er jemals jemanden körperlich konfrontieren würde – vor allem nicht einen anderen Prominenten, auf der Bühne des größten Hollywood-Events. Um diese schockierende Auseinandersetzung zu verstehen, brauchen wir aber tatsächlich deutlich mehr Kontext. Obwohl seine Rede dem Schock der Ohrfeige nichts abtut (und auch nicht an den möglichen professionellen und gerichtlichen Konsequenzen rütteln dürfte), werfen Smiths emotionale Worte doch ein Licht darauf, was ihn überhaupt dazu bewegt haben könnte. Schon seit Jahren wird öffentlich über ihn und seine Frau gelästert. Ihre Ehe wurde wieder und wieder hinterfragt und zu Memes verarbeitet, nachdem im Juli 2020 Pinkett Smiths komplizierte Beziehung zum R&B-Sänger August Alsina bekannt wurde. Beinahe zwei Jahre nach ihrer emotionalen Red-Table-Talk-Episode, in der sie öffentlich darüber sprachen, werden die Smiths immer noch bei jeder Gelegenheit an diese Vergangenheit erinnert; ein Großteil der Presse-Tour zu seinen Memoiren und für King Richard wurde durch beiläufige Kommentare und geschmacklose Anspielungen dominiert. Und 2016, als Pinkett Smith die Academy Awards zugunsten der Bewegung #OscarsSoWhite boykottierte, machte Chris Rock bei der Preisverleihung mehrere Witze auf ihre Kosten, auf genau derselben Bühne. Nachdem er und seine Frau also schon diverse Male zur Zielscheibe rücksichtsloser „Witze“ geworden waren, verlor Smith also diese Woche an einem der wichtigsten Abende seiner Karriere die Nerven.
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Klar lässt sich Smiths Verhalten jetzt als öffentlicher Wutausbruch abtun, aber dahinter steckt in Wahrheit noch so viel mehr. Schon seit 2018 spricht Pinkett Smith offen über ihre komplizierte persönliche Beziehung zu ihren Haaren. Sie verriet, dass ihr typischer Turban tatsächlich ein Versuch war, ihren enormen Haarverlust zu verbergen, bedingt durch Alopecia Areata (kreisrunden Haarausfall). Im Dezember 2021 rasierte die Schauspielerin ihren Kopf dann völlig kahl und präsentierte den neuen Look auf Instagram.
Ja, Rock ist ein Comedian, der dafür bekannt ist, unter dem Vorwand der „Unterhaltung“ all das laut auszusprechen, was ihm gerade so durch den Kopf schießt. Wir alle wissen aber, dass „Comedy“ kein Freifahrtschein für Diskriminierung und Ausgrenzung ist. Pinkett Smith dermaßen ins Rampenlicht zu zerren, indem er sich vor versammelter Mannschaft über ihren rasierten Kopf lustig macht, der eine Nebenwirkung einer Autoimmunerkrankung ist, war eine miese Nummer und ein eindeutiges Beispiel für die ganz besondere Art von Mobbing, unter der Schwarze Frauen in aller Welt jeden Tag zu leiden haben. Schwarze Haare in jeder Form werden für diesen oder jenen Grund kritisiert – und das weiß auch Rock ganz genau. Schließlich war er selbst Produzent der Dokumentation Good Hair aus dem Jahr 2009, die sich mit der komplizierten Beziehung Schwarzer Frauen mit ihren Haaren beschäftigt. Trotz all des wichtigen Wissens, das er für seinen Film vermeintlich aus den zahlreichen Interviews mit Schwarzen Frauen gewann, scheint sein daraus entwickeltes einfühlsames Verständnis letztlich weniger wichtiger zu sein als ein Witz auf Kosten einer Schwarzen Frau. Aber hey, in Sachen Comedy ist schließlich alles erlaubt, ne?
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Einerseits haute Smith Rock vor aller Augen eins runter – eine unerwartete und unangebracht gewaltsame Reaktion, wenn man mal bedenkt, in welchem Umfeld sie stattfand. (Eine Ohrfeige? Auf der Bühne der Oscars? Unvorstellbar!) Andererseits ist Smiths Reaktion eine Konsequenz der problematischen Kultur der Misogynie gegenüber Schwarzer Frauen, in der es geläufig und scheinbar völlig akzeptabel ist, Schwarze Frauen sowohl im Privaten als auch in der Öffentlichkeit niederzumachen, ohne jegliche Konsequenzen zu fürchten. Rocks „Witz“ über Pinkett Smiths Haare war durch und durch diskriminierend – selbst dann, falls er nichts von ihrer Krankheit wusste –, doch setzte Smith dem Ganzen ein Ende, indem er seiner Frau (wenn auch auf sehr drastische Art) seinen Rückhalt bewies. Diese Unterstützung sehen wir leider viel zu selten. Weil Schwarze Frauen so oft zur Zielscheibe körperlicher, emotionaler und geistiger Gewalt werden, ohne dabei von anderen Unterstützung zu bekommen – selbst innerhalb der Schwarzen Community –, fühlt sich der beliebte Spruch „Protect Black women“ oft wie eine Plattitüde an, weil darauf keine Handlungen folgen. Das tatsächliche „Beschützen“ sieht man im wahren Leben nur selten.
Foto: Myung Chun/Los Angeles Times/Getty Images.
So verstörend diese Auseinandersetzung also auch gewesen sein mag: Ich würde lügen, wenn ich jetzt behaupten würde, dass es mich nicht irgendwie gerührt hat, einen Schwarzen Mann zu sehen, der seiner Schwarzen Frau ohne Zögern zur Hilfe eilt. Klar ließe sich dieser Einsatz von körperlicher Gewalt auch als Symptom toxischer Männlichkeit deuten – doch zeugt er sehr wohl von Solidarität. Und es ist nie ein Grund zur Scham, wenn Schwarze Menschen über ihren eigenen Schatten springen und einander helfen. 
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Es ist wenig überraschend, dass manche Menschen – sprich: weiße Menschen – völlig über die Komplexität dessen hinwegsehen, was sich hier vor ihren Augen abspielte, indem sie die emotionale Gewalt von Rocks Verhalten außer Acht lassen und stattdessen Smiths körperliche Gewalt betonen.

Natürlich betrachtet aber nicht jede:r die Ereignisse durch diese Linse. Auf der anderen Seite des Internets hat die Diskussion rund um die Ohrfeige eine andere Richtung eingeschlagen. Manche sind enttäuscht von Smiths Verhalten, andere fordern sogar, ihm solle sein Oscar entzogen werden oder er solle sogar verhaftet werden (obwohl Rock bereits abgelehnt hat, Anzeige zu erstatten). Es ist wenig überraschend, dass manche Menschen – sprich: weiße Menschen – völlig über die Komplexität dessen hinwegsehen, was sich hier vor ihren Augen abspielte, indem sie die emotionale Gewalt von Rocks Verhalten außer Acht lassen und stattdessen Smiths körperliche Gewalt betonen. Wer selbst keine Ahnung davon hat, was es heißt, als Schwarze Frau in dieser Welt zu leben (und insbesondere als Schwarze Frau mit einer Be_hinderung), sieht einen Witz über Pinkett Smiths Haare vielleicht nur als solchen – als Witz. Und anstatt Mitgefühl für die Menschen zu empfinden, die Rock mit seiner Rede verletzte, deuten sie instinktiv an, Smith sei eine Gefahr für sein Umfeld, weil er sich für seine Frau einsetzt. Es ist merkwürdig, aber überhaupt nicht überraschend, dass sich die Meute so schnell gegen Smith stellt. Was mich aber sehr wohl an der öffentlichen Reaktion erstaunt – insbesondere der von Smiths Kolleg:innen –, ist, dass sich Hollywood scheinbar genau aussucht, wen es für Gewalt verurteilt. Der Regisseur Judd Apatow – derselbe Mann, der wegschaute, als sich James Franco am Set von Voll daneben, voll im Leben an Busy Phillips vergriff – brachte irgendwie sogar die Dreistigkeit auf, zu twittern, Smith habe „den Verstand verloren“ (bevor er den Tweet wieder löschte). Interessant!
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Keine Frage: Dieser Anlass war sicher nicht der beste Ort und Zeitpunkt für Smiths Verhalten – aber die feindselige Reaktion gegen ihn (nicht gegen Rock), die Pinkett Smith quasi völlig ignoriert, ist doch verstörend. Letztlich ist es unschön, dass jemand auf der Bühne der Oscars geohrfeigt wurde, aber jetzt zu fordern, Smith sollte sein Award abgesprochen werden, weil „Gewalt keine Lösung“ ist, lässt außer Acht, dass genau diese Institution schon mehrmals tatsächlich missbräuchliche Männer und Vergewaltiger wie Harvey Weinstein und Roman Polanski unter Schutz genommen hat. Eindeutig ist eine gewisse Gewalt und der konstante Mangel an Respekt gegenüber Schwarzer Frauen für dieselben Menschen überhaupt kein Thema, die sich jetzt so sehr über Smiths Ohrfeige aufregen.
Schwarze Frauen verdienen es, beschützt zu werden. Jemandem in der Öffentlichkeit (oder im Privaten!) eine runterzuhauen, ist nicht okay. Aber es sollte auch echte Konsequenzen dafür geben, eine Schwarze Frau zu diskriminieren. „Liebe“ ist keine Ausrede für Gewalt. Und all diese Aussagen können gleichzeitig wahr sein.
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