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Ich bin klein, aber nicht dein Mäuschen!

Ich bin knapp 1,60 Meter groß, habe blonde Haare und wecke deshalb Emotionen, die man sonst beim Betrachten eines Katzen-GIFs spürt: Oh! Guck mal, wie niedlich. In meinem ersten Job wusste mein Chef sehr wohl, wie ich heiße. Er nannte mich aber lieber Mausi. „Mausi, holst du den Kaffee?“. Ich lächelte höflich. Einmal, zweimal, fünfhundertmal. Mausi. Fünf Buchstaben, die dezent darauf hinweisen, wo der eigene Platz im Büro ist: an der Kaffeemaschine, am Kopierer, neben den rosafarbenen Post-Its. Meinen Vornamen zusammen mit einer Kaffeetasse durch den Raum geschleudert habe ich trotzdem nie. Meine Größe und mein Auftreten machen mich zum personifizierten Streichelzoo. Ich trage keine Hosen und meistens rosafarbene Jacken. Wenn ich tanzen gehe, werde ich grundsätzlich nach dem Ausweis gefragt. Ich möchte gar nicht abstreiten, dass Niedlichkeit im Leben erstmal keine Hürde darstellt: Der Rest der Welt begegnet dir mit Wohlwollen und hilft gerne dabei, schwere Tüten zu tragen, hohe Dinge zu erreichen oder den passenden Kosenamen für jede Situation zu erfinden. Lange waren mein Stereotyp und ich deshalb eineiige Zwillinge. Große Augen zu machen und mit jeder Faser meines knapp 1,60 Meter großen Körpers Probleme wegzulächeln, hat die unschlagbare Superkraft, sofort Harmonie zu schaffen. Kompliziert ist es erst, seitdem ich beschlossen habe, nicht grundsätzlich gefallen zu wollen. Ich zwinge mich dazu, den Mund aufzumachen – auch, wenn das Konflikt bedeutet. Was dann passiert, läuft in der Regel immer nach demselben Schema ab. Sobald ich aufgehört habe, zu sprechen, breitet sich im Gesicht meines Gegenübers mildes Lächeln aus. „Süß“, ist eine der häufigsten Reaktionen. Oder wahlweise: „Sei doch nicht so hysterisch.“ Ich bin nicht hysterisch, ich bin stinksauer. Wenn ich widerspreche, wird mein Standpunkt zwar wahrgenommen, doch selten außerhalb dieser Klischees. Ich habe aber keine Lust darauf, zuallererst niedlich und dann alles andere zu sein. Ich bin klein, aber nicht dein Mäuschen! Dieser Text erschien zuerst am 26.10.2016 und ist Teil der Reihe „Schluss mit Stereotypen: 29 starke Frauen stellen klar, warum Klischees schwach sind“.
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