Ich halte Kanye West für großartig. Das habe ich immer getan. Aber ich hatte auch schon immer die Vermutung, dass er an einer Bipolaren Persönlichkeitsstörung leidet.
Ich kenne Kanye West nicht persönlich. Ich kenne auch sonst niemanden, der Kanye West persönlich kennt. Außerdem bin ich kein Arzt, noch ist es mein Job, ob nun bei wildfremden oder mir bekannten Personen, psychische Krankheiten zu diagnostizieren. Aber ich arbeite mit psychisch Kranken und ich kenne mich seht gut mit den Anzeichen und Symptomen einer solchen Erkrankung aus. Ich erkenne Wahnsinn, wenn ich ihn sehe. Und die Wutrede, die ich am Samstag gesehen habe – diese lange, augenscheinlich improvisierte Ansprache bei seinem Konzert in Sacramento über alles von Trump bis hin zu Beyoncé, die angeblich die VMAs manipuliert haben soll – war sicherlich das Verhalten einer Person, die an ernsthaften psychischen Problemen leidet, wie etwa Selbstüberschätzung, Paranoia, Gedankenflucht und Verfolgungswahn.
Noch einmal: Ich bin nicht in der Position, einem Prominenten eine psychische Erkrankung zu bescheinigen. Ich kann jedoch auf den kritischen mentalen Zustand eines anderen aufmerksam machen. Und momentan ist der mentalen Zustand von Kanye West der im Zweifel steht. Derselbe Kanye West, der in dieser Woche erklärte, Jay Z wolle einen Killer auf ihn ansetzen. Der Kanye West, der sich derzeit wegen Dehydration und Erschöpfung in Behandlung befindet, nachdem, Medienberichten zufolge, jemand wegen eines ”psychatrischen Notfalls” den Notruf gewählt hatte. Von dem berichtet wird, dass er mehr als 48 Stunden am Stück in seinem Studio verbracht hat und in dessen Track ”Clique” ganz offen davon erzählt wird, dass er Phasen tiefster Depression durchlebte und an einem gewissen Punkt sogar Selbstmord in Betracht zog.
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Trotz alledem versagen wir mit unseren Urteilen, wenn wir ihm nun dabei zusehen, wie er vor den Augen der Öffentlichkeit zusammenbricht. Seit dem Vorfall am Samstag haben wir die Zeit damit verbracht, mit dem Finger auf Kanyes Unglück, seine Verwirrtheit, seine Aggression zu zeigen und zu sagen: „Ach ne, der dreht ja mal wieder vollkommen durch. Er ist so ein Arschloch.“ Die hässliche Wahrheit darüber, wie wir über die psychischen Leiden anderer, besonders die der Prominenten, denken, sieht nämlich so aus: Es ist okay an einer psychischen Krankheit zu leiden. Aber es ist nicht okay, sie zu zeigen.
Als Britney Spears sich den Kopf rasierte und mit Regenschirmen auf Autos losging, lachten wir darüber, selbst als sie ihre Kinder aufgrund ihres unberechenbaren Verhaltens verlor. Dann verursachte Amanda Bynes einen Autounfall nach dem anderen, trug skurrile Perücken und twitterte Drake, „Er habe ihre Vagina umgebracht“ und wir sahen zu, lachten und retweeteten ihre Posts immer und immer wieder. Mit Kanye verhält es sich nicht anders.
Als Robin Williams schließlich Selbstmord beging, konnten wir es nicht glauben. Die Welt hatte ein wahres Ausnahmetalent verloren; wir weinten. Er war der Star so vieler von uns geliebter Filme. Warum hat er sich keine Hilfe gesucht? Warum hat er niemandem von seinen Leiden erzählt? Nun ja, vielleicht hat er erkannt, dass wir alle zu sehr damit beschäftigt waren, uns über die Schlagzeile zu amüsieren, dass Amanda Bynes ihren Hund in Brand gesteckt hatte.
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Es ist okay an einer psychischen Krankheit zu leiden. Aber es ist nicht okay, sie zu zeigen.
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Vielleicht hat er niemandem davon erzählt, weil er wusste, dass unsere Gesellschaft nicht bereit war, ihm zu helfen.
Kanye hat uns von seinen Selbstmordgedanken erzählt. „Clique” wurde bereits 2012 veröffentlich und ich frage mich, wer von Kanyes besorgten Fans damals versucht hat, zu ihm durchzudringen. Ich weiß, ich habe es nicht versucht. Aber ich habe immer wieder über seine Selbstüberschätzung Scherze gemacht. Zum Beispiel als er ein Konzert unterbrach, weil er der Welt erzählen wollte, dass er die Lederjogginghose erfunden hat und ich konnte mich darüber kaum wieder einkriegen, obwohl mir bewusst war, was das zu bedeuten hatte. Auch ich bin ein Teil des Problems und ich weiß es eigentlich besser.
Wenn eine Person quasi überlebensgroß wird, sehen wir mit Begeisterung dabei zu, wie diese wieder zu Fall kommt. Wir haben uns über Amy Winehouse und ihr Drogenproblem lustig gemacht, bis sie schließlich daran starb. Und als ob es irgendetwas wieder gut machen könnte, erklärten wir sie posthum zur Musikikone.
Wir müssen uns nur mal ansehen, wie viele Menschen sich momentan schon wieder über Lindsay Lohan aufregen. Das Internet ist voller Hasskommentare, weil sie Ariana Grande für ihr Make-up kritisiert hat. Aber Leute, seid ihr euch bewusst, was in all den Jahren alles über Lindsay Lohan gesagt und geschrieben wurde? Wir lieben nämlich nichts mehr, als uns über Lindsays neusten Fehltritt lustig zu machen und ihr angebliches Koksproblem. Aber wie kann sie es wagen, sich über Ariana Grandes nudefarbenen Lippenstift zu äußern?
Das Lustige (oder Traurige) daran ist, dass wir tatsächlich glauben, dass wir immer besser darin werden, über psychische Krankheiten zu sprechen. Als sich Lena Dunham auf Instagram über ihre Angstzustände und Zwangsstörungen äußerte, applaudierten wir angesichts ihrer Offenheit. Wir feiern Promis, die offen über ihre Depressionen, Ängste und Essstörungen sprechen. Wenn sich dann aber mal wieder jemand in der Öffentlichkeit vermeintlich daneben benimmt und wir einen halbherzigen Kommentar wie „So traurig!“ oder „Was ist mit der denn los?“ dalassen, vermitteln wir denen, die an einer psychischen Erkrankung leiden unterschwellig auch immer wieder die Message: „ Wir unterstützen euch, ja. Aber bitte verschont uns mit eurem verrückten, abgedrehten Kram.“
Kanye West leidet vermutlich tatsächlich an einer Krankheit und wenn er das tut, hoffe ich, dass er gesund wird. Ich hoffe, dass seine Familie ihn und sich gegenseitig in dieser schweren Zeit unterstützt. Vor allem wünsche ich mir aber, dass unsere Gesellschaft irgendwann einmal in der Lage sein wird, ihre negative Grundeinstellung, die Vorliebe andere auszulachen und mit dem Finger auf Leute zu zeigen, die die Kontrolle verloren haben, abzulegen. Ich hoffe wirklich, dass wir in uns hineinhorchen und unseren Idolen und Ikonen nur das Beste wünschen, bevor sie an einer Krankheit sterben, die uns so unfassbar unterhalten hat.
Übersetzt von Anna Hackbarth
Übersetzt von Anna Hackbarth
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