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Lass mich ausreden! Warum Unterbrechungen Machtkämpfe sind

Foto: Lucas Zarebinski.
Ein gutes, anregendes Gespräch, das Austauschen über das zuletzt Gelesene, Gesehene oder Erlebte, vom hervorragenden Couscoussalat der Bäckerei an der Ecke bis zum inspirierenden Interview mit Journalistin und Aktivistin Mona Eltahawy kann einen ganzen Tag, eine ganze Woche, wenn nicht gar das weitere Leben beeinflussen und positive Energie generieren. Wodurch aber können Gespräche destruktiv oder frustrierend werden? Vielleicht wird das zunehmende Lallen eines begeisterten Whiskeytrinkers oder die etwas zu hitzige Diskussion zweier Opponentinnen zur Person Hillary Clinton mal irgendwas zwischen ulkig und gefährlich; was ein Gespräch aber mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Sturz bringen kann, ist es, eben nicht zu reden – oder, besser gesagt, nicht reden zu lassen. Unterbrechungen in Gesprächen sind gängig und wahrscheinlich den meisten Menschen schonmal untergekommen oder von ihnen ausgeübt worden. Bei etwas so Alltäglichem, wie den eigenen Gedanken durch (jegliche Form der) Sprache Ausdruck zu verschaffen, ist es gefährlich, sich als Einzelne herauszunehmen und zu erheben über so Etwas wie das Unterbrechen anderer in Konversationen. Dennoch muss man hier zwischen verschiedenen Formen unterscheiden. Viele Menschen begründen ihre ab und an, spontan auftretende Unterbrechungslust darin, dass sie doch aber „ganz genau zu diesem einen Punkt, den du da gerade gesagt hast“, etwas beisteuern möchten. Irgendwie verständlich und vielleicht noch die umgänglichste Variante des Unterbrechens, irgendwie aber oft trotzdem nervig, denn ja – du hast einen Gedanken dazu, ich aber auch, deshalb war ich gerade die Wortführerin. Neben vereinzelten, situationsabhängigen Unterbrechungen gibt es auch die chronischen, die so sehr in der eigenen Gewohnheit liegen, dass sie der jeweils ausführenden Person gar nicht mehr so bewusst sind, aber gut und gerne mal zum Konflikt führen können. Gerade in Streitgesprächen, die wohlmöglich sowieso schon zu ungeahnten Höhen hinaufgeschaukelt sind, scheinen wir besonders gerne zu unterbrechen. Oft genug vergisst man das eigentliche Streitthema über das 50. „Lass mich ausreden!“ und macht von da aus weiter. Nicht gerade ein schöner Zeitvertreib. Was genau geschieht beim Unterbrechen, das so störend oder anstrengend sein kann? Eine „Unter- brechung“ ist letztendlich das Aufhalten eines Flusses, ein Stop, eine von außen eingesetzte, vorerst unbeeinflussbare Einmischung ins Geschehen. Im Sprechen miteinander schneiden wir durch das Unterbrechen den Fluss der jeweils anderen Person ab. Wir bauen in Windeseile eine kleine Mauer vor den Ausdruck der anderen und hindern sie am Weitermachen, nutzen diesen Moment aber dafür, uns selbst zu äußern. Das kann sehr frustrierend sein. Man kann sich eine solche Situation wie einen Raum vorstellen, in dem eine unsichtbare Wand von der Mitte aus immer mehr zur einen Seite gedrückt und immer sichtbarer und solider wird, sodass von den zwei erst gleichen Rahmen einer immer kleiner wird. Beim Unterbrechen kann man sich also gegenseitig Platz wegnehmen; den Platz, der von den Teilnehmenden aber zu gleichem Maße beansprucht werden möchte und vielleicht auch sollte. Hiervon ausgehend ist das Unterbrechen auch im feministischen Diskurs in gewissen Kontexten Thema, wenn es um Redeanteile in beispielsweise geschlechtlich* gemischten Räumen und Gesprächen geht. So werden Tendenzen herausgestellt, die davon zeugen, dass insbesondere einige Männer dazu neigen, die eigene Perspektive oder Meinung als wichtiger zu erachten, als die anderer Personen und/oder Frauen. In einer Sozialisierung, in der man es gewohnt ist, viel Platz und Möglichkeiten zu bekommen (sei es in der U-Bahn, im Job oder in der Bildung), wäre es, diesen Annahmen folgend, auch nicht sonderlich überraschend, dass man auch beim sprachlichen Austausch mit ande- ren meint, mehr Platz zu benötigen oder zugestanden zu bekommen, als andere. Die Steigerung des- sen findet man im Begriff des Mansplainings, zuerst geprägt von Rebecca Solnit. Mansplaining, gerne verbunden und eingesetzt unter dem Unterbrechen, beschreibt das Erklären von Dingen, wonach entweder nicht gefragt wurde und/oder der jeweilige Sachverhalt dem Gegenüber sehr wohl bekannt ist. Im Mansplaining wird ein solches Wissen der anderen also von Vornherein negiert. Offensichtlich hängen dem Unterbrechen an sich also eine Menge komplexer Umstände, Gefühle und gar gesellschaftlicher Machtverhältnisse an. Wie also kann man der Frustration des unterbrochenen Flusses umgehen? Ganz einfach: ausreden lassen!

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