Ein ganz normaler Montagmorgen auf Instagram.Katzenfotos, eine Person ist gerade im Urlaub, eine andere hat einen regnerischen Tag am Berliner Oranienplatz fotografiert. Frühstücksimpressionen mit der üblichen Kombination von Flat White und Croissant. Eigentlich schön. Quasi gemütlich, besser gesagt. Ich scrolle weiter und bleibe an einem Foto hängen. Diesem Account folge ich eigentlich schon lange und dennoch irritiert mich heute ein Detail, denn das besagte Bild hat eine sehr lange, fast schon romanhafte Bildunterschrift, und zwar unter einem ziemlich nichtssagenden Selbstportrait. Eigentlich folge ich dieser Bloggerin, weil sie nicht nur gerne reist, sondern auch nachhaltig denkt und einen guten Geschmack hat. Die bräsige Bildunterschrift verrät mir dann aber, dass dies ein Foto zum Thema Body Positive sei. Aha, denke ich mir, und grübele und überlege und wundere mich ein wenig.
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Ich meine, in der Zeit, in der ich der Person folge, ist nie etwas an ihr aufgefallen. Ich käme nicht im Traum darauf, dass sie jemals wegen Äußerlichkeiten ausgelacht oder gemobbt worden wäre. Klar, kenne ich den Begriff Body Positivity, bringe ihn aber überhaupt nicht mit dieser gut aussehenden, intelligenten und unterhaltsamen Frau überein, die dazu noch sehr erfolgreich ist. Natürlich gibt es einige Frauen mit volleren Haaren als sie, dafür hat sie aber Stil und ein bezauberndes Lächeln. Wenn sie strahlt, muss man selbst direkt lächeln. Aber, so schreibt sie, scheint mit ihren Oberschenkeln, die auf dem Foto in wenig schmeichelhaften Hot Pants stecken, etwas nicht zu stimmen. Sie seien stämmig, verrät die Selbstbeschreibung unter dem Foto, aber sie wäre natürlich dennoch zufrieden, und mehr noch: “Ich bin dankbar für meine dicken Beine, denn sie tragen mich jeden Tag, genauso wie sie sind. Ich liebe sie trotz allem! #bodypositive”
Und schon wieder ist es bei mir da, dieses Gefühl: Kann man nicht ein einziges Mal Instagram oder Social Media nutzen, ohne über irgendwelche Körper reden zu müssen? Dieser Körper kann doch im Prinzip ganz normal bei H&M um die Ecke eine Hose finden, oder irre ich da? Dieser Körper kann Sport machen. Dieser Körper wiegt vermutlich gerade mal 65 Kilo. Dieser Körper fällt niemandem auf. Mehr noch: Sie kann damit tolle Yogaposen machen. Sie ist sportlich und sie ist gesund. Schön und gut, aber warum es verletzt mich, dass jemand Schwächen, die eigentlich keine sind, künstlich in den Mittelpunkt rückt? Ganz einfach, weil ich dann selbst über mich und meinen wesentlich unansehnlicheren Körper sowie mein Scheißleben insgesamt nachdenken muss.
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1. Body Positivity ist ein verdammtes Privileg!
Wenn man dem Hashtag #bodypositive oder #bodypositivity auf Instagram betrachtet, fällt einem auf, dass die meisten der„unperfekten“ Menschen, die sich mit emotionalen Texten und Bildunterschriften ihrem Publikum öffnen wollen, eigentlich ganz normale Menschen sind, die eine nicht unwesentliche Tendenz zur Selbstdarstellung pflegen. Dahinter steckt also vermutlich meist ein ganz passables Selbstwertgefühl.
Ich bin allerdings eher jemand, der seine Makel versteckt, weil sie mir aufrichtig peinlich sind. In meinen Augen hat mein Körper mit den Minibäuchlein, die man auf Instagram sieht, nichts gemein, und genau hier liegt ein kleiner, aber nicht unwesentlicher Unterschied: Es gibt viele Menschen die tagtäglich einen Kampf mit ihrem Selbstwert austragen. Aber nicht nur das: Sie wehren sich im Alltag am laufenden Band gegen Stigmatisierung, bekommen weniger Zuneigung und Liebe. Sie haben Probleme bei der Partnersuche oder im Job. Es geht im Falle dieser Menschen um Teilhabe an einer Gesellschaft, die ihnen ständig mitteilt wie „behindert“, „behaart“, „fett“, „missgebildet“ oder „hässlich“ sie sind. Da wirkt die neu entdeckte Selbstliebe einer Instagram-Influencerin, die ihre vier Muttermale im Gesicht endlich als schön empfindet, wie purer Luxus.
2. Warum eigentlich Positivity statt Equality? Not My Game!
Ist es denn wirklich meine verdammte Aufgabe, dafür zu sorgen, dass ich nicht nur scheiße aussehe, sondern auch noch ein höheres Selbstbewusstsein als der Durchschnitt haben soll? Ist es nicht ein bisschen viel verlangt, dass ich die Dinge an meinem Körper lieben soll, wegen denen ich jahrelang ausgelacht, als “Fettie” oder die “hässliche Alte” beschimpft worden bin? Liegt es wirklich an mir, das zu ändern? Oder sollte mich die Gesellschaft nicht endlich in Ruhe zu lassen, damit ich Frieden mit meinem Körper schließen kann, ohne ihn dafür gleich lieben zu müssen?
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Marilyn Wann, Autorin und Fat Acceptance-Aktivistin, weist darauf hin, dass Neutralitätdas langfristige Ziel für jeglichen Body Aktivismus sein müsse. Es sei schwer, ein Wort zu finden, sagt sie, das alle Körper beschreibe und frei von Transphobie, Sexismus und allen anderen Stigmatisierungen wäre. Sie empfiehlt daher ‘body neutral’ anstelle von “positivity”. In diesem Sinne könnte Neutralität dann aber auch einfach Gleichheit (equality) heißen, denn alle Körper sollten von einer Gesellschaft gleich akzeptiert werden.
3. Schöne Menschen bekommen nicht nur Komplimente für ihren Körper, sondern auch für ihren Lifestyle!
Fies, denn ich als Dicke werde auf der Straße natürlich immer noch schief angeguckt, wenn ich Leggings trage. Statt uns also alle näher zusammenzubringen, entferntes uns nur noch weiter voneinander, denn der Trend schließt eine große Gruppe Menschen mit Dysmorphophobie, Essstörungen und anderen psychischen Erkrankungen aus. Die Fähigkeit sich zu öffnen und ein Makel wertzuschätzen, ist vielen Menschen nicht gegeben und wird vermutlich schwieriger zu erreichen sein, je weiter sich der Körper vom gesellschaftlichen Ideal wegbewegt. Viele dieser Menschen arbeiten ihr ganzes Leben daran ihren Körper schlichtweg zu akzeptieren, und selbst das scheint häufig unerreichbar.
4. Ein hässlicher Körper ist kein Modeaccessoire!
Ich selber kenne sowohl das Leben als dicke Person, als auch das als schlanke. Deshalb weiß ich leider sehr genau, wie anders man mit mehr Körpermasse behandelt wird, obwohl natürlich der gleiche Mensch darin steckt, unabhängig davon in welchem Lebensbereich man sich bewegt. Mir kann man nicht so schnell glaubhaft machen, dass es ausreicht, seinen Körper zu lieben, denn andere lieben ihn dadurch immer noch nicht.
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Mir geht es nicht um einen Kampf, also die Frage, wer nun dazu berechtigt ist, body positive zu sein und wer nicht, sondern vielmehr um das Aufzeigen dessen, was der aktuelle Trend mit denen macht, deren Teilhabe an der Gesellschaft durch ihren Körper (eigentlich durch die Gesellschaft, denn der Körper ist nicht das eigentliche Problem) eingeschränkt wird, weil sie aufgrund ihres „Makels“ gemobbt und ausgeschlossen werden. Es gibt einen meilenweiten Unterschied zwischen jemandem mit Acne inversa und Frauen, die man für ihren Mut lobt, weil sie offenlegen, dass sie während der Menstruation ein paar Pickel bekommen – und das dann offenherzig posten, als sprächen sie von einer wirklichen Einschränkung.
5. Der Druck auf Menschen mit einer Normabweichung erhöht sich noch mehr
„Liebe dich selbst. Aber bitte nur, wenn duimmer noch in den Grenzen bist, die die Gesellschaft dir vorgibt. Und diese Grenzen sind verdammt eng: Eine krumme Nase geht, aber dann solltest du doch bitte einen Hammer-Körper haben. Ein paar Kilo mehr sind kein Ding, aber um Gottes willen, keiner will ein Walross sehen. Oder noch krasser: Du bist schwarz? Toll. Aber bitte nur bis zu einem Milchkaffee-Hautton und mit Gesichtszügen, die immer noch europäisch aussehen. Falls du mit einer Behinderung lebst, hast du übrigens Pech gehabt: Du kommst maximal in Werbungen für ,Aktion Mensch‘ vor.”(Ana Grujić)
Was wir nicht bemerken: Gut gemeint ist häufig eben nur gut gemeint. Wenn wir also im Zuge des Body-Positivity-Trends jetzt alle anfangen minimale Abweichungen als Makel zu benennen, erhöhen wir einfach nur den Druck untereinander. Stattdessen sollten wir einfach häufiger unvorteilhafte Fotos von uns posten, statt sie zu verstecken. Wir sollten solche Bilder dann möglichst nicht mit einem Hashtag versehen oder in die Makel-Schublade einordnen, sondern sie behandeln wie stinknormale Fotos. Denn es sind Fotos. Abbildungen, die uns zeigen, wie wir aussehen. Kein „schon etwas unvorteilhaft“ und keine „body positive“ Bildunterschrift. Einfach wieder mehr abbilden wie unterschiedlich Körper sind.
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