Schon mal was von ASMR gehört? Klingt nach einer nicht so angenehmen Diagnose, oder? Doch bei dem Begriff handelt es sich um ein angenehmes Kribbeln im Kopf. Viele, die bereits auf den Geschmack kommen durften, bezeichnen es sogar als einen Orgasmus des Gehirns – ausgelöst durch ein sanftes Flüstern oder das Rascheln von Papier.
Was sich im ersten Moment ziemlich skurril anhört, ist ein großer Internet-Trend geworden, der langsam von Amerika nach Deutschland überschwappt. Ausgelöst wurde er von Maria, einer hübschen blonden Amerikanerin mit russischer Abstammung. Ihr Youtube-Account wird von knapp 700.000 Menschen abonniert, ihre Videos schauen im Schnitt zwei bis sechs Millionen Internet-User, manchmal sogar 15 Millionen. Und was hat nun diese Blondine, was andere nicht haben? Ein Talent, Menschen in ihren Bann zu ziehen, könnte man sagen. Mit ihrer Engelsstimme flüstert sie in die Kamera, in anderen Videos bürstet sie sanft ihre Haare oder faltet flauschige Handtücher. Und Millionen Menschen schauen ihr dabei zu. Tatsächlich handelt es sich dabei nicht um eine neuen Form des Voyeurismus, sondern um eine Tiefentspannung für jedermann. Während manche einschalten, um sich vom Alltagsstress zurückzulehnen oder die Videos als Einschlafhilfe nutzen, bringen andere ihr Gehirn damit in Ekstase.
Wenn Maria also fein über ein Buch streicht, kann das ASMR, Autonomous Sensor Meridian Response, auslösen. Eine deutsche Übersetzung des Begriffes gibt es bisher nicht. Dafür aber eine Beschreibung vieler Menschen, die den „Gehirn-Orgasmus“ bereits erlebt haben. Wenn sie den Tönen aus dem Alltag lauschen, überkommt sie ein wohliges Kribbeln – erst im Hinterkopf, dann breitet es sich über den ganzen Körper bis in die die Wirbelsäule und Gliedmaßen aus. Das Kopf-Prickeln wird als überaus angenehm und beruhigend empfunden. Ausgelöst wird es durch Sinnesreize, so genannte Trigger – in diesem Fall erzeugt durch grazile Bewegungen und sanfte Geräusche.
Die Besonderheit an dem Phänomen ist allerdings, dass ASMR bei Weitem nicht bei jedem ausgelöst wird. Steven Novella, Neurologe der Yale University School of Medicine, stellte hierbei eine These auf. Da sich Menschen neurologisch komplett unterscheiden und keiner eine Kopie des anderen ist, geht Novella davon aus, dass es eben nur manchen Menschen möglich ist, ASMR aufzuweisen. Menschen, die fähig sind, sich für die kleinen Dinge zu öffnen. Wie das Knistern einer Zeitung oder Geschenkpapier. Die tatsächliche Existenz von ASMR konnte bisher jedoch weder bestätigt noch die Ursachen und Wirkungen erklärt werden. Das Phänomen bleibt weiterhin wissenschaftlich unerforscht.
Maria ist mittlerweile seit fünf Jahren als Youtube-Flüsterin unterwegs. Die Ideen, um ihre Follower zum Höhepunkt im Gehirn oder zur Entspannung zu bringen, gehen ihr nicht aus. In neuen Videos packt sie ein Smartphone aus oder flüstert sanft in die Kamera, wankt dabei von Seite zu Seite, streichelt über die Linse. Von den Fans regnet es Lobeshymnen unter den Kommentaren. Aber es geht sogar weiter. Manche sollen durch die ASMR-Videos sogar von ihren Depressionen losgelöst worden sein, anderen überwanden ihre Schlafprobleme. Ein User schreibt unter ein Video, welches fünf Millionen Mal angesehen wurde: „Hallo Maria, ich wollte dir nur dafür danken, dass du diese Videos machst. Vor einigen Jahren hatte ich eine Herztransplantation und diese Videos haben mir wirklich beim Einschlafen geholfen. Danke noch mal und Gott segne dich. Mike.“ Die Youtuberin schaffte es über die Jahre, eine Community aufzubauen. Für Menschen, die sich immer wieder den Kick im Kopf holen, die sich einfach nur berieseln lassen möchten. Mittlerweile ist Maria nicht mehr die einzige, die andere mit ihrer Stimme und ihren Bewegungen zum Kopfkribbeln bringt. Der Trend wurde global. Und sogar in Deutschland gibt es die erste „ASMR-Community“. Hier können sich Interessierte in Foren austauschen, Erfahrungsberichte lesen und neues Material anschauen.
Gesundheitliche Störungen und Nebenwirkungen des unerklärten Phänomens sind übrigens nicht bekannt. Na, dann ist es doch an der Zeit, das Gehirn mal darauf ankommen zu lassen…