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Nichts muss, alles kann: Die anspruchsvolle 30

Foto: Megan Madden
Unerwartet und ungebeten steht sie plötzlich vor der Tür und stellt Ansprüche wie ein Mitarbeiter der Gebühreneinzugszentrale: die Dreißig.
Bittet aufdringlich um Einlass. Dabei ist man doch überhaupt nicht darauf vorbereitet.
Will sich mit einem an den Tisch setzen und besprechen, welche Forderungen man zu erfüllen hat. Aber wer stellt die denn eigentlich?
Die Wahrheit ist: Mein Innerstes! Getrieben von externen Einflüssen.
Da sitzt mein kleines, freches Ich und nervt mich schonungslos mit Fragen, auf die ich keine Antworten habe. Es mit Ignoranz zu strafen, feuerte das rotzige Ding erst richtig an.
Es kennt kein Erbarmen. Es fragt wieder und wieder. Und wird lauter. Bis ich endlich den Versuch unternehme, Antworten zu finden.
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Warum habe ich das Gefühl, der Flieger ins Erwachsenenleben wäre mit meiner Peergroup an Bord abgehauen, während ich noch am Gate stehe und warte? Was haben die, was ich nicht habe? Sie sind die „perfekten“ Erwachsenen: Verheiratet mit Kindern, Eigenheim und gutbezahltem Job mit Verantwortung. Die nervt keiner mit blöden Fragen, denn es läuft ja alles so, wie es soll. Aber Moment mal! Wie soll es denn eigentlich laufen? Gibt es da wirklich Richtig und Falsch? Oder resultiert dieser Irrglaube vielleicht nur aus einem Vergleich mit anderen, aus spitzen Bemerkungen von Ratgebenden, deren Rat man nie wollte?
Nach einem mehrmonatigen Auslandsaufenthalt fern von Peergroup und deutschen Konventionen meine ich die Antwort zu kennen: Ja – auch wenn ich die dazu passende Frage gerade nicht weiß.
Jedenfalls: Die anderen übernehmen Teams in großen Konzernen, rackern sich als Ärzte ab, nehmen Kredite in schwindelerregenden Höhen auf und kaufen Eigenheime, heiraten und bekommen Kinder. Die anderen, das sind die, mit denen ich früher auf einer Welle gesurfed bin. Aber heißt das automatisch, dass ich an mir zweifeln muss, weil sie schon an Land angekommen sind und ich immer noch ein bisschen surfe? Sport ist doch gesund!
Lange ließ ich mich von den Zweifeln plagen. Bis ich merkte, dass sie sich Luft aufgelöst hatten, kaum, dass ich den europäischen Kontinent verlassen hatte. Da war ich plötzlich nur noch ich - ohne Vergleichsgruppe und fern all der gutgemeinten Bemerkungen und Fragen aus dem Umfeld. Und zum ersten Mal, seitdem mein kleines, freches Ich seine Fragestunde begonnen hatte, verstummte es und gönnte mir innere Ruhe. Eine Ruhe, die mich vor allem eine Antwort in mir finden ließ: Ich muss überhaupt nichts.
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Ich muss weder heiraten noch Kinder kriegen. Ich muss keine Mitarbeiterverantwortung übernehmen oder viel Geld verdienen. Ich muss keine Wohnung kaufen.
Aber: Ich darf das alles machen. Wenn ich möchte. Und genau das ist der springende Punkt. Wenn ICH möchte.
Bis ich diese Erkenntnis endlich hatte, ist einige Zeit vergangen. Zeit, die mich verstehen ließ, dass wir den Fragen, die wir in uns tragen, nicht mit Ignoranz begegnen sollten. Denn sie möchten uns etwas sagen, uns helfen, indem sie uns zum Nachdenken auffordern. Es kostet Mut, sich dem zu stellen, aber es lohnt sich, weil man früher oder später eine beruhigende Gewissheit erfährt: Jeder von uns trägt auch die Antworten in sich.
Mittlerweile sehe ich die Dinge viel gelassener, betrachte sie wohlwollender:
In einem Alter, in dem andere schon alle Weichen gestellt haben, ist bei mir noch alles offen. So vieles noch möglich. Ich kann umziehen und den Job wechseln oder ein Sabbatical machen und durch die Welt reisen. Ich habe Zeit, verrückte Hobbys oder irre Geschäftsideen auszuprobieren, kann neue Sprachen oder Sportarten lernen. So vieles steht mir offen.
Diese große Freiheit möchte nicht länger bedauert werden, denn sie ist ein tolles Geschenk. Ein Geschenk, das von jedem, dem es gemacht wurde, ausgepackt und mit strahlenden Augen genutzt werden möchte. Denn das hat es verdient.
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