Nora Beckershaus, Director of Operations and Growth bei Refinery29 Germany:
„Ich habe dunkle Haare, dunkle Haut und braune Augen. Damit zu leben ist nicht immer leicht. Ich hatte Mitschüler, die haben mich Pocahontas genannt. Es gibt Fremde, die mich für mein akzentfreies Deutsch loben. Ich lerne Menschen kennen, die mich nach wenigen Minuten fragen: „Aber wo kommst du denn nun wirklich her? Also wirklich, ursprünglich, in Wahrheit?“
Es ist diese Frage, die mich besonders beschäftigt. Ist es so schwer, zu verarbeiten, dass ich Deutsche bin? Dass auch Menschen mit dunklen Haaren, brauner Haut und dunklen Augen zu Deutschland gehören?
Die Frage wirkt fast wie ein Zwang. Das Ziel: maximale Transparenz. Ich verstehe das ein bisschen. Sein Gegenüber erfassen zu können, schafft Erleichterung. Man weiß Bescheid, das mag man. Meine Antwort ist übrigens ganz einfach: Ich komme aus Deutschland. Wirklich und in Wahrheit. Ich bin in Berlin geboren – in Wilmersdorf, um genau zu sein. Ich lebe hier seit 27 Jahren. Aber es ist leider nicht die richtige Antwort für den Fragenden.
Stattdessen: skeptische Blicke. Zusammengekniffene Augen. Ausführliches Betrachten meiner Wangenknochen, meiner Haare, meiner Augen. Ich fühle mich wie auf dem Präsentierteller. Schon jetzt weiß ich, dass das Gespräch noch lange nicht vorüber ist. „Du hast wirklich sehr schöne, mandelförmige Augen“, höre ich dann oft. Oder: „Ich bin sehr neidisch auf deine vollen Haare.“ Oder: „Ach krass.“ Mehr nicht. Einfach nur „ach krass.“
Ich lächle dann. Es ist die Art von Lächeln, die ich sonst austeile, wenn ein Betrunkener mich liebevoll fragt, ob ich einen Schluck von seinem abgestandenen Bier möchte. Charmant sind diese Komplimente nicht. Sie sind aufdringlich. Und ich weiß: Jetzt folgt die nächste Runde.
Sie wird gerne eingeleitet mit einem Augenzwinkern: „Aber so jemand wie du hat doch bestimmt einen exotischen Hintergrund…Türkei? Iran? Brasilien?“ Ich schweige. Spüre wieder die prüfenden Blicke. Jemand versucht gerade, anhand der Form meiner Nase, am Ton meiner Hautfarbe meine „wahre“ Identität herauszufinden. Als wäre es eine verdammte Challenge. Als wäre ich ein menschliches Puzzle, das es zu lösen gilt. Und dann kommt die wirklich schlimmste Phrase, die ich mir vorstellen kann: „Du bist doch bestimmt Südländerin!”. Herzlichen Glückwunsch. Süden stimmt bei Leuten mit dunkler Haut ja immer irgendwie. Du hast gewonnen.
Ich gebe auf. „Meine Großmutter ist Peruanerin“, sage ich dann. Mein Gegenüber nickt. „Aaahhh“, sagt er und blickt erleichtert. Endlich ist das Rätsel gelöst. „Ja, das hab ich mir gleich gedacht. Das kommt hin. Da wollte ich schon immer mal hinfahren.” Ich nicke ebenfalls. Ich bin auch erleichtert. Einfach nur, weil mir mein Gesprächspartner nun in die Augen gucken kann, ohne sich die ganze Zeit fragen zu müssen, in welchen Ländern meine Augenform typisch ist.
Interesse an Menschen ist kein Rassismus. Ein Gespräch über die Herkunft ist es ebenfalls nicht. Aber die Antwort „Ich komme aus Berlin“ nicht stehen lassen zu können, weil jemand eine dunkle Hautfarbe hat, finde ich übergriffig und unangenehm.
Ein kleines Mädchen an der U-Bahn-Haltestelle setzt sich neben mich und stellt mir klar die bessere Frage: „Bist du als Braune geboren?” Ich sage: „Ja. Ich bin als Braune geboren worden.“ Sie sagt: „Cool, kannst bestimmt keinen Sonnenbrand kriegen.“ Ob sie mich in zehn Jahren fragt, wo ich denn ursprünglich herkomme? Ich hoffe es nicht.“
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