Es gibt drei Worte, mit denen ich die letzten Jahre beschreiben würde. Das erste ist natürlich „Lockdown“; wohingegen ich ihn vor Corona höchstens ein-, zweimal benutzt habe, gehört der Begriff dank der Pandemie mittlerweile wohl zu unser aller Wortschatz.
Das zweite Wort, das ich nennen würde, ist „einsam“.
Einsamkeit ist mir nicht neu. Das Gefühl hat mich im Laufe meines Lebens über verschiedene Erfahrungen hinweg immer wieder begleitet. Aber der Anfang der Pandemie hat mir eindeutig die neueste – und bisher schwierigste – einsame Phase beschert.
Das Ende von 2019 und der Anfang von 2020 waren für mich schon von Krankheit geprägt. Wegen eines Schubs meiner chronischen Krankheit verbrachte ich sechs Monate im Bett. Den Großteil dieser Zeit über war ich allein – und trotzdem fühlte ich mich erst so richtig einsam, als es mir langsam wieder besser ging. Ich lebe derzeit in einem anderen Land als die meisten meiner Freund:innen. Wegen meiner Krankheit war es mir nicht möglich, sie zu besuchen; ich hatte aber leider auch nicht die Energie, um aktiv mit ihnen in Kontakt zu bleiben. Als die Pandemie kam, hatte ich schon seit Monaten nicht mehr gearbeitet und vermisste die intellektuelle und kreative Stimulation durch meinen Job. Mir wurde schnell klar, dass meine Einsamkeit enorm von dieser fehlenden Stimulation und dem fehlenden Kontakt zu Freund:innen und Kolleg:innen geprägt war. Ich fühlte mich intellektuell einsam – und das wurde durch die Coronakrise nur noch schlimmer.
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Wenn wir einsam sind, glauben wir häufig, niemand wolle mit uns reden. Das ist verständlich – Studien zufolge sind die meisten Leute aber viel glücklicher, wenn sie gerade mit jemandem gesprochen haben.
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Einsamkeit ist ein kompliziertes Gefühl, und genauso verschieden wie unsere individuellen Bedürfnisse sind auch die unterschiedlichen Formen der Einsamkeit. Vielleicht leidest du unter „emotionaler Einsamkeit“ oder „der Abwesenheit einer bedeutsamen Beziehung mit einem:einer Partner:in oder engen Freund:in“, meint Lexy Matthews, Sprecherin der Campaign To End Loneliness. „Diese Form von Einsamkeit kannst du selbst in einer romantischen Beziehung oder umringt von Leuten empfinden, wenn du das Gefühl hast, zu niemandem von ihnen eine tiefe Beziehung zu haben.“
Eine andere Form der Einsamkeit bezeichnet Lexy als „soziale Einsamkeit“. Damit meint sie „das Fehlen eines sozialen Netzwerks aus Freund:innen, Familie, Nachbar:innen und Kolleg:innen“. Ihr zufolge litten während Corona besonders viele Leute unter dieser Form von Einsamkeit, weil sie ihre eigenen vier Wände seltener verließen und demnach auch weniger mit ihrem sozialen Netzwerk in Kontakt standen als früher.
Deine Einsamkeit kann auch einem Mangel an Intimität entspringen. Das heißt, dir fehlt diese körperliche, emotionale Bindung zu einem anderen Menschen – das nennt sich dann die „intime Einsamkeit“. Weil viele Paare in der Pandemie seltener miteinander Zeit verbrachten – vielleicht auch gar keine – und zahlreiche Beziehungen währenddessen in die Brüche gingen, ist es kein Wunder, dass diese Form der Einsamkeit momentan ein echtes Hoch erlebt.
Zu erkennen, unter welcher Form der Einsamkeit du leidest und somit feststellen zu können, was dir in deinem Leben fehlt, kann dir enorm dabei helfen, dagegen anzugehen. Laut Lexy ist es aber dennoch nicht ungewöhnlich, die Einsamkeit von vornherein gar nicht als solche zu identifizieren. „Einsamkeit kann von Person zu Person anders aussehen und sich anders anfühlen, weil diese Emotionen sehr persönlich und subjektiv sind. Unsere Technologien und Social Media können es außerdem erleichtern, unsere Gefühle zu verhüllen und soziale Interaktionen und echte, bedeutsame Gespräche zu minimieren.“ Viele von uns drücken sich davor, offen über ihre Einsamkeit zu sprechen; Lexy meint, dass uns das jedoch davon abhält, unsere Gefühle wirklich zu verstehen. „Leute, die unter Einsamkeit leiden, wollen oft nicht zugeben, wie sie empfinden. Das ist ja auch verständlich – schließlich ist das ein sehr verletzliches Geständnis. Stolz und Unabhängigkeit sind vielen von uns außerdem sehr wichtig. Umso schwieriger kann es dann sein, um Hilfe zu bitten.“
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Einsamkeit ist ein ganz normales menschliches Gefühl. Es ist einfach ein Anzeichen dafür, dass du dir Kontakt zu anderen wünschst. Das ist kein persönliches Versagen.
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Zum Glück gibt es diverse Möglichkeiten, gegen jede Form der Einsamkeit anzugehen. Lexy empfiehlt, dir ein bisschen Zeit zu nehmen, um dir genau zu überlegen, welche deiner persönlichen Bedürfnisse gerade zu kurz kommen. Sehnst du dich nach Berührungen? Nach Smalltalk? Nach emotionaler Anerkennung? Dann denke darüber nach, wer dir bei alldem helfen könnte. „Du kannst mit einer Nachricht oder einem Anruf anfangen. Wenn wir einsam sind, glauben wir häufig, niemand wolle mit uns reden. Das ist verständlich – Studien zufolge sind die meisten Leute aber viel glücklicher, wenn sie gerade mit jemandem gesprochen haben.“
Tatsächlich hat uns die Pandemie in der Hinsicht sogar ein wenig geholfen: Es gibt inzwischen viel mehr Optionen, online mit anderen in Kontakt zu treten. „Es gab einen regelrechten Boom an virtuellen Buchclubs, Chören, sogar Tanzkursen“, sagt Lexy. „Überlege dir, wo deine Interessen liegen und welche virtuellen Aktivitäten diese befriedigen könnten. Aus diesen virtuellen Beziehungen und Freundschaften können danach ja auch ‚echte‘ entstehen.“
Lexy betont: „Ich finde, das Wichtigste ist, mit deinem Umfeld in Kontakt zu bleiben – egal, welche Weise für dich dazu am besten funktioniert.“ Sie erinnert mich außerdem daran, dass „Einsamkeit ein ganz normales menschliches Gefühl ist. Es ist einfach ein Anzeichen dafür, dass du dir Kontakt zu anderen wünschst. Das ist kein persönliches Versagen – und daher solltest du dich dafür auf keinen Fall selbst fertig machen.“
Das dritte Wort, mit dem ich die letzten Jahre beschreiben würde, ist „Hoffnung“. Die Coronakrise hat unsere Leben auf den Kopf gestellt – von der Art, wie wir arbeiten und lernen bis hin zu der, wie wir Sport treiben und mit Freund:innen in Kontakt bleiben. Das war für viele schwierig und für manche herzzerreißend. Und obwohl dieses Trauma sicher schwer zu ertragen war, sorgen solche herausfordernden Phasen auch immer für wichtige Veränderungen. Die gute Nachricht ist: Corona entfernt sich immer weiter von unserer Realität – und wenn du dennoch weiterhin unter Einsamkeit leidest, sei dir darüber bewusst, dass dieselben Leute, die dir während dieser vergangenen Jahre nah standen, sicher auch weiterhin für dich da sind. Du musst dich nur bei ihnen melden.
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