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Zu viele Gedanken im Kopf? Versuch’s mit „Mind Gardening“

Illustration: Charlotte Leadley.
Schon seit Jahren beschreiben englischsprachige Menschen Gedanken, Bilder und Ideen als etwas, das „mietfrei in ihrem Kopf lebt“. Urban Dictionary (die Quelle allen Wissens) veröffentlichte den Begriff erstmals 2017, der sich dann 2018 verselbstständigte. Die Phrase wurde zu einer Kurzform für unaufgeforderte oder ungebetene Belanglosigkeiten, die unser Gehirn speichert – wie das Lied „Just Eat“, das ständig in deinem Hinterkopf läuft, oder die Tatsache, dass du dich an die Telefonnummer deines ersten Schwarms erinnern kannst, aber nicht daran, was du gestern zum Mittagessen hattest. Die Verwendung des Begriffs bringt ein Phänomen zum Ausdruck: Wir nehmen ständig – auf passive Weise – Informationen auf und speichern diese in unserem Gehirn. Viele der Gedanken und Ideen, die unseren Kopf bevölkern, sind Dinge, die es sich dort zwar gemütlich gemacht haben, aber keine Miete zahlen und es wahrscheinlich nicht verdienen, sich dort aufzuhalten.
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Manchmal sind die Dinge, die sich zufällig in unserem Gehirn festsetzen, willkommen. Ich kann es bis heute nicht fassen, dass Kleopatra näher zum Zeitpunkt lebte, als das erste iPhone entwickelt wurde, als zur Zeit, als die Pyramiden gebaut wurden (unglaublich, ich weiß!). Meistens sind diese Gedanken aber unerwünscht und es ist rätselhaft, wie sie es überhaupt dorthin geschafft haben. Es kann schnell dazu kommen, dass unser Kopf bis über beide Ohren voll mit Bildern, Objekten und Ideen ist, die wir gar nicht haben wollen.
Aus diesem Grund ist „Mind Gardening“ wie eine frische Brise. Das Konzept bedient sich der Idee des Gärtnerns (Pflanzen, Kultivieren, Hegen und Beschneiden) und wendet sie auf das Gedankennetz an, das unser Gehirn vernebelt. Dabei geht es nicht nur darum, dieses gedankliche Spinnennetz zu entfernen (obwohl das ein toller Nebeneffekt sein kann); Mind Gardening ist eine ganz neue Art, über Wissen, Kreativität und die Art, wie wir lernen, nachzudenken. Anstatt zufällige Informationen auf passive Weise aufzunehmen, während du herumscrollst, kannst du deinen Geist mithilfe dieser Taktik zu einem Ort machen, an dem du nur das kultivierst, was dich auch wirklich interessiert.
Anne-Laure Le Cunff ist die Geschäftsführerin von Ness Labs, einer Lernplattform, die sich achtsamer Produktivität widmet. Sie ist seit Langem eine Befürworterin von Mind Gardening als Möglichkeit, unser kreatives Potenzial zu fördern und einen überlasteten Geist zu beruhigen. Wir baten sie darum, uns zu erklären, was dieses Konzept auszeichnet, warum es funktioniert und wie du diese Technik anwenden kannst, ohne dass es sich wie eine unangenehme Verpflichtung anfühlt.
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Was ist Mind Gardening?
Mind Gardening ist eine proaktive Art, Wissen, Ideen und Denken im Allgemeinen zu kultivieren. Damit unterscheidet es sich sehr vom passiven Informationskonsum.
Anstatt Inhalte nur auf passive Weise zu lesen, behandelst du beim Mind Gardening eine Idee oder einen Gedanken, auf die bzw. den du stößt, wie einen Samen. Du pflanzt ihn ein, indem du ihn entweder händisch oder digital notierst. Die Kultivierung beginnt, sobald du nach Verbindungen zwischen deinen Gedanken oder Samen suchst – während sie wachsen, verzweigen sie sich und bilden unerwartete Verbindungen. Daraus entstehen dann neue Gedanken, Ideen, Inhalte oder einfach ein tolles Gespräch mit Freund:innen.
Das hat einen kreativen Aspekt, den dir passives Scrollen in den sozialen Medien nicht bieten kann.
Woher stammt dieses Konzept?
Ich persönlich habe damit angefangen, über diese Themen nachzudenken, als mir klar wurde, dass ich eine sehr ungesunde Beziehung zum Internet im Allgemeinen und zu den sozialen Medien im Besonderen hatte. Ich hatte das Gefühl, viel mehr zu konsumieren, als ich selbst kreieren konnte. Ich habe einige Freund:innen, die sich in den letzten Jahren intensiv mit Gartenarbeit beschäftigt haben. Wenn ich sie dabei beobachte, wie viel Zeit und Mühe sie in ihren Garten investieren, ist es naheliegend, einen ähnlichen Ansatz auf unser Wissen anzuwenden. Im Französischen gibt es den Ausdruck „cultiver son jardin intérieur“, was so viel heißt wie: „seinen inneren Garten pflegen“. Da machte es Klick bei mir. Ich dachte mir, dass es so viele Dinge gibt, die wir aus der Gartenarbeit übernehmen und auf die Kultivierung unseres Geistes anwenden können.
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Warum erfreut sich Mind Gardening zunehmender Beliebtheit?
Ich glaube, wir alle wollen mehr Kontrolle über die Art und Weise, wie wir unsere Zeit und unseren Geist nutzen, zurückgewinnen. Viele Menschen haben Burnouts. Sogar die Tatsache, dass „Doomscrolling“ (zu Deutsch: das schier endlose Konsumieren von schlechten Nachrichten) einer der wichtigsten Begriffe war, die im Jahr 2020 erfunden wurden, zeigt, dass wir als Gesellschaft wirklich mit unserer Beziehung zum Internet zu kämpfen haben. Immer mehr von uns interessieren sich für Mind Gardening, weil es uns die Möglichkeit bietet, unsere Einstellung zum World Wide Web zu ändern. Und es ist ein sehr erfüllendes Ziel, unser Wissen zu kultivieren, etwas zu erschaffen – sei es durch Schreiben oder interessantere Gespräche. Ich glaube, das ist einer der Gründe, warum diese Praxis immer beliebter wird. Mehr und mehr Menschen möchten etwas gegen ihre mangelnde Kontrolle in Zusammenhang mit ihrer Internetnutzung tun.
Warum ist aktive Aufmerksamkeit so wichtig?
Wenn Leute davon sprechen, dass es Ideen gibt, die mietfrei in ihrem Kopf leben, ist Mind Gardening also im Grunde das Gegenteil: Wie beim Gärtnern entfernst du durch diese Taktik das ganze Unkraut und lässt nur das in deinem Kopf, was dich glücklicher und erfüllter, kreativer, klüger, und so weiter, macht. So stellest du quasi sicher, dass deine Ideen willkommene Mieter:innen in deinem Kopf sind.
Wie wirkt sich Mind Gardening auf dein Gedächtnis aus, wenn überhaupt?
Ich möchte auf keinen Fall Behauptungen darüber aufstellen, ob es unser Erinnerungsvermögen verändert. Ein großer Teil von Mind Gardening besteht daraus, zu schreiben, Notizen zu machen, und so weiter. Es ist aber erwiesen, dass das Aufschreiben von Dingen und das Sich-damit-Beschäftigen dazu beiträgt, dass wir Dinge besser verstehen und uns einfacher daran erinnern. Es gibt Forschungsarbeiten, die zeigen, dass es zu einem besseren Verständnis und Erinnerungsvermögen führt, wenn eine Person ihre eigene Version der aufgenommenen Information erstellt. Das wird als „Generationseffekt“ bezeichnet.
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Das klingt nach sehr viel Lernzeit (was viele abschrecken könnte).
Ich glaube, dass das traditionelle Bildungssystem nicht sehr gut ist, da Kindern im Grunde beigebracht wird, dass sie etwas lernen müssen, um später eine Karriere zu haben und das Gelernte als Erwachsene:r anzuwenden. Lernen hat auf diese Weise einen sehr transaktionalen Beigeschmack. Ich glaube aber, dass sich immer mehr Menschen für lebenslanges Lernen entscheiden – eine Art des Lernens, die eher spielerisch und erforschend ist und stärker von Neugier als von dem strikten Ziel geleitet wird, die eigenen Karrierechancen zu verbessern. Du kannst anfangen, dich in ein Thema einzulesen, ohne wirklich zu wissen, was du dabei entdecken oder wie du es später anwenden wirst. Der große und wunderbare Unterschied ist, dass du um des Lernens willen lernst.
Welche Rolle spielt dabei die digitale Version von Mind Gardening?
Mind Gardening kannst du auf jede Art und Weise praktizieren, die du als angenehm und praktisch empfindest. Es gibt aber auch neue digitale Hilfsmittel, die das geistige Gärtnern einfacher machen. Da ist zum Beispiel das Tool Roam Research. Dieses macht es wirklich einfach, neue Ideen hinzuzufügen, sie mit früheren Ideen zu verbinden und deinen Gedankengarten zu erkunden, indem du durch diese Verbindungen navigierst. Das ist eine völlig andere Herangehensweise als beim sonstigen Notizenmachen, bei dem du schon eine Idee haben und genau wissen musst, wo – also in welchen Ordner – du sie abzulegen hast. Mit diesen neuen Apps fürs Mind Gardening musst du nicht schon im Vorhinein wissen, in welche Richtung das Ganze gehen soll und wohin dich deine eigene Lern- und Entdeckungsreise führen wird. Du kannst den geistigen Prozess festhalten, damit sich Verbindungen bilden und mit der Zeit immer deutlicher werden können.
Auch wenn es sich anfangs anstrengend anfühlt, kann es schnell zu einem natürlichen Teil deines Lebens werden.
Wie bei allem im Leben gilt auch fürs Mind Gardening: Wenn du dich mit deinen Ideen und deiner Gedankenwelt beschäftigst, wenn du deine Neugier bei Laune hältst, wirst du am Ende die Früchte deiner Arbeit ernten. Wie bei vielen nützlichen Gewohnheiten ist am Anfang manchmal ein bisschen Zeit nötig, um uns an ein neues Verhalten zu gewöhnen und es zu einer Routinetätigkeit zu machen. Wenn uns das aber einmal gelungen ist, fühlen wir uns in der Regel erfüllter, wissen mehr und sind froh darüber, dass wir überhaupt damit angefangen haben.
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