Es ist halb neun, man stolpert aus der U-Bahn, verschüttet erstmal den Kaffee – verdammt, schon wieder zu spät dran. In der halben Stunde Mittagspause sollte man ja neben dem Lunch mit der Kollegin unbedingt auch noch schnell zum Arzt und etwas für den Abend einkaufen. Oder sich abends pflichtschuldig zum Sport schleppen, obwohl man fix und fertig ist.
Das sind aber gar nicht die eigentlichen Hürden des Alltags. Aufgrund einer besonders herausfordernden Laune des Universums darf darauf gewettet werden, dass wir in Situationen wie diesen garantiert einer bestimmten Sorte Mensch über den Weg laufen. Ich nenne sie die „Bestimmt bald mal treffen“-Bekannten.
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Das könnte Tom sein, mit dem wir früher recht dicke waren. Seit zwei Jahren ist der Kontakt eingeschlafen. Denn genau so lange ist er mit Anna zusammen. Oder Jana, die die Freundin einer Freundin ist. Mit ihr haben wir vor zwei Wochen das ein oder andere Glas zu viel getrunken und detailliert über die Vor- und Nachteile von – was war das nochmal? – diskutiert. Oder Antonia, die wir über den Job kennengelernt haben und eigentlich supersympathisch finden. Sie ist, genau wie wir, aber eigentlich viel zu beschäftigt für neue Freundschaften.
Was dann passiert, lässt sich ungefähr so zusammenfassen:
„Oh hi, schön dich zu sehen. Na, wie geht’s?“
„Hey, ja, voll nett! Du, ich bin grade auf dem Weg zum Yoga.“
„Ach du, kein Problem – ich bin auch auf dem Sprung! Aber lass doch mal auf ’nen Kaffee gehen?“
„Ja, gerne. Meine Nummer hast du noch, oder?“
„Na klar, du, ich melde mich dann bei dir.“
„Perfekt, nächste Woche würde super passen bei mir!“
„Okay, bis dann.“
Und dann hört und sieht man sich nie wieder.
Bis, ja genau, bis sich das ganze Szenario wahlweise Tage, Wochen oder Monate später auf die exakt gleiche Art und Weise wiederholt. Nur das man sich dieses Mal wirklich beieinander melden möchte.
Wieso? Warum haben wir eigentlich diesen unbedingten Drang, uns gegenseitig Treffen zu versprechen, obwohl beide Seiten wissen, dass sie niemals stattfinden werden? Was zur Hölle treibt uns dazu, uns nicht mehr richtig, sondern pseudo zu verabreden?
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Warum haben wir den Drang, uns gegenseitig Treffen zu versprechen, obwohl beide Seiten wissen, dass sie niemals stattfinden werden?
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Auch wenn ich mir oft genug vornehme, am Ende des üblichen Smalltalks einfach „Ciao!“ zu sagen, finde ich mich immer wieder in diesen merkwürdigen Situation wieder. Plötzlich verspreche ich mir und meinem Gegenüber ein baldiges Fake-Date – und das, obwohl ich sehr genau weiß (und zwar meistens schon in dem Moment, in dem die Worte wie ferngesteuert aus meinem Mund sprudeln), dass ich eigentlich weder Lust noch Zeit und zudem absolut kein Interesse daran habe, Tom, Jana oder Antonia tatsächlich zu treffen.
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Wieso also mache ich es trotzdem immer wieder? Und warum scheine ich damit nicht allein zu sein?
Vielleicht ist der Grund für unser „Bestimmt bald mal treffen“-Verhalten, dass man sein Gegenüber keinesfalls mit Desinteresse strafen möchte. Egal, ob man sich jetzt tatsächlich sympathisch findet, oder nicht – sich ganz einfach voneinander zu verabschieden, wäre irgendwie unhöflich. Oder?
Oft verbinden uns schöne Erinnerungen mit „Bestimmt bald mal treffen“-Bekannten. Ob das ein langer Sommer mit Radtouren, Seeausflügen und Grillabenden war (Tom in seiner Zeit vor Anna), ein zufälliger und überraschend lustiger Bar-Abend (Jana) oder eben ein Meeting, das im Eifer des Gefechts, die Möglichkeit einer „echten“ Freundschaft aufblitzen ließ (Antonia).
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„Bestimmt bald mal treffen“-Floskeln sind der Joker, der uns im Handumdrehen von der sozialen Awkwardness erlöst.
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Wer eine positive Erinnerung mit einem Menschen verbindet, möchte nett sein. Denn Höflichkeit und ein gewisses Maß an Interesse sind das A und O zwischenmenschlicher Beziehungen und ein Stück weit das, was unsere Gesellschaft zusammen hält. Und was eignet sich besser als gemeinsame Pläne, um Höflichkeit und Interesse Ausdruck zu verleihen?
Auch wenn wir in mindestens 60% der Fälle wissen, dass das gemeinsam Erlebte vorbei ist – passé, und zwar für immer – erfüllt das Versprechen eines Treffens einen ganz bestimmten Zweck. Es funktioniert einerseits als wie ein Beweis, dass man die guten alten Zeiten theoretisch wieder aufleben lassen könnte. Andererseits wird im Gegensatz zur Besinnung auf eine gemeinsame Vergangenheit auch die Aussicht auf eine gemeinsame Zukunft offen gehalten.
Was die restlichen 40% der angekündigten Wiedersehen betrifft, so sind sie – zumindest meiner Erfahrung nach – einzig und allein dazu da, Gespräche mit Personen zu beenden, die man eigentlich mit dem Label „Es ist kompliziert“ versehen hat. Kompliziert insofern, als dass man sich nicht viel zu sagen hat, aber dennoch durch gemeinsame Freunde und Bekannte oder die Arbeit verbunden ist.
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Frei nach dem Motto „Aufgeschoben ist nicht aufgehoben“ verlegen wir also auch mit diesen Menschen – der „Bestimmt bald mal treffen“-Wunderwaffe sei Dank – alles Weitere in eine undefinierte Zukunft. So schaffen wir uns das Problem eines unangenehmen Zufallstreffens vorerst elegant vom Hals und zwar ganz ohne gesellschaftliche Codes zu verletzen.
Aufgrund ihrer Wirksamkeit erscheinen unverbindliche „Bestimmt bald mal treffen“-Floskeln auf den ersten Blick wie die „Du kommst aus dem Gefängnis frei“-Karte des gesellschaftlichen Monopoly. Sie sind der Joker, der uns im Handumdrehen von der sozialen Awkwardness erlöst. Trifft man sich „irgendwann nächste Woche“, ist es für den Moment nicht wichtig, weiter zu sprechen. Weil wir aber meistens ganz genau wissen, dass wir die Versprechen in Zukunft nicht einlösen werden, sind unsere „Bestimmt bald mal treffen“-Floskeln wie selbstgebastelte Geburtstagsgutscheine des Netzwerkens: eine fragwürdige Notlösung.
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Wollen wir jemanden wirklich bald und ausführlich wiedersehen, sollten wir das ganz einfach tun statt es nur zu versprechen.
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Aufschub verspricht bei akuten Bauchschmerzen angesichts einer verzwickten, sozialen Situation zwar schnelle Linderung, doch er bringt auch neue Probleme. Zum Beispiel die noch unangenehmere Stimmung beim nächsten Treffen. Ein Szenario, das den meisten von uns ebenfalls nicht unbekannt sein dürfte.
Gerade weil echte Freundschaften auf den vielen gemeinsamen Erlebnissen aufbauen, sollten wir uns darüber im Klaren sein, dass wir nur wenigen Menschen so viel Zeit einräumen wollen und können. Und vor allem akzeptieren, dass das vollkommen okay ist. Wollen wir jemanden wirklich bald und ausführlich wiedersehen, sollten wir das ganz einfach tun statt es nur zu versprechen.
Falls nicht, ist es ehrlicher und für alle Beteiligten angenehmer, zufällige Treffen im Moment zu belassen. Von leeren Versprechungen hat niemand etwas – vor allem dann nicht, wenn sie zum Standard werden. Es wäre schön, wenn wir endlich aufhören könnten, gemeinsame Pläne als Exit-Plan zu benutzen. Bekannten ganz einfach „Ciao!“ zu sagen, ist im ersten Moment zwar nicht angenehm, symbolisiert aber eine Eigenschaft, die wir uns oft wünschen und viel zu selten selbst zeigen: Verbindlichkeit.
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