Dieser Artikel enthält Spoiler und du solltest ihn nur lesen, wenn du die 4. Folge von Girlboss bereits gesehen hast.
Wer vor Netflix Teenager war, hatte Termine. Bedeutende Termine. Sie waren ungefähr so unverrückbar wie Abflugdaten, Prüfungen oder Vorstellungsgepräche. Mein Wichtigster war mittwochs, 21:15 Uhr. Dann lief O.C., California auf ProSieben.
Die neue Netflix-Serie Girlboss bringt dieses Gefühl zurück auf unsere Laptops. Sie erzählt die Geschichte von Nasty Gal-Gründerin Sophia Amoruso – lange bevor ihr Unternehmen millionenschwer war. Ihr Weg ist weder in der Serie noch in der Realität märchenhaft: 2016 musste Nasty Gal Insolvenz anmelden. Sophia trat als CEO zurück, der Online-Fashionretailer Boohoo kaufte ihre Firma.
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Girlboss fängt ganz von vorne an. Sophia hat keinen Plan, was sie mit ihrem Leben anfangen soll, schmeißt ihren Job hin und hat keine Lust, die unbequemen Fragen ihres Vaters zu beantworten. Talente, Ideen? Keine Ahnung, nächste Frage. Dabei weiß Sophia eigentlich sehr genau, was sie will: von ihrem Stil leben können. 2006 heißt das Ticket dafür noch nicht Instagram oder Blog, sondern MySpace und eBay.
Damit versetzt Girlboss alle Kinder der 90er sofort zurück in die eigene Teenagerzeit. Zum Beispiel, wenn Sophias beste Freundin Annie in der Serie darauf besteht, wieder in ihre MySpace Top 8 aufgenommen zu werden. Oder als sich alle auf der Couch treffen, um das Finale der dritten O.C.-Staffel zu sehen. Die Handlung kann jeder Fan – Schnappatmung! – auswendig mitsprechen: Nachdem Volchok Ryans und Marissas Auto von der Straße abgedrängt hat, stürzt es einen Hang hinunter. Ryan, der nur leicht verletzt wurde, trägt Marissa aus dem Wrack. Im Hintergrund läuft Imogen Heaps Hallelujah.
Sophia verpasst die Szene, weil sie gerade mit einer Kundin namens ladyshopper99 telefoniert. Sie heiratet noch in dieser Woche und will sich vergewissern, dass ihr Kleid auch wirklich pünktlich ankommt. Als Sophia auf die Couch zurückkehrt, ist alles bereits so gut wie vorbei: „Ich kann einfach nicht glauben, dass ich während des wichtigsten TV-Events unseres Lebens einen Arbeitsanruf hatte.“
Ein Gefühl, dass man in Zeiten des Doch noch was in der Küche vergessen-Zurückspulens beinahe vergessen hat. Sophias Entsetzen drückt den Stellenwert eines Sendetermins aus, der noch nicht einfach aufgehoben oder am Stück weggebinged werden konnte. Er war besonders – und vielleicht die Voraussetzung dafür, dass wir die Streamingdienste unseres Vertrauens heute so zu schätzen wissen.
Die ganze Gefühlsachterbahn zur letzte O.C.-Folge von Staffel Drei erlebt Sophia in Girlboss dann übrigens doch: in ihrem eigenen Finale. Darin geht es zwar nicht um Leben und Tod, aber um das Fortbestehen ihres eBay-Shops. Eine negative Bewertung bedeutete damals so gut wie das Aus. Dafür nimmt Sophia sogar in Kauf, sich ihrer größten Angst zu stellen. Sie hat Panik vor Brücken, holt aber trotzdem tief Luft und rennt dann einfach über die Golden Gate Bridge, um das Hochzeitskleid pünktlich abzugeben. Wieder läuft Imogen Heaps Hallelujah. Spoiler: Sophia schafft es in letzter Sekunde. Später folgt die Bewertung von ladyshopper99 – und ja, sie fällt positiv aus. Ein Serien-Happy-End muss es schließlich selbst 2006 geben.
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