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Mein Partner hat 3500 Euro unserer gemeinsamen Ersparnisse verspielt

Photographed by Kieran Boswell
„Ich muss dir etwas erzählen“, schrieb er mir.
Mir rutschte das Herz in die Hose. In der Vergangenheit hatte ich die Erfahrung gemacht, dass diese fünf Worte meist nichts Gutes bedeuten. Und wie sich herausstellte, hatte mein Bauchgefühl auch dieses Mal recht. Ein paar Stunden nach dem mir mein Freund die Nachricht geschickt hatte, trafen wir uns und ich wusste sofort, dass etwas nicht stimmt – seine roten Augen und sein kreidebleiches Gesicht verrieten es direkt.
Während ich mir im Kopf schon ausmalte, dass er mich betrogen hatte und mich verlassen wollte, platzte er auf einmal heraus: „Ich bin spielsüchtig. Ich kann nicht aufhören.“ Dann brach er zusammen. Ich war geschockt und verwirrt. Ich wusste, er spielte hin und wieder mal – oder zumindest dachte ich das. Aber das machten ja viele Sportfans – dachte ich, weil ich schon so oft Glücksspielwerbungen während der Pausen bei Fußballspielen gesehen hatte.
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Er erklärte mir schluchzend, er habe in den letzten Wochen viel Geld verspielt und hätte das Gefühl, er könnte damit einfach nicht aufhören. Er sagte, jedes Mal, wenn er eine Wette verloren hatte, hatte er weitergespielt, in der Hoffnung, er würde das verspielte Geld wieder zurückgewinnen. 
Ich war verzweifelt. Mir war aufgefallen, dass von unserem gemeinsamen Konto Geld abgegangen war beziehungsweise von Wettbüros eingezogen wurde. Aber ich hatte naiverweise angenommen, es würde sich nur um ein paar kleinere Beträge handeln. Als ich später noch mal einen genaueren Blick auf die Kontoauszüge warf, realisierte ich erst, er hatte innerhalb weniger Wochen über 600 Euro ausgegeben.
Er hatte unser gemeinsames Geld verspielt – Geld, das wir brauchten, um unsere Rechnungen zu bezahlen. Er sagte, es täte ihm leid und er würde es verstehen, wenn ich ihn verlassen will. Ich war durcheinander und traurig, weil er nicht schon eher mit mir gesprochen hatte. Bevor es außer Kontrolle geraten ist. Aber ich fühlte mich auch extrem schuldig, weil ich nicht bemerkt hatte, dass etwas nicht stimmte. Ich beschloss, ihn nicht zu verlassen und ihn stattdessen zu unterstützen. Ich ermutigte ihn dazu, seine Konten bei den Wettbüros zu löschen und sich abzulenken. Und das tat er auch.
Erst ein paar Monate später realisierte ich, sein Problem war viel größer als ich angenommen hatte. Er hatte Geld von meinem persönlichen Konto auf sein eigenes überwiesen. (Wobei ich dazu sagen muss, dass wir irgendwann Mal beschlossen hatten, dass wir uns unser Geld teilen – egal, wer es erarbeitet hatte und auf welchem Konto es sich befand.) Er hatte eine deutlich größere Summe verspielt als ich bisher angenommen hatte.
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Ich begann, zu recherchieren, um mehr über das Thema Glückspielabhängigkeit herauszufinden und fand heraus: Allein in Deutschland gibt es mittlerweile etwa 326.000 problematische und 180.000 pathologische (krankhafte) Glücksspieler*innen. Und es könnten noch deutlich mehr werden, was nicht zuletzt daran liegt, dass wir “dank“ der modernen Technik heutzutage 24/7 wetten können – und zwar ganz gemütlich vom Sofa aus, statt in einer dunklen, heruntergekommen Spielhölle. 
Laut der Londoner Therapeutin Sally Baker tragen Glücksspiel-Apps einen großen Teil dazu bei, dass aus harmlosem Interesse an Sport ein Zwangsverhalten wird, welches junge Männer in den finanziellen Ruin treibt. Sie erklärt, die Apps setzen auf “Belohnungsreize“, die es Nutzer*innen erschweren, das Smartphone beiseite zu legen – so werden zum Beispiel bestimmte Farben und Audioreize genutzt. „Mit verlockenden Boni, Sonderangeboten und kostenlosen Wetten, sorgen sie dafür, dass bei den Nutzer*innen Stück für Stück das Verlangen wächst, dem Geld nachzujagen und Verluste zurückzugewinnen.“
Seit dem ersten Gespräch mit meinem Freund ist einige Zeit vergangen. Es gab lange Phasen, in denen er gar nicht gewettet hat, aber auch Rückfälle, bei denen er wieder sehr viel Geld verspielte. Jedes Mal, wenn er einen Rückfall erleidet, ist er am Boden zerstört. Er sagt dann immer, er würde es verstehen, wenn ich ihn verlasse. Und ich muss sagen, es gab Zeiten, in denen ich ihm damit gedroht habe, Schluss zu machen. Natürlich verstehe ich aber auch, dass er abhängig ist. Seine Sucht ist ein psychisches Problem und deswegen braucht er Unterstützung – die er bei einer Onlinecommunity für Spielsüchtige fand. Außerdem hätte es noch viel schlimmer kommen können, denn nicht alle Glücksspieler*innen sind überhaupt bereit, sich Hilfe zu suchen.
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Sally warnt, dass man sich nicht täuschen lassen sollte, denn wenn der Partner oder die Partnerin spielsüchtig ist, „wird sie oder er dich anlügen… So lange, bis sie oder er dazu bereit ist, eine Therapie zu machen, die nötig ist, um diese spezielle Form der psychischen Erkrankung anzugehen.“
Nach einem Rückfall verfällt mein Freund meist in eine tiefe Depression und kämpft mit seiner mentalen Gesundheit. Insgesamt hat er etwa 3500 Euro unserer gemeinsamen Ersparnisse verspielt. Mit jedem einzelnen Euro, den er verwettet hat, ist ein kleiner Teil des Vertrauens, das wir geteilt haben, für immer verloren gegangen.
Viele Menschen geben Kreditkarten die Schuld, weil sie es Glücksspielabhängigen ermöglichen, einen riesigen Berg von Schulden anzuhäufen. Aber heutzutage sind sie nur noch ein Teil des Problems. Smarte Technologien, Apps und die Gamifizierung des Wettens sprechen eine neue Generation von Männern an. Ich bin der festen Überzeugung, wenn mein Freund keinen Zugriff auf diese Wett-Apps gehabt hätte, wäre er niemals abhängig geworden. Er hat mir erzählt, dass er niemals in eine dieser Wettbüros gehen würde, aber auf seinem Smartphone zu wetten wurde schnell zu einem Hobby… Es hat Spaß gemacht und war einfach und praktisch, sagte er. Es ging mit Sportwetten los und nach kurzer Zeit kamen Casino-Apps dazu. Dann übernahm die Sucht die Überhand. 
Matt Zarb-Cousin von Campaign for Fairer Gambling, einer Gruppe, die sich erfolgreich dafür einsetzt, dass der maximale Betrag, den eine Person auf feste Wettquoten in einem Wettbüro setzen kann von 100 Pfund (etwa 120 Euro) auf 2 Pfund gesenkt wird, sagt: „Junge Männer sind am schlimmsten von der Glücksspielepidemie betroffen und die Zahlen sind extrem besorgniserregend. Je jünger du bist, wenn du mit dem wetten beginnst, desto wahrscheinlicher ist es, dass du süchtig wirst. Onlineglücksspiele stellen ein sehr großes Risiko für eine ganze Generation junger Männer dar.“
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Nach seinem ersten Rückfall beschloss mein Freund, sich bei einer Onlinecommunity für Spielsüchtige anzumelden. Die half ihm dabei, alle Konten zu löschen und lebenslang gesperrt zu werden, in dem er sich selbst als Spielsüchtiger identifizierte. Er denkt, diese Unterstützung war wesentlich für seine Genesung und sagt, er wüsste nicht, wo er ohne sie jetzt wäre.
Außerdem entschied er sich, mir Einsicht in sein Konto zu geben, damit ich prüfen kann, wie viel Geld er ausgibt und wofür. Das sorgt bei uns beiden für innere Ruhe und gibt uns die Möglichkeit, nach vorn zu schauen. Auch Jahre nach seinem ersten Rückfall haben wir noch immer Schulden und er braucht weiterhin Unterstützung. Das Glücksspiel hat fast sein Leben und unsere Beziehung zerstört. Aber im Moment stehen wir es gemeinsam durch.
Wenn du dich in einer ähnlichen, vielleicht sogar noch gravierenderen Situation befindest rät Sally, auf sich selbst zu achten. Es geht hier nicht um Schuldzuweisung oder Egoismus. Aber es bringt niemandem etwas, wenn dein*e Partner*in dich mit runterzieht. Er oder sie braucht professionelle Hilfe – du allein kannst ihn oder sie nicht retten, besonders, wenn die betroffene Person nicht einsichtig ist und etwas verändern will. Was du laut der Therapeutin deswegen machen solltest ist, „die Kontrolle über eure Finanzen zu übernehmen und wachsam zu sein“. Sollte die Situation wirklich gravierend sein (und das ist sie vermutlich), musst du wohlmöglich akzeptieren, dass du die Person, die du liebst nicht retten kannst – so sehr du es auch willst, so Sally. Möglicherweise hast du dann gar keine andere Chance, als zu überlegen, ob eure Beziehung überhaupt noch eine Zukunft hat. So traurig das auch ist.
Wenn eine Trennung für dich jedoch definitiv keine Option ist, achte bitte auf deine eigene mentale Gesundheit! „Es gibt Organisationen, die Familien und Freund*innen von Glücksspielsüchtigen unterstützen – so wie es sie auch für die Familien und Freund*innen von Alkoholiker*innen gibt“, sagt die Expertin. Wichtig ist, dass du erkennst, du bist nicht allein mit diesem Problem.
Wenn du unter Spielsucht leidest oder jemanden kennst, der oder die betroffen sein könnte, findest du auf Spielsucht-Therapie.de Beratungsstellen in deiner Nähe. Du kannst aber auch die Onlineberatung oder Hotline von Verspiel nicht dein Leben kontaktieren.

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