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Ich bin Amerikanerin, lebe in Deutschland & fühle mich in beiden Ländern fremd

Vor fast zwei Jahren wurde ich zu der Premiere eines Filmes eingeladen – ich wusste nicht, was mich erwarten wird – und am Ende war ich unglaublich gerührt: Es handelte sich um den Dokumentarfilm „Brown Bread - The Story of an Adoptive Family” von Sarah Gross. Der Film dreht sich um Sarahs Familie, die in den 70er Jahren vier Kinder unterschiedlicher Herkunft adoptierten. Seit 1992 ist die Amerikanerin nun in Berlin, studierte Film und macht mit ihren Kurzfilmen und Drehbüchern auf Herzensthemen aufmerksam. Adoption, Rassismus, Kinder und Karriere, das Arbeiten in der Männerdomäne – in einem ganz persönlichen Gespräch erzählte sie mir von ihrer bunten Welt.
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Sarah, du hast drei Kinder. Wie bekommst du dies mit deinem Beruf unter einen Hut?
Das war in der Tat eine ziemliche Herausforderung. Zu spüren bekam ich das als ich 2001 erste Regieassistenz beim Kinofilm „Good Bye Lenin“ war. Meine Tochter war damals acht Monate alt, mein Sohn drei Jahre. Wir haben jeden Tag bis zu achtzehn Stunden gearbeitet. Oft kam ich vom Dreh direkt zum Frühstück nach Hause. Das hat mich persönlich sehr mitgenommen. Hinzu kam, dass die Arbeitsatmosphäre am Set immer schwieriger wurde. Viele Leute von Team wurden schlecht behandelt und ich konnte mich leider nur bedingt für sie einsetzen, war aber für viele die Ansprechpartnerin. In dem Moment wurde mir klar, dass, wenn ich meine Familienzeit aufgebe, dann nur für eine Aufgabe, die mich auch persönlich voll und ganz ausfüllt. Das war der Startschuss in meine Selbständigkeit. Seitdem drehe ich meine eigenen Dokumentarfilme.
Die Überstunden, das Klima – hinzu kommt erschwerend, dass die Filmszene nach wie vor eine Männerdomäne ist…
Ja, die Filmbranche ist in der Tat sehr stark von Männern dominiert. Das sieht man schon daran, dass nur ungefähr 10% der Filmfördermittel an frauengeführte Projekte gehen. Zum Glück gibt es schon die ersten Netzwerke für Frauen im Film. Hier kann ich zum Beispiel Das Netzwerk European Women’s Audiovisual Network (EWA) empfehlen.
Dein erster Dokumentarfilm handelt von Adoption und Integration in der eigenen Familie. Wie hast du das denn als Kind empfunden, als deine Eltern deine Geschwister adoptiert haben?
Für mich war Adoption ganz natürlich. Ich erinnere nicht an Eifersucht sondern eher an Freude, weil ich meine beiden Brüder sehr niedlich fand. Bei den ersten beiden Adoptionen hatte meine Mutter auch noch ausreichend Zeit für uns alle. Wir waren eine fröhliche Familie und Integration klappte prima, ohne dass ich wusste, was Integration eigentlich bedeutet. Etwas schwieriger wurde es, als meine Eltern meine beiden Geschwister, Michael und Sebastian, adoptierten. Die beiden kamen aus einer Pflegefamilie, in der sie stark misshandelt wurden. Um sie musste sich meine Mutter intensiver kümmern. Zu dem Zeitpunkt hätte ich mir schon mehr Aufmerksamkeit gewünscht, da mich diese neue Situation emotional sehr gefordert hat.
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Führte die andere Hautfarbe deiner Geschwister zu schwierigen Situationen? Wenn du konkret Rassismus meinst, so habe ich dies schon außerhalb der Familie zu spüren bekommen. Rassismus besteht ja oft aus kleinen Bemerkungen oder Verhaltensweisen, denen man nicht in dem Sinne direkt widersprechen kann. Man empfindet sie nur als unangenehm. Es ist echt schwer, andere davor zu schützen.
Konntest du denn als Kind schon etwas dagegen tun?
Ja. Oft auch, wenn meine Geschwister nicht dabei waren. Man kann und sollte immer zu seiner Sichtweise, zu seinen Freunden, oder in meinem Fall Geschwister, stehen, zum Beispiel indem man offen handelt und andere darauf hinweist, wenn man ein rassistisches Verhalten bemerkt.
Wodurch, denkst du, wird rassistisches Verhalten gestützt?
Rassismus wird oft noch heute durch sozial-ökonomische Spaltungen gestärkt. Es werden zum Beispiel vielmehr schwarze Männer von Polizisten ohne Grund einfach angehalten und durchsucht. In Amerika kommen auf einen weißen Häftling sechs schwarze. Selbst meine Branche unterstützt teilweise, dass gewisse Vorurteile weiter bestehen. Oft gibt es im Film nur eine schwarze Figur – die des Verbrechers.
Empfindest du das Thema Adoption noch als aktuell?
Ja, das ist ein Riesenthema! In Deutschland ist es schwer, Kinder zu finden, die zur Adoption frei gegeben sind. Meistens müssen Paare dafür ins Ausland fahren. Das bringt andere Themen mit sich, zum Beispiel die Ungerechtigkeit, dass eine arme Frau, die sich es nicht leisten kann, ihr Kind zu behalten, aus finanziellen Gründen ihr Kind an wohlhabende Menschen aus Europa abgeben muss. Ich habe in Berlin viele Freunde, die im Ausland adoptiert haben und sehr offene und gelungene Familien aufgebaut haben. Man kann auch durch Kontakt zur leiblichen Mutter und/oder zur Herkunftskultur eine Brücke bauen, die dem Kind ermöglicht, hier aufzuwachsen, ohne ganz auf seine ursprüngliche Herkunft zu verzichten.
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War es denn für deine Eltern schwierig Kinder zu adoptieren?
Damals in Tennessee durften nur Amerikaner adoptieren. Weil meine Mutter Ausländerin war, musste das Gesetz zuerst geändert werden bevor meine Eltern adoptieren durften. Je mehr meine Eltern über Adoption gelernt haben, umso mehr waren sie bereit, schwierige Fälle auf sich zu nehmen. Leider ist es damals und heute auch noch der Fall, dass weiße Babys sehr schnell adoptiert werden. Dagegen haben ältere oder dunkelhäutige Kinder es viel schwerer, willige Adoptiveltern zu finden. Meine Eltern wussten schon immer, dass sie nicht unbedingt nur weiße Babys haben müssen. Inzwischen ist es viel leichter, für ältere Paare oder auch gleichgeschlechtliche Paare zu adoptieren. Das finde ich gut. Aber ein gewisses Screening muss natürlich stattfinden.
Prominente scheinen ja sehr schnell Kinder adoptieren zu können…
Mir gefallen die Bilder der bunten, perfekten Promi-Adoptivfamilie nicht. Kinderkriegen ist nie leicht, egal wieviel Geld man hat. Wieso sollen wir glauben, dass sie vier oder fünf oder mehr Kinder mit links adoptieren und dass alles trotzdem bilderbuchartig verläuft? Besser fände ich es, wenn sie ehrlich über ihre Erfahrungen sprechen würden, damit andere in der gleichen Situation sich nicht so allein fühlen brauchen oder etwas von ihnen sogar lernen könnten.
Sind deine Kinder eher deutsch oder amerikanisch geprägt?
Jedes Kind sieht es etwas anders. Sie sind alle zweisprachig und bikulturell, jeder hat aber eine andere Nähe zu beiden Kulturen und Sprachen. Mein älterer Sohn ist sehr amerikanisch. Er ist letztes Jahr in die USA gezogen und fühlt sich dort sehr wohl. Mein kleiner Sohn fühlt sich eher deutsch.
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Deine Kinder werden in den USA studieren. Was denkst du derzeit über dein Heimatland?
Schmerz und Scham. Ich fürchte, wir haben viel zu lange Bildung vernachlässigt und ziehen jetzt die Konsequenzen. Ich glaube, die Demokratie ist momentan schwer gefährdet. Ich hoffe, dass wir nicht warten müssen, bis die Erde verbrannt und unser Land im Eimer ist, bevor wir für eine neue Politik stimmen können.
Fühlst du dich als Amerikanerin fremd in Deutschland?
Ja. Ich bin und werde nie deutsch sein. Das liegt an vielen kleinen Sachen, kulturell und sprachlich. Andererseits, wenn ich in Amerika bin, habe ich das Gefühl, dass ich dort auch eher Ausländerin bin. Ich habe zwei Heimatorte und gleichzeitig gar keine.
Was machst du, damit deine Kinder ein offenes Weltbild haben?
Mir ist es wichtig, dass meine Kinder Anderen helfen wollen. Ich möchte, dass sie offen für andere Sichtweisen bleiben und bewusst bleiben, wie privilegiert sie aufgewachsen sind. Ich glaube, ein solches Privileg bringt auch Verantwortung mit sich. Ich hoffe und glaube, dass sie alle drei, jeder auf seiner Art, dieser Verantwortung nachgehen werden.
Was wünscht du dir persönlich für Deutschland?
Die deutsche Seele hat sehr viele tolle Eigenschaften, die ich sehr schätze. Es tut ihr aber auch gut, mit anderen Kulturen zusammen zu kommen. Ich wünsche Deutschland, dass neue Leute, die ins Land kommen, herzlich eingebunden werden – und nicht nur aus Pflichtbewusstsein, sondern auch, weil wir merken, dass wir hier ebenfalls sehr stark vom gegenseitigen Austausch profitieren können.
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