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Jean Paul Gaultier exklusiv: „Berghain & KitKatClub verkörpern Freiheit”

Er reicht mir Haribos und lacht wie ein kleiner Schuljunge, während er von Szenen aus seiner Kindheit erzählt. Er beschreibt das Mädchen, das ihn mit ihren feuerroten Haaren Schönheit lehrte, er nimmt mich gedanklich mit auf den Pausenhof, wo er sich den Respekt der anderen Jungs erzeichnete. Monsieur Jean Paul Gaultiers Geschichten sind wie seine Mode: Sie tänzeln in außergewöhnlichen Formen und Farben auf mich zu, sind extravagant und gleichzeitig nahbar. Es ist ein wahres Erlebnis mit diesem Mann zu sprechen, nicht nur weil er einer der wichtigsten Modeschöpfer unserer Zeit ist: Das gestreifte Marine-Shirt, Madonnas Kegel-BH, der Herrenrock und der Parfum-Torso, den in den 90ern einfach alle coolen Kids wollten – man nennt den Designer immer und immer wieder Enfant terrible Frankreichs, die lebende Legende der Pariser Haute Couture. Und nun sitze ich mit ihm hinter den Kulissen des Friedrichstadt-Palastes in Berlin und er erzählt mir mit leuchtenden Augen und französischem Charme, dass er sich mit 64 Jahren endlich seinen großen Kindheitstraum erfüllt hat: Der Revue-Fan hat höchstpersönlich 500 Kostüme für die neue Show The One entworfen...

Herr Gaultier, können Sie Ihr Gefühl beschreiben, das Sie überkam, als Sie das erste Mal in dem geschichtsträchtigen Friedrichstadt-Palast waren?
Ich war überwältigt, weil ich schon so viel davon gehört habe: Ich war plötzlich an dem Ort, an dem schon die große Josephine Baker Shows gespielt hat. Der Palast ist eine Institution, er ist wunderschön. Für mich der schönste in Europa. Seit meiner Kindheit bin ich Fan von Revue und Cabaret, Kleider für eine solche Show zu entwerfen, war schon mein Traum, bevor ich Fashion gemacht habe. Als kleiner Junge sah ich einen Film aus Kriegszeiten, es ist ein französischer Film und war der Inbegriff dieses Showgefühls. Ich war also das erste Mal verliebt: in das Theater. Die Folge war, dass ich dann mit neun Frauen mit Federn und Netzstrümpfen im Unterricht zeichnete. [lacht] Wie kam das 1961 an?
Das gehörte sich natürlich nicht zu der Zeit! Die Lehrerin hat mich erwischt und bestraft: Sie hat mir meine Zeichnung auf den Rücken geklebt und ließ mich durch die Klasse laufen. Zu dieser Zeit wurde ich von den Jungs abgelehnt, weil ich nicht wie sie war. Ich war nicht gut im Fußball und sonst auch nicht vielem. [lacht] Aber die Strafe war perfekt, denn dadurch lachten die Kinder nicht mehr über mich. Sie haben mich vielmehr angelächelt und wollten von da an, dass ich für sie zeichne. Ich habe plötzlich Respekt bekommen, weil ich schöne Mädchen skizzieren konnte.

Sie sind ein Weltstar, warum erfüllen Sie sich diesen Traum ausgerechnet in Berlin?
Wegen des Flairs der vergangenen Cabaretstars und des Palasts. Hier verbinden sich Dekadenz, Charme und Moderne. Ich bin Fan der alten Filme mit Marlene Dietrich zum Beispiel. Wenn es um Show, Theater und Cabaret geht, zählten damals nur Paris, London, New York und Berlin. Anfang des letzten Jahrhunderts war Paris noch besonders, doch heute nicht mehr. An der Spitze stand für mich immer Berlin, weil es in England und Amerika mehr um perfekte Technik geht und in Europa geht es schon immer mehr um Freiheit, Kreativität und Ideen.

Kamen Sie denn auch vor Ihrem Job als Kostümdesigner oft nach Berlin?
Die Mauer stand noch, als ich das erste Mal kam. Ich fand Westberlin damals schon wahnsinnig toll. Berlin ist nach wie vor einzigartig, meine Energiespritze. David Bowie, Hedi Slimane, viele Künstler, die ich bewundere, haben hier gelebt, weil die Stadt inspirierend ist. Auch das Nachtleben ist hier ganz besonders. [grinst]
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Erzählen Sie mir von Ihrer verrücktesten Nacht in Berlin?
Eine? Ich hatte so viele verrückte Nächte. Vor allem im Berghain und im KitKatClub. Beide Clubs verkörpern für mich Exzentrik, Extravaganz und Freiheit. Darin ist es wie im Traum. Wann waren Sie das letzte Mal eine Nacht im Berghain?
Ungefähr vor zehn Jahren. Jetzt bin ich etwas älter, der Sonntag Nachmittag ist da schon besser für mich zum Feiern. [lacht] Wir haben gerade erst eine besondere Streetstyle-Reihe mit Berghain-Gängern gemacht. Was denken Sie über den Style?
Er ist exzellent, ich bewundere und liebe ihn. Es ist Fashion und gleichzeitig Persönlichkeit. Es ist Ausdruck von sein, stark und hart, aber immer individuell. Das bezieht sich auch auf die Musik: Es ist Techno, sehr stark und laut. Ich möchte auch immer noch eure berühmteste Band sehen, mit den spektakulären Shows.

Rammstein…
Ja! Sie sind außergewöhnlich und ich habe sie noch nie live gesehen. Aber ich will sie auf jeden Fall in Deutschland sehen, das gehört so.

Kommen wir nochmal zurück zur Show im Friedrichstadt-Palast: Wie finden Sie die Zeit, um 500 Kostüme zu designen?
Das war kein Problem, ich habe es einfach gemacht. [lacht] Nein, ich habe vor fast zwei Jahren mit den ersten Skizzen angefangen. Sagen wir, ich war gut in der Zeit. Ich habe mich am Anfang von Graffitis inspirieren lassen, ich wollte eine Verbindung zur Berliner Mauer schaffen, zu den für Gaultier typischen Tattoos und zur Revue. Ich liebe Extreme und bringe gerne unterschiedliche Welten zusammen. Das mache ich bei allem, was ich tue.

Sind Sie nach vierzig Jahren in der Modebranche überhaupt noch bei Premieren nervös?
Nein, nicht direkt. Ich freue mich sehr darauf, weil es wie gesagt eine Herzensangelegenheit ist. Vielleicht werde ich am Abend der Premiere noch nervös, wenn ich die Emotionen der anderen sehe. Aber bis jetzt bin ich einfach glücklich, dass ich mit so einem exzellenten Team arbeiten kann. Ich will nicht sage, dass ich hier etwas Geniales mache, aber ich kann sagen, dass ich etwas tue, das mir sehr viel Spaß macht und das ich einfach liebe.
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Sie sind 64 Jahre alt. Was wissen Sie heute über Fashion, was sie mit 24 noch nicht wussten?
Lassen Sie mich zurückrechnen...Voilà! Vor 40 Jahren habe ich tatsächlich meine erste Kollektion gemacht. Ich sah Fashion als Film, als Bewegtbild mit Eleganz. Es ging mir um die Person, die meine Mode trägt. Ganz egal, wie sie aussieht, wollte ich ihr Wunderschönes nach außen holen. Ich hatte kein Geld und habe meine Idee trotzdem realisiert. Ich bin gesegnet, denn heute weiß ich, dass ich nichts des Geldes wegen mache, sonder nur der Begeisterung wegen. Vor ungefähr zehn Jahren hat sich die Branche verändert: Heute geht es mehr um die Wichtigkeit von Geld, Werbung und Ego. Ich muss ehrlich zu mir sein und motiviert bleiben und nicht des Geldes wegen etwas tun. Zum Beispiel verrate ich Ihnen, ich habe Hermès nicht des Vergnügens wegen gemacht. Klar, konnte ich Geld fordern und sie haben das bezahlt, aber darum ging es mir nicht.

Worum ging es Ihnen? Sie waren von 2004 bis 2011 Designer für Hermès...

Ich habe Givenchy abgelehnt, weil ich zu der Zeit nicht mehr viel von diesem Haus gehalten habe. Chanel, Saint Laurent, Cardin – natürlich, das hätte ich gemacht, denn diese Häuser haben Geschichte, Klasse und Stil. Hermès ebenso und deshalb war es ein Abenteuer, eine Herausforderung. Nachdem ich für Madonna gearbeitet habe, nachdem ich für Luc Besson für den Film „Das fünfte Element” gearbeitet habe, war das etwas, das mir wieder Spaß gemacht hat. Ich war ein Punk, als ich angefangen habe, ein Enfant terrible. Hermès war das Gegenteil meines Styles und das reizte mich, ich respektierte schon immer deren tolle Arbeit mit Leder. Was wissen Sie heute über die Schönheit, was sie mit 24 noch nicht wussten?
Zuerst musste ich lernen, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt. Dann musste ich lernen, dass Gott nicht existiert. Und dann habe ich – ebenfalls sehr früh – gelernt, dass Schönheit für mich abseits der Norm liegt. Ich erinnere mich, dass ich in der Schule ein Mädchen schön fand, weil sie so anders aussah. Sie hatte extrem rote Haare und sehr weiße Haut, man konnte ihre Adern sehen. Sie war komplett anders. Sie war Halbfranzösin und Halbalgerierin. Sie mochte mich, aber ich wollte, dass sie mich liebt. Also erfand ich, dass ich die gleichen Wurzeln hätte wie sie. Ich schweife ab, nicht wahr? [lacht] Ich erinner' mich an ein Mädchen aus '72, sie war schwarz und hatte gebleichte Jahre, das war eine Sensation damals, die Designer wollten sie nicht buchen. Ich fand es so schön. Eine andere, sie sah aus wie ein Berliner Mädchen mit dünnen Lippen aus den 40er Jahren, sie schminkte sich um die Augen rot und die Lippen schwarz und trug keine Schuhe. Sie arbeitet heute noch mit mir. Die arabische Frau zum Beispiel hat lang nicht stattgefunden in der Mode, es war traurig, denn ich mag Diversität. Der schwedische Typ war nie mein Fall, ich mochte immer das Gegenteil: schwarze Haare, rote Haare, lockige Haare, gebleichte Haare...

Was wissen Sie heute über die Liebe, was sie mit 24 noch nicht wussten?
Ich wusste damals, dass ich zeichnen muss, um geliebt zu werden. Heute habe ich keine preziöse Idee von Liebe. Ich bin die ganze Zeit verliebt: in meine Arbeit, in den Film, in die Menschen um mich herum. Ich habe einmal meine wahre Liebe getroffen, Francis ist zwar zu früh gestorben, aber ich bin dankbar für jede Minute, die ich mit ihm hatte.

Was wissen Sie heute über das Altern, was sie mit 24 noch nicht wussten?
Meine Großmutter vermittelte mir ein tolles Bild vom alt sein. Sie war hübsch, besaß Korsagen, Kleider mit schwarzen Paradiesfedern und Tarotkarten. Sie war magnetisierend. Ich habe durch sie gelernt, dass viele Frauen im Alter schöner werden. Die Falten, die Reife und die Erlebnisse prägen auch die Ausstrahlung. Und das denke ich heute noch. Und was denken Sie über Ihr Altern?
Ich fand mich auch noch nie schöner [lacht]. Ich hatte Angst, dass ich zu Alten mit den Wehwehchen gehören werde. Aber so fühle ich mich jetzt nicht. Gut, ich kann nicht mehr alles essen, was ich mit 24 essen konnte. Heute werde ich schneller fett und meinem Knie geht es nicht so gut, aber eigentlich merke ich nur daran, dass ich nicht mehr so gut höre, dass ich alt bin. Aber all die Erfahrungen und die schönen Sachen, die Souvenirs meines Leben machen mich glücklich. Ich erfinde mich durch meine Kleider immer wieder neu, recycle Mode und schaffe aus Altem Neues, das ist ein natürlicher Kreislauf und das hält mich jung.
Die Weltpremiere von The One – Grand Show findet am 06. Oktober im Friedrichstadt-Palast statt. Dann werden über 100 Künstler und -innen auf der größten Theaterbühne der Welt in Gaultiers Kostümen tanzen. Neben Roman Lob und Brigitte Oelke als Solist und Solistin gehören BRIT-Award-Gewinnerin KT Tunstall und Gregor Meyle zum international besetzten Kreativteam. Das Produktionsbudget liegt bei über elf Millionen Euro.
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