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Zwischen Spaß und Fassungslosigkeit: Kinderbetreuung im Flüchtlingscamp in Griechenland

Greta Tacke ist 24 Jahre alt, studiert International Sport Development and Politics im Master in Köln und ist eine Person, die von innen her strahlt. Die attraktive Blondine ist eine Erscheinung; hat ein mitreißendes Lächeln, eine sportliche Figur und ein herzliches Lachen, das ansteckt. Wer sie nicht kennt, ordnet sie vielleicht in die Schublade attraktives, sportliches Mädchen mit wenig Sorgen und viel Spaß ein. Wer länger mit ihr spricht, erkennt den sensitiven Menschen hinter der lachenden Fassade, die Macher-Attitüde und ihr großes Herz. Ich treffe mich mit Greta in Köln in einem Park, um mich mit ihr über ihre letzte Reise zu unterhalten. Surfcamp in Santander? Rucksacktour durch Vietnam? Oder vielleicht ein Mädelstrip nach Wien? Weit gefehlt. Greta hat ihre letzte freie Woche in Griechenland verbracht – in einem Flüchtlingscamp. Am Rande von Veria, einer griechischen Stadt im Norden des Landes, nicht sehr weit vor der Grenze Mazedoniens. In der Nähe liegt auch Thessaloniki, welches uns Deutschen auch aus touristischer Sicht bekannt ist.
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An Griechenlands Küste, auf Griechenlands Inseln kommen noch immer regelmäßig Boote an, noch immer sinken vollbesetzte Kähne auf dem Mittelmeer, Menschen sterben, einer der noch immer existierenden Schandflecke Europas. Die europäischen Regierungen schauen weg, Griechenland ist heillos überfordert mit den Massen an Menschen, die täglich ankommen und mit denen, die seit Wochen oder Monaten in den provisorischen Camps ausharren. Es sind Freiwillige, die das Leben in den Camps ein wenig lebenswerter machen, Ehrenamtliche, die ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen, um zumindest teilweise aufzuarbeiten, was die Politik versäumt.

Wir hier in Deutschland führen ein so unbeschwertes Leben, eins im Überfluss ohne echte Sorgen. Das Mindeste ist doch, etwas für Menschen zu tun, denen es schlechter geht

Greta, 24 Jahre alt
Es ist nicht das erste Mal, dass die gebürtige Bochumerin sich für Schwächere einsetzt, sich für Geflüchtete stark macht und ihre Zeit mit ihnen verbringt. „Ich habe einfach irgendwann gedacht, ich muss was tun. Das geht so nicht. Ich will etwas tun“, erklärt sie mir. Damals noch in Bochum wohnhaft wendet sie sich an Dirk Michalowski vom VfL Bochum, der verweist sie weiter an den Verein In safe hands e.V. Der In safe hands e.V. kommt aus dem Fußballkontext und möchte den Fußball als interkulturelles und soziales Mittel nutzen, um eine friedliche, inklusive und bunte Umgebung zu schaffen, in der jedes Kind und jeder Jugendliche die gleiche Chance hat, seinen individuellen Lebensweg zu finden. Der Fokus des Vereins liegt auf Geflüchteten und sozial benachteiligten Kindern, deren Austausch gefördert werden soll und für die Bildungs- und Freizeitangebote geschaffen werden sollen. Greta arbeitet schon länger ehrenamtlich für den Verein, kümmert sich als Projektmanagerin um unterschiedliche Bereiche, ist fester Bestandteil im Kernteam – ab Juli arbeitet sie auch offiziell angestellt neben dem Studium dort. Eine Arbeit, die ihr Spaß macht und viel gibt. „Wir hier in Deutschland führen ein so unbeschwertes Leben, eins im Überfluss ohne echte Sorgen. Das Mindeste ist doch, etwas für Menschen zu tun, denen es schlechter geht“, sagt sie.
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Im Dezember 2016 fliegt Jonas Ermes, einer der Gründer vom In safe hands e.V., dann das erste Mal nach Veria, in das Camp in den Räumlichkeiten einer ehemaligen Militärkaserne, und bietet dort im Flüchtlingscamp Fußballprogramme für die Kleinen, aber auch für Erwachsene an. Es fällt auf, das fast ausschließlich Jungen an den Programmen teilnehmen – nur kurz schließen sind auch zwei Mädchen an; nicht unbedingt, weil bei den Mädchen kein Interesse vorhanden ist, sondern auch, weil es im kulturellen Kontext der arabischen Welt nicht üblich ist, dass Jungen und Mädchen ab Beginn der Pubertät gemeinsam Sport treiben oder spielen. Zurück in Deutschland erzählt Jonas von seiner Erfahrung. Der Startschuss für eine von Greta initiierte Crowdfounding-Aktion unter ihren Freunden und ihrer Familie. „Mir war klar: Ich will dahin fahren und mir das ansehen. Und vor Ort helfen, indem ich auch Programme für die Mädchen anbiete“, sagt sie heute. Ihr Umfeld unterstützt sie, im April geht es für die Kölner Studentin nach Veria. In dem Camp im Norden Griechenlands leben hauptsächlich besonders schutzbedürftige Menschen. Das heißt viele Kinder, Witwen, Schwangere, Neugeborene, Alte oder Menschen mit Behinderung. Aktuell sind es etwas über 300 Personen – der Großteil von ihnen aus Syrien, aber auch einige irakische Geflüchtete finden hier Zuflucht.
Schon in der Heimat war für sie die allgemeine Einstellung gegenüber Geflüchteten nur schwer erträglich. Zwar hat Greta in Deutschland nicht in Heimen selbst gearbeitet, sich aber seit 2015 intensiv mit dem Thema beschäftigt. „Ich hatte den Eindruck ich bin gut vorbereitet – vor Ort habe ich aber gemerkt, dass meine Vorstellungen eine große Illusion sind und wenig bis nichts mit der Realität zu tun haben. Aus der menschlichen Perspektive habe ich vorher scheinbar wenig verstanden; man wird nicht gut informiert und ist so hilflos“, erzählt sie. Veria setzt diesem Gefühl die Krone aus. „Ich habe zum ersten Mal begriffen, was es eigentlich heißt, zu flüchten. Was es heißt, alles hinter sich lassen zu müssen, seine Heimat zu verlieren und alles was damit zusammenhängt“, erzählt Greta. In dem Camp gibt es Menschen, die zuvor ein Leben geführt haben, das sich von dem unseren kaum unterscheidet. Da gibt es Studenten, die ihre Studien abgebrochen haben, um sich in Sicherheit zu bringen, ältere Damen, Hausfrauen, ganze Familien, die ihre Wohnungen und Häuser, ihre vollen Kleiderschränke, ihre Freunde, Familie, das ihnen bekannte Zuhause mit Haustieren, Wegen, die sie seit ihrer Kindheit gehen, Nachbarn, die seit Jahren morgens grüßen, und ein Gefühl von Heimat hinter sich gelassen haben, gefährliche bis tödliche Wege auf sich genommen haben, um sich vor Krieg, Armut und Gewalt in Sicherheit zu bringen. „Ich war immer empathisch. Aber was es heißt, all das hinter sich zu lassen, um am Rande der Gesellschaft auf einem nicht mal so zu bezeichnenden Niveau zu leben, ist mir erst hier vor Ort klar geworden“, weiß Greta heute. Ein Umstand, der sie bewegt, schockiert, getroffen hat. Kahle Zimmer mit Schimmel an den Wänden, wenig Platz, viel Lärm – mit Teppichen wird versucht die Lautstärke zu dämmen und sich ein wenig Privatsphäre zu schaffen.
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Kinderaugen, die glänzen und strahlen, wenn man ihnen Spielzeug reicht oder sich mit ihnen beschäftigt; die aber einen Moment später ins Leere starren. Ein junge, kleine Stirn, hinter der sich so viel bewegt, dass es vermutlich kaum in Worte zu fassen ist, ein kindlicher Geist, der heimgesucht wird von Albträumen, Ängsten, Erinnerungen. Etwas, dass auch Menschen wie Greta nur begrenzt auffangen können – aber sie helfen mit ein wenig Spaß, Ablenkung in dem Grau des immer wiederkehrenden Alltags und ein bisschen Aufmerksamkeit für die Kleinsten der Camps.
Im Camp in Veria hat Greta gemeinsam mit ihren Kollegen und anderen Freiwilligen versucht, das beschriebene Leid ein wenig zu lindern und den Menschen ein Stück ihrer Würde wiederzugeben, wie sie es beschreibt. Es wurde gespielt, eine Fotowand aus einer alten Tür gebaut, ein Bühne aus Europapaletten gezimmert und bemalt. „Man fasst an allen Ecken und Enden mit an und versucht, die ganze Misere zumindest für Momente vergessen zu machen“, erzählt Greta. Dazu gehört es auch mal bei der Kleider- oder Essensverteilung mit anzupacken, zu schleppen, zu verteilen.
Es gibt Menschen, die nur kurz in diesen Auffangcamps verweilen. Solche, die schnell weiter gebracht und von dort aus zugewiesen werden. Es gibt aber mindestens genauso viele Menschen, die schon lange Warten. Auf die Weiterreise, den Asylstatus, eine Information, wie es für sie weiter geht. „Die meisten wollen natürlich weiter und nicht in Griechenland bleiben. Aber mittlerweile sind die Standardrouten über den Balkan schlichtweg zu. Es gibt kein Vorankommen und das nimmt natürlich viel Hoffnung und Lebensfreude“, sagt die Studentin.
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Man lernt viel über sich selbst. Das man weniger braucht als man denkt. Dankbar zu sein. Und auf einer Wiese zu sitzen, seine Freunde Volleyball spielen zu sehen und zu denken, das ist nicht selbstverständlich. Wir leben in einer sicheren Welt, die für andere so weit entfernt ist, dass sie nicht zu existieren zu scheint.

Eine Lebensfreude, die die junge Frau trotz ihrer Erfahrungen, trotz der Trostlosigkeit, die sie erlebt hat, und trotz der Erschütterung über die Situation in Griechenland nicht nur ausstrahlt, sondern ihrem Gesprächspartner fast ins Gesicht schleudert. Man lernt viel über sich selbst, verrät sie. Das man weniger braucht als man denkt. Dankbar zu sein. Und auf einer Wiese zu sitzen, seine Freunde Volleyball spielen zu sehen und zu denken, das ist nicht selbstverständlich. Wir leben in einer sicheren Welt, die für andere so weit entfernt ist, dass sie nicht zu existieren zu scheint. Greta will mehr verstehen, mehr nachvollziehen, integrieren und Kulturen durchschauen. Seit ihrer Rückkehr interessiert sie sich für die arabische Kultur, die in vielerlei Hinsicht anders ist. Sie besucht iranische Filmfeste, liest viel im Netz, sucht den Austausch und den Kontakt.
Ein Aufenthalt, eine Woche im nördlichen Griechenland, hat für die 24-jährige aus Köln viel verändert. Vor allem gedanklich. Ich stelle es mir anstrengend vor, in meiner freien Zeit, so viel Kraft aufzubringen, vor allem psychische, aber Greta vermittelt mir glaubwürdig, dass sie auch viel Positives mit zurück gebracht hat und viel gelernt hat. Ob sie es wieder tun würde frage ich sie, an einem sonnigen Tag in dem Kölner Park. Greta lacht ihr einnehmendes Lächeln und strahlt mich an. „Nochmal? Aber klar doch. Ich wünschte ich wäre noch da oder hätte länger bleiben können“, sagt sie bestimmt. Und eins ist klar: Nach dem Ende ihres Studiums hört ihr Engagement nicht auf. Ganz im Gegenteil: „Ich werde dem In safe hands e.V. treu bleiben und mich hauptberuflich darauf konzentrieren.“
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Hier in Deutschland wird häufig nur die gesellschaftliche Problematik des Flüchtlingsthemas beleuchtet, losgelöst von den menschlichen Schicksalen, die dahinter stehen, und von dem eigentlich wichtigsten Aspekt des großen Ganzen: Wir sind Menschen und wir sind alle gleich – egal woher wir stammen und wo wir geboren wurden. Es dreht sich oftmals darum, was Geflüchtete für unser Leben bedeuten und ob wir wegen ihnen auf etwas verzichten oder uns einschränken müssen. „Ich werde das Gefühl nicht los, dass Geflüchtete manchmal als Menschen zweiter Klasse eingestuft werden, ob bewusst oder unbewusst. Wie furchtbar der Zustand der Hilflosigkeit, der Fremdbestimmung und des Unwissens für die einzelnen Geflüchteten ist, ist vielen unter uns gar nicht wirklich bewusst. Genau das ist aber ein Los, das auch wir hätten ziehen können“, sagt Greta. „Es ist ein Leben, das auch das unsere sein könnte. Das Glück war jedoch auf unserer Seite. Egal welches Los man zu Beginn seines Lebens zieht, jeder Mensch ist doch gleich viel wert, oder?“
Auch heute, im Jahr 2017, nachdem die Neuigkeiten zu Flüchtlingszuwanderungen und benötigter Hilfe abebben, wir uns grausamerweise fast gewöhnt haben an Nachrichten von sinkenden Schiffen und schlecht ausgestatteten Unterkünften, werden helfende Hände nach wie vor gebraucht – egal ob vor Ort in Deutschland oder dort, wo geflüchtete in Europa ankommen oder stranden. Ein bisschen Engagement wie das von Greta Tacke schadet dabei wohl keinem von uns.
Mehr Infos zum In safe hands e.V., Refugee Foundation e.V. und Bridge2 die den Einsatz im Camp Veria gemeinsam organisiert haben, gibt es hier:
Bridge2 arbeitet permanent im Camp Veria, baut notwendige Infrastrukturen und stellt die Versorgung mit Lebensmitteln, Kleidung und Hygieneartikeln sicher. Die Organisation ist dabei auf Volunteers angewiesen. Mehr dazu: http://www.bridge2.gg/volunteer/
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