Ich habe einen wiederkehrenden Traum, den ich einfach nicht abschütteln kann: Darin werde ich in letzter Sekunde zu einer Ballett-Vorführung auf die Bühne gerufen, aber irgendwas läuft schief. Normalerweise vergesse ich einen Schuh, oder ich kann aus irgendwelchen Gründen gar nicht erst zum Theater fahren. Dieser Traum zeugt von meiner generellen Angst davor, zu irgendwelchen Veranstaltungen zu spät oder unvorbereitet aufzukreuzen. Wenn ich sowas geträumt habe, bin ich am nächsten Tag meistens der paranoiden Überzeugung, der Traum könne wahr werden.
Wenn ich aber schon während des Traums merken könnte, dass es eben ein Traum ist, und ich ihn irgendwie beeinflussen könnte, wären meine Nächte sicher weniger beängstigend (und vielleicht deutlich spannender). Stell dir mal vor, wie viel Spaß ich beim Tanzen im Traum haben könnte! Diese Vorstellung ist aber gar nicht so absurd; viele Leute können ihre Träume bewusst steuern (oder behaupten das zumindest). Das nennt sich dann „luzides Träumen“ oder „Klarträumen“.
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Was sind luzide Träume?
Es ist gut möglich, dass du selbst schon mal einen „luziden“ Traum hattest, damals aber nicht wusstest, dass es dafür einen Begriff gibt. Studien haben ergeben, dass rund 70 bis 80 Prozent aller Menschen schon mal einen luziden Traum erlebt haben; dazu gehören auch Kinder. Laut der britischen National Sleep Foundation tritt das luzide Träumen aber besonders häufig bei Betroffenen von Narkolepsie auf. „Das passiert vielen Menschen – weil wir aber nicht so oft über unsere Träume sprechen, kennen viele den Begriff ‚luzides Träumen‘ gar nicht bzw. wissen nicht, was das bedeutet“, erklärt Robert Waggoner, Präsident der International Association for the Study of Dreams und Autor von Lucid Dreaming – Gateway to the Inner Self.
Effektiv bedeutet „luzides Träumen“, dass du im Traumzustand begreifst, dass du träumst, sagt Waggoner. „In diesem Traum hältst du inne und denkst dir: Moment mal, das ist ein Traum! In den meisten Träumen akzeptieren wir nämlich einfach alles, was passiert“, erklärt er. In einem luziden Traum ist dir hingegen bewusst, dass du träumst, wodurch du selbst entscheiden kannst, was du tust und wie du auf deinen Traum reagierst – und du kannst sogar experimentieren. „Du kannst darin fast alles machen. Alles ist möglich“, sagt er.
Was ist dran?
Für Neulinge hört sich das luzide Träumen vielleicht wie eine Erfindung an – oder zumindest absolut unrealistisch. Es gibt aber neurologische Beweise für das luzide Träumen. In Studien wurde zum Beispiel mit einem EEG die Hirnaktivität während eines luziden Traums gemessen. Während eines normalen Traums ist die Großhirnrinde normalerweise kaum oder gar nicht aktiv, sagt Waggoner. Bei einem luziden Traum wachen die Hirnbereiche, die mit Selbsteinschätzung und dem Fällen von Entscheidungen zu tun haben, hingegen plötzlich auf. Deswegen ist das luzide Träumen ein „hybrider Bewusstseinszustand“, weil du weder wach bist noch wirklich träumst – du hängst quasi dazwischen, erklärt er.
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Die Faszination vom luziden Träumen ist absolut verständlich: Wer würde nicht gern das eigene Unterbewusstsein steuern und übermenschliche Fähigkeiten haben können? Auf Reddit erzählen Menschen davon, ihre Träume mittendrin umzuleiten, ihre luziden Träume planen zu können oder sogar ganze Traum-Spiele daraus zu machen. Für das luzide Träumen gibt es aber auch praktische Anwendungen: Einige Therapeut:innen helfen ihren Patient:innen durch luzides Träumen mit wiederkehrenden Albträumen oder posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS/PTSD). In manchen Fällen haben Menschen durch diese Träume auch Phobien überwunden, erzählt Waggoner.
Und so probierst du es selbst
Wenn du das luzide Träumen selbst mal ausprobieren möchtest, empfiehlt Waggoner einer Technik, die er selbst seit Jahren verwendet – und dafür brauchst du nur deine Hände. Sieh dir vor dem Schlafengehen deine Hände an und sag zu dir selbst: Heute werde ich im Traum meine Hände sehen und begreifen, dass ich träume. Das wiederholst du dann wie ein Mantra, bis du einschläfst. Nach ein paar Nächten fallen dir dann womöglich im Traum deine Hände auf – und das ist ein Zeichen dafür, dass du luzid bewusst bist, sagt er. Mit der „Macht der Suggestion“ kannst du dein Mantra auch umformulieren und dir beispielsweise einreden: Heute Nacht werde ich kritischer und bewusster sein. Wenn mir etwas Merkwürdiges auffällt, werde ich verstehen, dass das ein Traum ist. Es kann auch helfen, deine Träume morgens aufzuschreiben, damit du dich besser an deine Träume erinnerst, rät Waggoner.
Pass bloß auf, Ballett-Traum – ich achte jetzt auf meine Hände!
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