Viele von uns wurden irgendwann im Laufe ihres Lebens schon einmal von einem Elternteil „herumkommandiert“. Diese „Befehle“ können sich aber sehr voneinander unterscheiden – je nachdem, ob deine Eltern der Kategorie „eher streng“ zuzuordnen sind oder vielleicht sogar einen Kontrollzwang haben. Laut Esther Boykin, einer Ehe- und Familientherapeutin, sind kontrollierende Erziehende diejenigen, die „ihren Kindern einfach keinen Raum lassen, um ihre eigenen emotionalen Erfahrungen zu machen und ein Gefühl der Autonomie zu entwickeln“.
Natürlich kann dieses Erziehungsverhalten die Beziehung zu den Eltern bis ins Erwachsenenalter hinein prägen. Die Expertin fügt hinzu, dass sich das aber ändern lässt, wenn man dieses unangenehme Thema anspricht und weiß, wie man dabei am besten vorgeht.
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Das Aufwachsen mit einem kontrollsüchtigen Elternteil kann dazu führen, dass dir später das Selbstvertrauen fehlt, für dich selbst und deine eigenen Gefühle einzutreten. Boykin zufolge kann Kontrollzwang seitens der Eltern auch Spannungen verursachen und eine feindselige Atmosphäre schaffen. Als Folge kommt es zu häufigen Konflikten aufgrund deiner Entscheidungen und Handlungen. Das ist besonders während der Jugend der Fall.
In der Teenie-Zeit, in der man heranreift und anfängt, eine klare, individuelle Weltsicht zu entwickeln, kristallisiert sich die wahre Natur elterlichen Verhaltens mit größerer Wahrscheinlichkeit heraus. „Wenn [Kinder] in die Pubertät kommen, wird es möglich, den Unterschied zwischen Eltern, die sich extrem kontrollierend verhalten, und solchen, die einfach noch nicht genau wissen, wie sie sich in dieser neuen Lebensphase ihrer Kinder benehmen sollen, festzustellen“, erklärt die Therapeutin. Wenn dir als Teenie Grenzen gesetzt wurden und du nicht alles tun durftest, was du gerne getan hättest, wollten deine Eltern dich wahrscheinlich bloß beschützen, weil sie sich Sorgen darum machten, ob du richtige Entscheidungen treffen würdest. Wenn deine Erziehenden dir aber explizit verboten, dich auf bestimmte Art und Weise anzuziehen, an bestimmten Aktivitäten teilzunehmen oder mit bestimmten Leuten abzuhängen, zeugt das von Kontrollverhalten. Die Expertin erläutert, dass es in diesem Alter schwierig sein kann, zu erkennen, was auf dich zutrifft. Der Grund dafür ist, dass kontrollierende Eltern beeinflussen können, wie junge Menschen ihre eigene Autonomie sehen. Das kann sich aber ändern, wenn sie später, im Erwachsenenalter, auf ihre Jugendzeit zurückblicken. Außerdem ist es vollkommen in Ordnung, sich diesem Thema jetzt, als Erwachsene:r, zu widmen und zusammen mit deiner Familie zu besprechen.
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Mittlerweile werden sich die Methoden, mit denen deine Eltern versuchen, Kontrolle über dich auszuüben, wahrscheinlich geändert haben, auch wenn sie vielleicht noch genauso allgegenwärtig wie in deiner Jugend sind. Vielleicht bieten sie dir an, finanziell für deine Ausbildung, dein Auto oder sogar deine Miete aufzukommen. Diese Großzügigkeit ist Boykin zufolge aber oft an Bedingungen geknüpft. Sie sind vielleicht dazu bereit, dich beim Kauf einer Wohnung zu unterstützen, aber nur dann, wenn sich diese auch in ihrer Nähe befindet. Möglicherweise schlagen sie vor, deine Studiengebühren für dich zu übernehmen – vorausgesetzt, du entscheidest dich für eine Studienrichtung, die sie gutheißen.
„[Kontrolle] kann auch in Form von Schuld auftreten“, sagt die Therapeutin. Wenn deine Eltern diesen Weg einschlagen, wird ihr Kontrollverhalten wahrscheinlich so an den Tag kommen, dass sie dich fragen, warum du sie nicht so oft anrufst, wie sie es vielleicht gerne hätten. Möglicherweise wollen sie wissen, warum du ihre (meist unaufgeforderten) Ratschläge in Bezug auf deine Karriere und dein Liebesleben nicht befolgst. „Unsere Eltern kennen alle unsere Schwachstellen“, so die Expertin. „Wenn sie Kontrolle ausüben wollen, sind sie wirklich gut darin, das auf eine Art und Weise zu tun, die ziemlich indirekt sein kann.“
So überwältigend und in manchen Fällen unausweichlich elterliche Kontrolle auch sein mag, laut Boykin gibt es immer noch Hoffnung, eine gesunde Beziehung zu deiner Familie aufzubauen. Zunächst empfiehlt sie, dir einen Moment Zeit zu nehmen und zu überlegen, welche Auswirkungen der Einfluss deiner Eltern auf deinen Alltag hat. Wenn du nicht in ihrer Nähe wohnst oder nur gelegentlich mit Kommentaren von ihnen konfrontiert wirst, kannst du das Problem vielleicht direkt angehen. „Es kann so einfach sein, bestimmte Vorfälle fallweise anzusprechen“, sagt die Therapeutin und erklärt, dass es ausreichen kann, etwas wie „Es ist nicht in Ordnung, dass du diese Entscheidungen für mich triffst“ zu sagen, um deinen Standpunkt klar zu machen.
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Wenn ihr Kontrollbedürfnis dein Leben aber zu sehr beeinträchtigt (vielleicht üben sie Einfluss auf deine Karriere, deine Beziehungen oder deine täglichen Entscheidungen aus), musst du dich möglicherweise intensiver auf ein klärendes Gespräch mit ihnen vorbereiten. In diesem Fall sei es Boykin zufolge wichtig, sich während der Konversation darauf zu konzentrieren, wie du dich aufgrund ihres Verhaltens fühlst – und wie du dich gern stattdessen fühlen würdest. „Sprich die Verhaltensweisen, die du von nun an nicht länger akzeptieren wirst, sehr konkret an“, sagt sie. Sie fügt hinzu, dass du es vermeiden solltest, deine Eltern zu fragen, warum sie so handeln, wie sie es tun. Meistens haben kontrollsüchtige Eltern nämlich eigentlich gut gemeinte Absichten. Sie nach ihren Beweggründen zu fragen, kann dazu führen, dass sie sich verletzt fühlen und sich deshalb verschließen. „Bei einem kontrollliebenden Elternteil brauchst du konkrete Anweisungen, um Veränderungen in ihrem Verhalten und in der Art, wie ihr miteinander umgeht, erzielen zu können.“
Natürlich hilft es, den Rat eines Therapeuten oder einer Therapeutin vor solch einer Unterhaltung einzuholen. So kannst du eine Art Schlachtplan erstellen und bestimmen, was du dir wirklich von deiner Beziehung zu deinen Eltern erhoffst und erwartest. Außerdem, fügt Boykin hinzu, kannst du die Hilfe von Expert:innen in Anspruch nehmen und sie darum bitten, bei dem Gespräch mit deiner Familie anwesend zu sein. Das kann dann nützlich sein, wenn du zwar bereit bist, aber glaubst, professionelle Unterstützung und Vermittlung könnte nicht schaden.
Wenn deine Eltern jedoch nicht daran interessiert sind, dir zuzuhören, geschweige denn die Art und Weise, wie sie sich dir gegenüber verhalten deinen Wünschen entsprechend zu ändern, hast du es möglicherweise mit mehr als nur kontrollierendem Verhalten zu tun. „Wirf einen sehr ehrlichen und genauen Blick auf eure Beziehung“, sagt Boykin. Wenn sie sich dagegen sträuben, auf dich zuzukommen und an einer gesunden gemeinsamen Beziehung zu arbeiten, hast du vielleicht keine andere Wahl, als dich darauf zu beschränken, ihnen klare und strenge Grenzen zu setzen – auch dabei kann dir ein Therapeut auf jeden Fall helfen.
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