Seit fast zwei Jahrzehnten erlebe ich als amerikanische Muslimin, wie mein Glaube in Schlagzeilen ausgeschlachtet wird. Egal, wohin ich gehe, überall spüre ich die Blicke der Menschen.
Ich merke, wie sich Augen auf mich richten, wenn der U-Bahn-Fahrer über die Lautsprecher sagt: “Wenn Sie etwas bemerken, dann geben Sie Bescheid!“
Ich fühle, wie Menschen mir ständig unterstellen, ich würde “unterdrückt“.
Als ich im Jahr 2016 mit dem Unterrichten begann, da wurde ein Traum für mich wahr. Schon als kleines Mädchen in Bangladesch hatte ich davon geträumt, Lehrerin zu werden.
Mein Arbeitsplatz inmitten von Trumps Anhängern
Aber damals hatte ich keine Ahnung, dass ich meine erste Klasse am anderen Ende der Welt unterrichten würde, und das zu einer Zeit, in der Amerika einen Präsidenten gewählt haben würde, der Muslime wie mich verunglimpft und Anstrengungen unternimmt, sie zu verfolgen.
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Ich hatte mir nicht in meinen kühnsten Träumen vorgestellt, dass ich im Herzen einer Gemeinde unterrichten würde, die diesen Mann und seine Politik mit großer Mehrheit unterstützt.
Meine Freunde schlugen mir vor, wegzuziehen
Ich begann als Assistenzprofessorin in Staten Island – zur Zeit der chaotischen Wahl 2016. Die politische Einstellung der Menschen in Staten Island nahm ich gar nicht richtig wahr.
Aber es sollte ich nicht lange dauern, bis das alles auch zu mir durchdrang: In einigen der South-Shore-Wahlkreise erhielten die Republikaner 75 Prozent der Stimmen. Viele meiner Freunde (Muslime und Nicht-Muslime) hatten Angst um meine Sicherheit und schlugen mir vor, von dort wegzuziehen.
Aber ich blieb. Ich wollte meine Studenten nicht im Stich lassen. Und ich erkannte, dass ich, wie ich dort mit meinem Kopftuch vor dem Kurs stand und das ganze Semester hindurch lehrte, für viele meiner Studenten der erste wirkliche Kontakt zu Muslimen war, den sie je gehabt hatten.
Soziales ist immer politisch – und das wird mir vorgeworfen
Ich verfolge mit meinem Unterricht keine wie auch immer gearteten politischen Ziele – aber soziale Themen werden immer zu etwas Politischem, genauso wie mein Kopftuch.
Als ich also einen Literatur- und einen Schreib-Kurs gab, und in diesem Zusammenhang auch Themen wie Entfremdung, Vorurteile und Rasse näher erörterte, da wurde das als “politisch motiviert“ angesehen. Es glich der Angst des rechten Flügels, “liberale“ Professoren würden ihre Studenten mit “liberaler Ideologie“ indoktrinieren.
Aus diesem Grund wurden in der letzten Zeit immer mehr College-Campusse zu politischen Schlachtfeldern und aus diesem Grund kommen heutzutage immer mehr Diskussionen darüber auf, dass das Unterrichten neutral sein sollte. Obwohl auch einige der Meinung sind, dass das Unterrichten grundsätzlich politisch ist und Lehrer in der Verantwortung sind, auch soziale Gerechtigkeit zu lehren.
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Dinge zu hinterzufragen, ist nicht bequem
Meine wichtigste Aufgabe ist es, Studenten dazu zu befähigen, die Dinge auch aus anderen Perspektiven als ihrer eigenen zu betrachten. Ich bin davon überzeugt, dass das nirgendwo besser geht als in der Literatur und beim Schreiben.
Meine Hoffnung ist, dass meine Studenten gefestigte Meinungen und Annahmen hinterfragen, dass sie sich auf kritische Weise mit der Welt um sich herum beschäftigen, ganz gleich, welchen Hintergrund sie haben und welche persönliche Meinung sie vertreten. Und das ist leider, aber auch notwendigerweise, manchmal ungemütlich.
Ich versuche, Raum für Dialog zu schaffen
In meinem Unterricht in diesen turbulenten Zeiten und in einem Land, das politisch so gespalten ist, wurde es mir immer wichtiger, auch Raum für Dialoge zu schaffen. Auch wenn einige Studenten mich als Muslimin als den Kern all der Dinge betrachten, die sie ablehnen, die sie hassen und fürchten sollten, so wurde das Unterrichten doch zu einer Konversation.
Nicht nur zwischen mir und meinen Studenten, sondern auch zwischen den Studenten selbst.
Trotz oder vielleicht auch grade wegen der Tatsache, dass mein Unterricht in diesem Semester so persönlich für mich wurde, versuchte ich zu verstehen, weshalb meine Studenten diese Meinung von mir hatten.
Viele meiner Studenten kommen aus Polizisten-Familien
Ich versuchte, sie zu verstehen – meine Studenten in dieser abgelegenen Gemeinde, die so weit entfernt war von der legendären Vielfältigkeit New Yorks.
Viele von ihnen kamen aus Polizisten-Familien oder hatten Familienmitglieder, die im Vollzug tätig waren. Sie sind mit den unerschütterlichen Werten des Patriotismus und der Sicherheit groß geworden – genau den Werten, die in ihren Augen Menschen wie ich bedrohen.
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Sie sehen ihr gesamtes Wertesystem bedroht
Ich erkannte auch, in welchem Ausmaß Menschen automatisch in eine Verteidigungshaltung gehen, wenn sie das Gefühl haben, dass ihr gesamtes Wertesystem bedroht ist. Wenn sie ihr ganzes Leben damit aufgewachsen sind, die Welt in schwarz und weiß einzuteilen, dann ist das alles, was sie kennen.
Nur durch einen offenen Dialog können sie auch die Grautöne erkennen, von denen sie nicht einmal wussten, dass es sie gibt.
Wir müssen die Welt durch die Augen unserer Feinde betrachten
Aber in Zeiten der Spaltung kann es keine Dialoge geben, wenn wir einander weiterhin mit Labels versehen. Die Political Correctness im Namen der sozialen Gerechtigkeit immer extremer zu betreiben, erstickt jede Chance auf einen Dialog schon im Keim. Genauso das Ausblenden der sehr realen systemischen Unterdrückung von Farbigen und Minderheiten.
Wenn ich Themen wie Rasse und Inhaftierung in meinen Unterricht integriere, dann tue ich das nicht aus politischen Motiven, sondern weil es um echte Erfahrungen von Menschen geht. Würde ich das vernachlässigen, dann würde ich meiner Rolle als Lehrerin nicht gerecht.
Wir müssen über Polizeigewalt sprechen.
Aber lasst uns auch über die Tatsache sprechen, dass Polizisten manchmal keine andere Wahl haben, als eine Inhaftierungsrate zu erfüllen, die ihnen ihren Job sichert. Das trägt dazu bei, dass sie vermehrt Farbige ins Visier nehmen.
Ganz egal, welcher Religion oder Gruppe wir angehören, wir müssen aufhören, uns gegenseitig zum Schweigen zu bringen, sondern uns auch einmal die Zeit nehmen, einander zuzuhören. Wir müssen die Welt auch einmal durch die Augen der Feinde und Gegner betrachten, von denen man uns beigebracht hat, dass wir sie hassen und fürchte müssten.
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Einer meiner Schüler hat die Perspektive gewechselt
In dem besagten Semester hatte ich einen Studenten in meinem Kurs, der zur Armee gehen wollte. Seine Sichtweise war stark militärisch geprägt und er verfasste eine überzeugende Arbeit, in der er für den militärischen Einsatz von Drohnen argumentierte, nachdem wir dieses Thema im Kurs diskutiert hatten.
Als Muslimin muss ich meine persönliche Meinung zu Drohnen hier nicht genauer ausführen. Drohnen haben während des “Kriegs gegen den Terror“ in mehrheitlich muslimischen Ländern unzählige Zivilisten getötet.
Trotzdem habe ich mit meinen Studenten alle Vorteile – für amerikanische Soldaten das geringere Risiko, unter dem posttraumatischen Stresssyndrom zu leiden – und Nachteile diskutiert.
Zu meiner Überraschung wählte der Schüler für seine Abschlussarbeit eine andere Perspektive und schrieb darüber, wie Zivilisten einen Drohnenkrieg erleben und welche Konsequenzen dieser für sie hat.
Er stand vor der Klasse und erklärte, dass er noch nie zuvor über die andere Seite nachgedacht hatte. Darüber, was Drohnen Menschen antun können.
Er war sich dessen jetzt bewusst und wenn er in die Armee eintreten würde, würde er diese Perspektive im Kopf behalten. Er will sich dafür einsetzen, dass Soldaten sich der Konsequenzen ihres Handelns bewusst sind.
Dieser Schüler war stolz auf sein Land und er wollte dieses Land schützen. Dennoch sah er auch durch die Augen derer, die ihm stets als Feinde präsentiert wurden.
Ich entsprach haargenau dem Feindbild
Natürlich entsprach ich haargenau dem Feindbild, mit dem meine Schüler konfrontiert wurden.
Einmal, als ich mit meinem Kurs über die Ungleichheit der Geschlechter sprach, bemerkte ein Schüler, dass ich doch nicht ernsthaft an die Gleichberechtigung der Frau glauben könne.
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Aber ich sah, dass andere Studenten regelrecht neugierig und auch überrascht davon waren, dass ich jemand ganz anderes war, als sie eigentlich gedacht hatten.
In solchen Momenten erkannte ich, dass mein Kopftuch die Wahrnehmung meiner Studenten von mir veränderte. Und es veränderte auch das Bild, von dem sie glaubten, es entspräche Musliminnen und Muslimen.
Schon meine bloße Präsenz hat Dinge in Gang gesetzt
Ich lehre Literatur und Schreiben, weil ich an ihre transformative Kraft glaube, und an ihre Kraft, Grenzen zu überwinden.
Aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass alleine der Akt, mit einem Kopftuch vor einer Klasse zu stehen, schon Dinge in Gang setzen würde, die ich erst durch meinen Unterricht zu vermitteln hoffte.
An einem Ort zu unterrichten, an dem ich als jemand wahrgenommen wurde, der ich nicht bin, hat so viel bewirkt. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ich so Grenzen überwinden könnte. Dass ich so falsche Vorstellungen von mir und dem, wofür ich stehe, beseitigen könnte.
Trotz der Schwierigkeiten, die mich vielleicht erwarten, werde ich auch weiterhin unterrichten. Und ich hoffe, dass wir in einem so gespaltenen Amerika auch die Grenzen überwinden können, die wir in unseren Köpfen und zwischen uns errichtet haben.
Der Text erschien zunächst auf HuffPost USA und wurde von Cornelia Lüttmann aus dem Englischen übersetzt.
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