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Nur weil ich auf dem Land lebe, heißt das nicht, dass ich hinterwäldlerisch bin

Illustration: Ann-Kristin Fuchs
Vor knapp zwei Jahren hat sich meine Freundin P. aus Berlin verabschiedet. So wie ich sie kenne, hätten mich als neue Wahlheimat Städte wie New York, Paris oder Mailand nicht überrascht. Auch wenn P. nur ein paar Brocken Italienisch spricht. Denn zuzutrauen ist ihr praktisch alles.
Diese Tatsache hat Madame auch bei ihrem letzten Umzug erfolgreich unter Beweis gestellt. Dieses Mal aber kam alles anders, als ich – und wahrscheinlich auch anders, als sie selbst – es geahnt hätte. Denn P. zog knapp 1.500 Kilometer Richtung Süd-Osten. In die rumänische Provinz.
Doch bei der neuen Wahlheimat handelt es sich keineswegs einfach um Provinz, wie wir sie hierzulande kennen. Denn die Region Siebenbürgen, in der P. jetzt wohnt, ist auch unter dem Namen Transylvanien bekannt. Wer jetzt an dunkle, undurchdringliche Wälder und blutrünstige Vampire à la Graf Dracula denkt, liegt genau richtig.
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Der Gerechtigkeit halber muss man dazu sagen, dass sich P. mit der Entscheidung, ausgerechnet dorthin zu ziehen, nicht komplett ins Unbekannte stürzte. In der Nähe von Sibiu, auch bekannt unter dem deutschen Zweitnamen Hermannstadt, hat P. einen Großteil ihrer Jugend verbracht. Auch ihre Familie wohnt nach einigen gemeinsamen Jahren in Deutschland wieder nahe der rumänischen Stadt am Fuße der Karpaten.
Der Grund für P.s überraschenden Umzug war vor einem Jahr relativ klassisch: ein Job. Als Angehörige einer deutschsprachigen rumänischen Bevölkerungsgruppe, den Siebenbürger Sachsen, ist P. als deutsche Staatsbürgerin in Deutschland aufgewachsen, spricht aber auch perfekt Rumänisch. Dieser Hintergrund gepaart mit ihren Erfahrungen in den Bereichen Eventmanagement und Organisation machten P. zu einer idealen Besetzung für eine Position im Bereich Kulturmanagement: „Nachdem ich in Berlin von einem Freelance-Job zum nächsten getingelt bin, war es zum damaligen Zeitpunkt einfach die richtige Entscheidung, in Sibiu anzufangen.“

Was viele (Neu-)Berliner gerne vergessen: Die Bezahlung für die coolen Jobs bei den coolen Brands reicht oft nicht für die Miete.

Nicht zuletzt aufgrund ihres bewegten Lebenslaufs habe ich P. immer als Weltbürgerin wahrgenommen. Das erste Mal trafen wir uns während des Studiums in Wien. Unsere Sympathie füreinander hatte damals nicht viel Zeit, sich zu einer richtigen Freundschaft zu entwickeln. Denn P. war auf dem Sprung nach New York, wo sie sich nicht nur ein fancy Praktikum im Kulturbereich gecheckt, sondern natürlich auch eine Romanze mit einem Underground-DJ am laufen hatte.
Jahre später trafen wir uns in Berlin wieder und wurden enge Freundinnen. Immer stand P. auf allen Gästelisten, tanzte den Sonntag im Berghain durch, machte hin und wieder coole Jobs für coole Brands, kannte die besten neuen Filme genauso wie legendäre Klassiker und ging nebenbei ihren großen Leidenschaften, dem Kochen und Backen, nach.
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Zu ihren stilistischen Inspirationen zählen neben der jungen Isabelle Adjani die französische Bloggerin Jeanne Damas und auf der Suche nach der perfekten Levis 501 oder dem einen jahrzehntelang verschütteten Disco-Song kann P. auch heute noch stundenlang in New Yorker/ Pariser/Mailänder Second-Hand-Stores oder verstaubten Plattenläden stöbern.
Dass ausgerechnet jemand wie sie sich in die vermeintliche Ödnis des Landlebens zurückziehen würde, war nicht nur für mich, sondern für ihr gesamtes Umfeld undenkbar. Mal ehrlich, wie kann sich jemand, der die Großstadt – nein, gefühlt alle Großstädte dieser Welt – mit all ihren Vorteilen so sehr ausnutzt, liebt und selbst ein Symbol unserer multikulturellen Generation Y ist, sich ins hinterletzte Kaff zurückziehen?

Natürlich schaue ich mir noch immer gerne an, was auf Instagram passiert, aber ich vergleiche mich nicht mehr.

„Man ist hier mehr auf dem Boden.“ sagt P. und auch, dass sich viel verändert hat, seit sie nicht mehr in der Großstadt lebt. „Gewisse Oberflächlichkeiten verlieren hier in Rumänien an Wert.“ Was sie damit meint? „Natürlich schaue ich mir noch immer gerne an, was auf Instagram passiert, aber ich vergleiche mich nicht mehr.“
Auch wenn es die Skeptiker nicht glauben wollen: P. hat sich nach ihrem Umzug weder dem transylvanischen Trachtenverein angeschloßen, noch ist sie der örtlichen Blaskapelle beigetreten. Ganz im Gegenteil: P. ist und bleibt – auch dort – in allererster Linie sie selbst. Sie kocht weiterhin gerne koreanische Bibimbaps für die sie das Kimchi in liebevoller Handarbeit selbst einlegt oder geht nach der Arbeit (wenn sie gegen den inneren Schweinehund gewinnt) zum Yoga.
Während wir skypen, leuchtet mir in gewohnter Manier ihr knallroter Mac-Lippenstiftfarbton „Lady Danger“, der gleichzeitig so etwas wie ihr Markenzeichen ist, entgegen. Doch selbst wenn auf den ersten Blick alles beim Alten scheint, habe sie in der Provinz trotzdem gelernt, dass es wichtig sei, „sich mit dem glücklich zu schätzen, was man hat“. In den Berliner Zeiten sei ihr das oft nicht gelungen.
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Seit sie wieder in Sibiu ist, hat sich auch in ihrem Alltag viel verändert. P. kümmert sich zum Beispiel um die beiden Familienhunde, geht mit ihnen spazieren oder verteilt Streicheleinheiten an die alte Katze. Und selbst wenn ihr die Tiere „manchmal lästig sind; wenn ich mich nicht um sie kümmere, habe ich Schuldgefühle. Diese Lebewesen geben mir ein positives Gefühl. Wenn ich ihnen was Gutes tue, sind sie happy – und ich auch.“ sagt P. und fügt lachend hinzu: „Aber keine Angst! Ich werde schon nicht zur crazy Cat-Lady!“
Auch wenn viele Menschen in ihrem Freundeskreis, ihre Entscheidung aufs Land zu ziehen irgendwie missbilligten oder ihre Witze darüber machten, ist P. heute glücklich. Und auch wenn ich sie mir aus egoistischen Gründen oft zurückwünsche, gönne ich ihr die Ruhe und die Ausgeglichenheit. Denn das Leben in der Kleinstadt hat ihren Fokus in vielen Bereichen verändert.

Wieder nach Berlin, warum?

Was viele geringschätzige (Neu-)Berliner, die alles jenseits des Rings als Provinz verteufeln, vergessen, weil sie manchmal zu sehr mit dem Aufrechterhalten der vermeintlich perfekten Fassaden beschäftigt sind, ist die Tatsache, dass die Bezahlung für die coolen Jobs bei den coolen Brands oft nicht für die Miete reicht. Dass es manchmal wirklich so unmöglich ist, im Wunschbezirk eine bezahlbare Wohnung inklusive unbefristetem Vertrag zu finden, dass P. in vier Jahren gefühlt zehnmal umziehen musste.
Darauf, dass der letzte Umzug sie in die Ferne zog, kann P. stolz sein. Die Entscheidung aufs Land zu ziehen, sei zwar ein großer Schritt gewesen, aber einer hin zu mehr Kontinuität. Dennoch gibt P. zu, dass das Leben in der Kleinstadt machmal langweilig sei – auch weil die Inspiration im direkten Umfeld fehlt.
Von der Welt abgeschottet ist P. aber selbst im rumänischen Mikrokosmos nicht und auch in Sibiu „gibt es natürlich Leute, die Instagram anschauen und Blogs“. Die kleinen digitalen Fluchten aus dem Alltag gehören für P. ganz selbstverständlich dazu, weil sie schließlich wissen will, „was in der Welt so los ist.“ Und damit meint sie nicht nur das politische Weltgeschehen, sondern auch die Musik- und Modeszene in New York, Paris oder Mailand, die sie übers Internet verfolgt.
Auch wenn die bunten Bilder und perfekten Fassaden sie manchmal reizen, ein Leben in den großen Metropolen der Welt kann sich P. aktuell nicht vorstellen: „In New York können sich viele Leute mit vierzig gerade mal ein Zimmer in einer WG leisten. Was ist eigentlich los mit der Welt?“ Auch die Rückkehr in die deutsche Hauptstadt steht aktuell nicht zur Debatte: „Wieder nach Berlin, warum?“

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