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Meine beste Freundin hat mich während einer Depression im Stich gelassen

Illustration: Delucca Paola
Im Stich gelassen werden ist natürlich nie wirklich schön. Darauf können wir uns wahrscheinlich alle einigen. Ich bin in meinem Leben leider schon ziemlich oft im Stich gelassen worden, wenn ich wirklich Hilfe und Unterstützung gebraucht hätte. So gesehen blicke ich auf eine lange Historie der Einsamkeit und Hilflosigkeit zurück. Angefangen mit meinen Eltern, die sich gerne mit mir umgeben haben, solange ich funktionierte. Gute Noten mitbringen und beliebt sein, das indirekte Lob nehmen Eltern natürlich äußerst gerne an. Da kann man richtig schön drin baden und die Welt fühlt sich heil und großartig an. „Alles richtig gemacht!” Aber wieso war in traurigen Moment eigentlich nie jemand für mich da? Wieso musste ich mit meinen Ängsten alleine bleiben bis ich 30 war?
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Als ich in die Pubertät kam, wurde es etwas schwierig mit mir. Jetzt auch nicht das wirklich echte “schwierig” mit Häuser anzünden und Heroin, sondern eher das Hochkochen von Gefühlen mit wechselnder Laune und Unberechenbarkeit. Eigentlich totaler Standard in dem Alter. Ich hatte oft Wut- oder Heulanfälle, häufig auch beides gleichzeitig. Mit mir war also im Grunde alles gut, auch wenn man mir immer zu spüren gab, dass ich unnormal wäre, wenn ich weinte oder aufgebracht war. Ich wurde regelrecht ignoriert und weggeschoben.
Heute bin ich rückblickend der festen Überzeugung, dass meine Eltern es damals ordentlich verkackt haben. Niemand hat jemals mit mir geredet, wenn es mir nicht gut ging. Es war, als wäre der Grund für meine Traurigkeit total zweitrangig. Im Mittelpunkt stand immer nur, dass ich so schlecht funktionieren würde, faul und höchst unzuverlässig wäre. Ich ließe mich gehen, sagten meinen Eltern. Schlimm, denn ich kann mich an keine einzige Situation erinnern, in der mich meine Eltern gefragt haben, was denn überhaupt los wäre. Das letzte Mal wurde ich mit 14 in den Arm genommen. Ich wurde vermutlich emotional vernachlässigt und verstehe es erst heute mit 30.
Klar, ich hatte immer ausreichend Essen und ein tolles Dach über dem Kopf, aber emotional herrschte ich so ein Chaos in mir, dass ich mich die meiste Zeit überfordert und hilflos fühlte, weil ich versuchte, alles mit mir selbst auszumachen. Meine intimsten Gedanken, meinen Herzschmerz und alle Seelenwehwehchen teilte ich nur mit mir selbst. Zum Schutz.
Als ich dann zum ersten Mal meine Periode bekam, bemerkte es meine Mutter anhand der benutzten Binden im Mülleimer. Ich fühlte mich total unangenehm, aber beantwortete ihr ihre Fragen und bat sie am Ende des Gesprächs, weil ich mich so sehr schämte, meinem Vater erstmal nichts davon zu erzählen. Sie versprach es mir und umarmte mich. So einen intimen Moment hatten wir lange nicht. An diesem Abend ließ ich das Abendessen ausfallen, wollte aber in die Küche, um mir ein Glas Orangensaft zu holen. Meine Eltern saßen am Abendbrottisch bei geschlossener Tür und hörten mich nicht kommen, aber ich konnte sehr genau vernehmen, wie meine Mutter meinem Papa erzählte, dass ich nun eine Frau wäre und dann sogar schmunzelnd lachte, als sie witzelte, dass ich sie gebeten hatte, ihm nichts zu sagen.
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Wenn du nach so einer Erfahrung jemals die Entscheidung hast, deine Ängste zu teilen und dich damit verletzbar zu machen, oder lieber gleich von vornherein nichts zu erzählen und alleine auszuharren, dann entscheiden sich viele Menschen dafür, zu lügen und zu behaupten, alles wäre in Ordnung. Das sind Menschen wie ich, die negative Erfahrungen gemacht haben. Menschen, die in hilflosen Situationen nicht unterstützt wurden. Wir haben ungünstige Muster gelernt, wie etwa, anderen nie so richtig zu vertrauen oder Probleme nur mit uns selbst zu regeln.

Klar, ich hatte immer ausreichend Essen und ein tolles Dach über dem Kopf, aber emotional herrschte ich so ein Chaos in mir, dass ich mich die meiste Zeit überfordert und hilflos fühlte, weil ich versuchte, alles mit mir selbst auszumachen.

Ich kannte Linda schon sechs Jahre. Wir hatten uns während meines sozialen Jahres in Bremen kennengelernt und danach das gleiche studiert. Wir fanden uns auf Anhieb sympathisch. Jedes Treffen war lustig und wir hatten etwas Kumpelhaftes, das ich an Freundschaften sehr schätze. Linda konnte immer gut über ihre Probleme reden und ich hatte ein offenes Ohr, obwohl ich selbst niemals meine Gefühle mit ihr teilte. Ich war allerdings immer ein guter Zuhörerfreund für sie, der wirklich produktiv unterstützen konnte. Wenigstens das. Ich teilte mein Seelenleben nur höchst oberflächlich und sporadisch.
In den letzten Jahren kamen dann immer wieder depressive Verstimmungen und ich merkte, wie der Kontakt zu ihr in diesen Phasen immer weniger wurde, weil ich angeblich immer irgendwelche Termine hatte oder vorgab, es gäbe Arbeit zu erledigen. Meistens lag ich aber den ganzen Tag nur auf dem Sofa, machte mir Sorgen um meine Zukunft und darum, meinen Job zu verlieren, wenn ich mich weiter krankschreiben lassen würde, und aß nichts. Ich guckte viel Fernsehen und mied den Kontakt zu Menschen, die mir nahe standen, weil ich die Angst nicht ertragen konnte, mich verwundbar zu machen. Fremde Leute waren nicht das Problem, aber ich befürchtete, dass ich meine Freundin verlieren würde, wenn ich ehrlich wäre. Mein Selbstbild war nämlich zu diesem Zeitpunkt so schlecht, dass ich glaubte, wenn sie wüsste wie und vor allem “wer” ich wirklich wäre, würde sie nicht mehr mit mir rumhängen wollen. Ich war es also, die misstraute.
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Gott sei Dank schaffte ich es nach den depressiven Phasen die Freundschaft wieder etwas gerade zu rücken. Aber immer, wenn ich das Gefühl hatte, nun wäre wieder alles beim Alten, kickte die nächste Depression rein.

Mein Selbstbild war nämlich zu diesem Zeitpunkt so schlecht, dass ich glaubte, wenn sie wüsste wie und vorallem “wer” ich wirklich wäre, würde sie nicht mehr mit mir rumhängen wollen. Ich war es also, die misstraute.

Meinen Tiefpunkt hatte ich dann im Winter 2015. Ich fühlte mich nicht nur furchtbar, sondern sah auch noch so aus, weil ich seit Wochen keinen Bissen mehr runter kriegen konnte. Ich schämte mich für meine “Verwahrlosung”. Ein Moment, in dem andere Menschen Hilfe suchen. Ein Moment, in dem Freunde für einen da sein möchten. Aber für mich war niemand da, denn ich hatte auf keine Nachrichten von Linda geantwortet, weil ich mich schlichtweg nicht traute. Irgendwann kam dann noch eine SMS mit einer Einladung zu ihrer Wohnungseinweihungsparty. Betrunken schickte ich wirre Ausreden zurück. Danach hörte ich nichts mehr von ihr. Funkstille. Ich fiel noch tiefer in das dunkle Loch.
Im Frühling ging es mir dann wieder besser. Ich bekam eine SMS. Linda schrieb darin, dass sie gerne mit mir befreundet sein würde, aber keine Bemühungen meinerseits merken würde und deswegen keine Lust mehr habe, es sei denn von mir käme etwas. Ich schrieb nur zurück, dass ich das akzeptieren würde. Was für ein Unsinn. Selbst jetzt bekam ich den Mund nicht auf.
Ich nutzte die Folgemonate für eine Therapie und es ging mir besser und besser. Manchmal vermisste ich Linda. Eines Tages entdeckte ich auf ihrem Instagram Account den Hinweis, sie wäre schwanger. Ich wurde sehr emotional und beschloss, meinen Gefühlen dann doch freien Lauf zu lassen und ihr meine Freude und Glückwünsche mitzuteilen. Die SMS fiel zwar eher knapp aus, aber im Grunde sagte ich alles Wesentliche und entschuldige mich für meine Ausreden. Zwei Wochen später saß ich dann in ihrer Dachgeschosswohnung und musste weinen. Davor hatte ich also jahrelang solche Angst gehabt und jetzt, in dem Moment, in dem ich weinte, fühlte es sich an, als wäre es nichts. Ich ließ mich von ihr in den Arm nehmen und weinte dann erstmal weiter. Mich hatte seit 16 Jahren keiner mehr in den Arm genommen, der nicht in einer Partnerschaft mit mir war. Der Knoten platzte.
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Mich hatte seit 16 Jahren keiner mehr in den Arm genommen, der nicht in einer Partnerschaft mit mir war. Der Knoten platzte.

Tipps für Freunde:
Es muss nicht immer gleich die ganz große Unterstützung sein. Oft helfen auch Kleinigkeiten wie regelmäßige Spaziergänge, beim Aufräumen unterstützen oder gemeinsames Serien gucken.
Versuche den Kontakt zu halten!
Ihr könnt die Depression nicht heilen, das können nur Profis!
Symptome niemals kleinreden, sondern ernst nehmen!
Achtet darauf keinen Druck auszuüben!
Überfordert euch nicht selbst und achtet darauf, selbst gesund zu bleiben!
Zögert nicht, euch zu informieren oder Hilfe bei Info Telefon Depression einzuholen!
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