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Zu zweit allein: Wenn Muttersein einsam macht

Illustration: Mallory Heyer
So viel vorab: Ich bin gerne Mama, meistens sogar sehr gerne! Und doch brauche auch ich hin und wieder eine Pause. „Klar, das ist ja ganz normal!“, werden die meisten mir jetzt beipflichten. Wir leben ja auch nicht mehr in einer Zeit, in der Frauen für so eine Aussage verurteilt werden. Überhaupt haben Mütter noch nie so offen und viel wie heute über den schwierigen Spagat zwischen dem Mutter- und Frausein und dem Familien- und Berufsleben gesprochen. Und doch bleibt es kompliziert. Denn was theoretisch als akzeptabel gilt, ist in der Realität oft nicht selbstverständlich. So musste ich nicht nur lernen, mir meine Pausen von meiner Rolle als Mama bewusst und notfalls lautstark einzufordern, sondern mich und mein Umfeld von der Notwendigkeit der Pausen überhaupt erst einmal zu überzeugen. Es hieß, am Anfang bräuchten Kinder die Mama eben ein bisschen mehr, oder dass es nur eine Phase sei – und das waren noch die leicht verdaulichen Reaktionen auf meine Bitte, mal einen Tag für mich zu bekommen, um einfach mal in die Sauna, ins Kino oder zur Maniküre zu gehen. Wenn es hieß, dass meine Zeit schon wieder früh genug komme, oder Mütter von Natur aus nun mal ein bisschen benachteiligter seien, sorgte dass schon eher für Magenschmerzen. Die beliebten, ungefragten, aber allwissenden Ratschläge – da waren sie wieder.
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Meistens schaffe ich es, sie zu ignorieren. Wären da nicht diese verdammten Tage, an denen ich mich mit allem einfach nur verdammt allein gelassen fühle. So zu empfinden, obwohl einem unentwegt ein kleiner Mensch am Rockzipfel hängt, mag absurd klingen, aber gerade am Anfang sind Babies nicht wirklich die unterhaltsamste Gesellschaft. Das sind dann die Momente, in denen man – trotz all des Glücks – einfach alles hinschmeißen möchte. Mache ich aber nicht, sondern denke stattdessen an die bekannten Ratschläge und rede mir ein, dass das ja alles nur eine Phase sei und meine Zeit schon wieder kommen werde. Durchhalten lautet die Devise. Und zum Glück ist da ja auch noch die bedingungslose Liebe zu meinem Sohn. Auch sie kann allerdings nicht verhindern, dass ich manchmal vor Erschöpfung in Tränen ausbreche, Tränen, die außer ihm niemand sieht. Schwäche zu zeigen, ist in dieser Debatte nämlich immer noch die größte Schwierigkeit und damit vielleicht schon der einzige Fehler. Denn mein gut funktionierendes soziales Netzwerk greift immer nur dann, wenn ich es darum bitte, und das tue ich meist, ohne allzu große Verbindlichkeit einzufordern, und nie in wirklichen Notfallsituationen. Wir wollen ja auch niemandem zur Last fallen, von allein bietet ohnehin kaum jemand Hilfe an. Die Kinder zu hüten ist ja in der Regel nämlich noch immer Sache der Mutter (und/oder Eltern). Sich jetzt darüber zu echauffieren, halte ich für reine Zeitverschwendung, viel mehr geht es langfristig darum, sich aus dieser (Opfer-)Rolle zu befreien.
Zum Glück bin ich mit diesen Gedanken nicht allein. Fast jede Mama (und auch manch ein Papa) kennt das Gefühl und viele von ihnen sprechen längst offen darüber, zwischen vollen Windeln und Milch bekleckerten Blusen mitunter schier verrückt zu werden. Mein Freundeskreis – weitgehend noch kinderlos – kann das schwer nachvollziehen. Auch sie fühlen sich manchmal allein und haben für meine Art der Einsamkeit nicht viel Verständnis. Natürlich nicht! Wie der Alltag mit einem Kind aussieht, hängt am Ende auch von unterschiedlichen Faktoren ab, keine Lebenssituation ist wie die andere. Alleinerziehend oder nicht? Wieviel Unterstützung gibt es von der Familie? Hat das Kind einen Betreuungsplatz in einer Kindergrippe oder einem Kindergarten, sobald es älter ist? Wird es gestillt? Ein Kind geht am Ende immer viele Menschen etwas an. Wie viele Menschen de facto wirklich verfügbar sind, spielt dabei eine entscheidende Rolle.
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Das Geheimnis ist wie sooft eine gute Organisation, Überzeugungsarbeit und eine Portion Mut! Mut, sich Schwächen einzugestehen und offen zu bekennen, dass Muttersein nicht immer das größte Glück auf Erden ist. Mut, sich Auszeiten zu nehmen. Mut, auf die eigenen Bedürfnisse zu hören. So wie wir schlicht und ergreifend nicht jeden Tag fast vor Freude platzen, am Leben zu sein, können auch Mütter nicht den ganzen Tag wie Honigkuchen-Pferde grinsend umher stolzieren. Manchmal, da sind die Batterien einfach leer. Finito! Und wem hilft es denn, wenn Mama überfordert ist? Niemandem! In meiner kinderfreien Zeit geht es deswegen mittlerweile auch ausschließlich um mich. Ich schaue nicht (mehr) die ganze Zeit aufs Handy und warte auf eine Nachricht von Zuhause. Das habe ich natürlich meinem verlässlichen Stab an Unterstützern zu verdanken – Menschen, bei denen ich meinen Sohn in den besten Händen weiß. Ein bisschen ist dieser Stab aber auch mein Verdienst. Denn ich hab ihn organisiert und tue das jeden Tag aufs Neue.
Aber genug der Lobhudelei – auch ich komme manchmal natürlich nicht drumherum mir ein schlechtes Gewissen einreden zu lassen. Wenn mich andere Mütter mit großen Augen und fragenden Blicken anschauen, wie ich das verantworten kann, das Kind so früh schon so lange allein zu lassen (was es ja nicht ist, es ist ja jemand bei ihm, nur eben nicht ich). Deswegen sei an der Stelle auch noch einmal klar gestellt: jede Frau hat ihr eigenes Tempo und ihre eigenen Bedürfnisse – gerade, wenn es darum geht, sich um einen kleinen Menschen zu kümmern. Und wie sooft macht es auch hier wenig Sinn, sich mit anderen zu vergleichen. Vor allem beim ersten Kind machen Frauen das aber wohl ganz automatisch. Ich tue das jedenfalls, egal wie oft ich mir vornehme, nur mein eigenes Süppchen zu kochen. Meistens hat das Schielen auf die Mama nebenan aber ohnehin nur die erleichternde Erkenntnis zur Folge, dass es anderen in vielen Dingen genauso geht wie mir.
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Wie man für sich und seine Familie die eigene, richtige Balance findet, darüber gibt es jede Menge (hilfreiche und nicht so hilfreiche) Artikel und Tipps im Internet. Leider nehmen sie zumeist wieder nur die Frauen in ihre Verantwortung und berufen sich auf traditionelle Rollenbilder, indem sie Mütter dazu auffordern, sich unter Gleichgesinnte zu begeben, Krabbelgruppen zu initiieren, sich ehrenamtlich zu engagieren. Für einige mag das ein Weg sein, und sicher ist es manchmal bereichernd, sich hin und wieder mit anderen Mamas an einen Tisch zu setzen und auszutauschen, und sei es nur für die lapidare Gewissheit, dass wir alle im selben Boot sitzen. Und doch geht es hier vor allem darum zu lernen, das Umfeld in seine Verantwortung zu ziehen. Wer lange stillt, könnte das Baby beispielsweise von Anfang an auch an die Flasche gewöhnen, damit auch der Papa (oder andere Familienmitglieder) mit abgepumpter Milch füttern können (ich stille seit 14 Monaten, habe diese Maßnahme allerdings verpasst und kann es deswegen wirklich jeder Mama nur ans Herz legen. Wer sich unsicher ist, holt sich Hilfe von einer ausgebildeten, zumeist ehrenamtlich arbeitenden Stillberaterin).
Weiterhin ist es natürlich wichtig, sich ein Netzwerk aus Gleichgesinnten zu schaffen. Das Wunderhaus in Berlin macht vor, wie so etwas sowohl in der Stadt als auch auf dem Land funktionieren könnte. Als weitergedachtes Eltern-Kind-Café, Co-Working Space mit täglicher Kinderbetreuung und Clubhaus verschafft es Müttern wie Vätern eine Auszeit vom immer gleichen Alltag – mit einem vielseitigen Kursprogramm. Eine gesunde Küche und wechselndes Mittagsangebot runden das Konzept ab. Darüber hinaus treffen besonders Mamas hier jede Menge Gleichgesinnte, um neue Kontakte zu knüpfen und alte zu pflegen.
Manchmal ist die Einsamkeit aber auch weniger auf ein Defizit sozialer Kontakte zurück zu führen, als vielmehr auf den immer selben Tagesablauf, das immer selbe Kinderzimmer, den immer selben Spielplatz, das immer selbe Umfeld. Nicht zu vergessen die fehlende Flexibilität, einfach mal so in den Tag hineinzuleben. Dann kann es helfen, den eigenen Radius zu erweitern, diesen Rhythmus zu durchbrechen und sich beispielsweise allein mit Kind auf Reisen zu begeben. Die schwedische Wahl-Berlinerin Malin Elmlid hat sich genau das getraut. Als ihr Sohn gerade mal ein halbes Jahr alt war, ist sie mit ihm allein nach Bangkok geflogen und teilt diese und andere Erfahrungen nun in ihrem kürzlich erschienen Ratgeber Mein persönlicher Mutterpass sowie einer gleichnamigen Facebook-Gruppe und einem Instagram-Account. Ihre eigene Geschichte und die eigenen persönlichen Herausforderungen bilden das Grundgerüst für die Berichte anderer Mütter – vom ersten positiven Schwangerschaftstest bis hin zur Elternzeit – und vermitteln so in einer Art Kompendium (das dank Platz für Notizen durch eigene Erfahrungswerte ergänzt werden kann), das beruhigende Gefühl, dass es am Ende kein Richtig oder Falsch gibt. Die Autorin hat damit eine Hommage an die vielen möglichen Wege, Mutter zu sein, geschrieben, ohne auch nur einmal den Zeigefinger zu erheben. Dabei macht sie Mut, offen auszusprechen und einzufordern, dass Frauen Mutter sein können, ohne sich dabei aufzugeben. Meine Rede!

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