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Ich möchte das nicht! Ein Plädoyer dafür, öfter mal nein zu sagen

Foto: Erin Yamagata
Kleines Wort, große Angst. Mir fällt es wesentlich leichter endoplasmatisches Retikulum zu sagen als das kleine Wörtchen nein. Es ist vollkommen absurd und trotzdem bekomme ich einen kalten Schweißausbruch, wenn mich jemand um einen Gefallen bittet und ich eigentlich nein sagen will. Ganz egal, ob beruflich oder privat, ein Nein bedeutet fast immer eine heftige Reaktion, schlimme Konsequenzen oder eine enttäuschte Person. Zumindest bedeutet es die Angst davor, denn das Kopfkino vor einem Konflikt ist ja oftmals eh viel schlimmer als der Konflikt selbst. Meistens sage ich sogar ganz automatisch ja, wenn ich um etwas gebeten werde und zweifle mein eigenes Handeln gar nicht an, wenn ich dann etwas tue, auf das ich eigentlich keine Lust habe. Klar, das Leben ist kein Ponyhof und wir alle müssen immer wieder Dinge tun, auf die wir schlicht keinen Bock haben, aber es gibt doch in vielen Situationen die Möglichkeit, sich zu entscheiden. Und genau da liegt das Problem, denn diese Möglichkeit zum Neinsagen haben viele von uns gar nicht auf dem Zettel.
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Was soll schon passieren, wenn man mal nein sagt? Die Welt wird mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit nicht explodieren, auch wird sich der Boden nicht vor einem auftun und einen verschlucken.

Die Ja-Sagerin

Ich sage zu oft ja. Ich lasse mich auf Jobs ein, die eigentlich zu schlecht bezahlt sind, habe sogar jahrelang fast ohne Bezahlung gearbeitet und lasse mich emotional oder finanziell öfter mal ausnutzen. Meistens tue ich diese Dinge, weil ich ein schlechtes Gewissen habe. Schließlich wurde mir ja auch schon oft geholfen, da muss man ja was zurückgeben, oder? Jein. Klar, es ist super für Freund*innen und Familie da zu sein, aber nicht um jeden Preis. Es bringt nichts, wenn man ständig die eigenen Grenzen überschreitet und sich beinahe komplett selbst aufgibt, nur weil man niemanden vor den Kopf stoßen und – das ist beinahe noch wichtiger – gefallen will. Von klein auf wird gerade Mädchen* beigebracht, ja zu sagen und zu teilen. Nett sein muss man nämlich, das ist fast so wichtig wie anderen Kindern nicht mit der Schippe auf den Kopf zu hauen oder Zähneputzen. Es ist sogar eine Selbstverständlichkeit und gehört zu jeder guten Erziehung dazu. Dabei ist es wirklich eine schlechte Angewohnheit, Kindern beizubringen, sie sollen doch bitte immer nett und lieb sein, immer teilen und immer helfen. Dadurch fangen sie nämlich an, sich für ihre eigenen Bedürfnisse zu schämen, diese nicht mehr ernst zu nehmen oder gar nicht mehr zu hören. Ja, der Mensch ist ein soziales Wesen, wir leben von der Interaktion und Einsamkeit ist wirklich kacke. Dadurch, dass wir anderen helfen, ihnen zuhören und einfach nett zu ihnen sind, bauen wir soziale Beziehungen auf, die wirklich wichtig für uns sind. Aber, und jetzt wird's wichtig, man muss nicht immer ja sagen. Denn eine Beziehung, welcher Art auch immer, hält es auch mal aus, wenn man eben ganz kurz Zeit für sich braucht. Und wenn sie es nicht aushält, dann ist es vielleicht besser so.
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Jasagen fühlt sich also irgendwie richtig an, schließlich haben wir das ja von klein an so gelernt. Neinsagen hingegen fühlt sich falsch an, man schämt sich geradezu dafür und hadert mit sich selbst, ob man denn überhaupt nein sagen darf oder ob einen das gleich zu einem schlechten Menschen macht. Man hat regelrechte Angst vor der Reaktion der anderen Person. Was ist, wenn er*sie wütend wird? Oder aggressiv reagiert? Was ist, wenn ich meinen Job verliere oder ein*e gute*n Freund*in? Oder was ist, wenn man dann stundenlang mit der anderen Person diskutieren muss. Wie belastend! Dann doch lieber gleich ja sagen, oder?
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Die Nein-Sagerin

Ich habe ein kleines Experiment gewagt, ich habe nein gesagt. Zu mehreren Leuten, immer dann, wenn mich etwas wirklich genervt hat, ich mich ausgenutzt gefühlt habe oder es mir einfach gereicht hat. War krasser, als es klingt, versprochen. Mein innerer Kampf, bevor diese vier kleinen Buchstaben über meine Lippen kamen, ist kaum in Worte zu fassen. Mir wurde heiß, kalt, ich hatte Angst und wirklich jede Faser meines Körpers hat sich gegen dieses Nein gesträubt. Ich dachte kurz, ich packe es nicht und dann habe ich es doch getan – und es überlebt. Auch die anderen Personen haben es überlebt. Es gab auf ganzer Linie nur Überlebende.
Da war zum einen der Typ, der so gerne mit mir flirtet. „Nur zum Spaß“, wie er immer wieder betont, mit mir kann man es ja machen, ich sei ja schließlich nicht so. Kein Plan, was der damit meint, aber ich schätze mal, er denkt, ich sei nicht eine von diesen emotionalen Frauen, die so etwas ernst nehmen oder in irgendeiner Weise auf Gefühle stehen. Überraschung, bin ich doch. Nur weil ich immer Schwarz trage, heißt das noch nicht, dass ich romantische Spaziergänge am Strand kacke oder es gut finde, wenn man sich über meine oder die Gefühle anderer lustig macht. Die Tatsache, dass ich gerade ziemlich unfreiwillig single bin und noch immer versuche, die Scherben der letzten gescheiterten Beziehung zusammenzukleben, macht es auch nicht unbedingt leichter. Anstatt diese unfassbare Dreistigkeit einfach weg zu lachen, sage ich entschieden nein und dass ich das nicht möchte. Weil mich das verletzt und weil es einfach gemein ist. Er reagiert angepisst und meint, ich solle mich nicht so haben. Auch ein geiler Spruch, oder? Hab dich nicht so! Pow! Ich erkläre dann ganz in Ruhe, wie ich mich fühle, er reagiert letztlich verständnisvoll und verspricht mir, solche „Witze“ zukünftig zu lassen. Ja, es war ganz kurz anstrengend, dafür ist es danach viel, viel besser. Er weiß jetzt, wo meine Grenzen sind und ich kann entspannter mit ihm umgehen. Ich habe ganz kurz den etwas anstrengenden Weg gewählt, um es danach dann sehr lange leichter zu haben.
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Solche Situationen gab es zuhauf. Ich habe der Person, die mich seit Monaten finanziell ausnutzt, gesagt, dass ich das nicht mehr mitmachen werde. Es folgte ein ziemlich heftiger Streit, der aber für uns beide heilend war. Wir konnten Dinge klären, die wir sonst noch monatelang mit uns rumgeschleppt hätten. Ich habe einer anderen Person, die mich immer wieder als emotionalen Fußabtreter benutzt, gesagt, dass ich das nicht mehr will. Dass ich sie nicht mehr will. Denn manchmal muss man eben auch nein zu einer ganzen Person sagen.

Die Jein-Sagerin

Es gilt einfach, die perfekte Balance zwischen ja und nein zu finden. Klingt easy, ist es aber nicht, denn für diesen Balanceakt muss man ziemlich down mit sich selbst sein, schließlich gilt es, auf die eigenen Bedürfnisse und Grenzen zu hören. Weil wir aber durch den ganzen Nettsein-Zwang verlernt haben, auf genau diese Stimmen zu hören, kann sich diese einfache Aufgabe als wirklich knifflige Angelegenheit entpuppen.
Und wie lernt man jetzt, wann man ja und wann man nein sagen soll? In ganz kleinen Schritten. Versuche es erst mal in ganz alltäglichen Situationen, zum Beispiel wenn dir Dessert angeboten wird, du aber schon satt bist. Versuche einfach nicht mehr ja zu sagen in Situationen, in denen du nur aus Höflichkeit ja sagen würdest. Natürlich solltest du darauf achten, dass du dich damit nicht in Schwierigkeiten bringst. Kuchen von Oma abzulehnen, zum Beispiel, ist okay. Der Chefin zu sagen, dass du die Deadline nicht einhältst, weil „kein Bock“, ist keine so gute Idee. Und wenn du dich nicht traust, versuche es doch mit einem ganz klaren Jein!
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