Ich weiß nicht genau, wann es passiert ist – aber irgendwann in den letzten fünf Jahren hat sich die Art verändert, wie ich einschlafe. Anstatt vor dem Schlafengehen zu lesen oder einfach im Dunkeln zur Decke hochzustarren, fing ich damit an, mir jeden Abend meine Kopfhörer einzustöpseln und einen Podcast anzuklicken. Der Podcast selbst variiert: Jetzt gerade ist es Threedom, ein Podcast, in dem drei Comedians über absoluten Quatsch labern. Prinzipiell würde ich aber alles hören, solange es spannend und unterhaltsam ist. Ich höre zu, bis mir auffällt, dass ich die Bedeutung der Worte gar nicht mehr aufnehme, ziehe mir dann halbherzig die In-Ears aus den Ohren und drücke auf Pause, bevor ich wegschlummere.
WerbungWERBUNG
Das Ganze ist inzwischen ein so normaler Bestandteil meiner täglichen Routine geworden, dass ich plötzlich voller Energie bin, wenn ich vor dem Schlafengehen meine Kopfhörer nicht finden kann. Mittlerweile schlafe ich nur noch widerwillig bei absoluter Stille ein – und wenn ich das tue, komme ich mir dabei vor wie ein Charakter aus irgendeinem historischen Drama, so fremd wirkt die Stille auf mich. Aber ist es überhaupt gut für mich, mit einem Podcast einzuschlafen? Ist es bloß eine harmlose Angewohnheit, oder wirkt es sich sogar auf meinen Schlaf aus?
Zu einem Podcast einzuschlafen, ist prinzipiell kein neues Phänomen. Zwar gibt es dazu nur wenige Studien, doch ergab eine Umfrage von Edison Research aus dem Jahr 2019, dass mehr als die Hälfte der 6.000 Befragten in den USA vor dem Schlafengehen gern mit einem Podcast zur Ruhe kommen. Noch eindeutiger ist die schiere Anzahl an Schlaf-Podcasts und -Hörbüchern, die es mittlerweile gibt: Öffne jede beliebige Podcast-App, such nach „Schlaf“ oder „sleep“ – und scroll dich dann eine halbe Ewigkeit durch unzählige Titel.
Der Trend spiegelt sich auch in kleinen Dingen wider, wie zum Beispiel der Eingliederung eines Schlaf-Timers in allen Podcast-Apps. Mit ein paar Klicks kannst du entscheiden, nach wie vielen Minuten der Podcast verstummen soll – abhängig davon, wann du glaubst (oder hoffst), eingeschlafen zu sein.
Laut der Psychologin Dr. Lindsay Browning, Autorin von Navigating Sleeplessness und Gründerin der Organisation Trouble Sleeping, kann es eine nützliche Angewohnheit sein, zu Podcasts einzuschlafen; insbesondere, wenn du zur Unruhe neigst oder Einschlafprobleme hast. „Podcasts können dabei helfen, jemanden kurzfristig vom aktiven Nachdenken abzulenken, weil sie dir ein anderes Thema zum Nachdenken geben.“ Sie fügt allerdings hinzu, dass es nicht zwangsläufig eine positive Gewohnheit sein muss. „Wenn du dir angewöhnst, nicht zu schlafen, und dir deine Schlafprobleme Sorgen bereiten, kann es deine Situation sogar verschlimmern, dir im Bett etwas anzuhören“, erzählt Lindsay gegenüber R29. „Dann wird dein Gehirn womöglich wachgehalten, indem es aktiv dem Podcast zuhören soll, anstatt einzuschlafen. Noch dazu kann dich das Geräusch des Podcasts auch wieder aufwecken, wenn du gerade erst weggedöst bist.“
WerbungWERBUNG
Genau deswegen sind Schlaf-Podcasts und -Geschichten so entworfen, wie sie sind, erklärt sie. „Schlaf-Geschichten (von denen einige auf ASMR setzen) sind speziell entwickelte Storys mit nur wenig Inhalt. Stattdessen enthalten sie beruhigende Geräusche und sanfte Beschreibungen, die dich beim Einschlafen entspannen sollen.“ Diese Geschichten sind absichtlich so uninteressant und unaufregend wie möglich geschrieben, damit du nicht wachbleiben musst, um zu wissen, wie sie „ausgehen“.
Diese Podcasts sind aber nicht mein Geschmack. Comedy- und Entertainment-Podcasts, die mir gefallen, sind explizit interessant und spannend – und genau deswegen höre ich sie mir auch gerne tagsüber an. Das widerspricht scheinbar dem Konzept einer Einschlafhilfe – kann aber auf eigene Art nützlich sein. „Wenn du gerade grübelst oder dir wegen etwas Sorgen machst“, meint Lindsay, „kann ein interessanter oder unterhaltsamer Podcast dabei helfen, dich von deinen Sorgen abzulenken.“ Die Idee dahinter ist simpel: Vielleicht schläfst du eher ein, wenn du nicht über deine eigenen Probleme nachdenkst. Lindsay ergänzt aber: „Wer langfristige Schlafprobleme hat, sollte dabei am besten gar nichts hören.“
Wie bei den meisten Einschlafhilfen hat also auch das Hören von Podcasts und/oder Videos Vor- und Nachteile. Einerseits können sie dich von deinen Gedanken und Sorgen ablenken, die dich ansonsten womöglich vom Entspannen abhalten würden – andererseits könnten sie aber auch deine Sorgen um deinen Schlaf verstärken, wenn du dich für eine Einschlafhilfe entscheidest, die nicht zu deinem Gedanken-Stil passt.
Vielleicht wirst du dann unruhig, weil die Schlaf-Story vorbei ist, du aber noch wach bist – oder weil du erahnst, dass der Comedy-Podcast gleich enden wird. Darunter kann dann deine generelle Schlafhygiene leiden. Lindsay erklärt: „Wenn du im Bett einen Podcast hörst, sendest du deinem Gehirn widersprüchliche Signale: Du machst das, weil du im Bett liegst und schlafen willst, doch versucht dein Gehirn, aktiv wach zu bleiben, um sich den interessanten Podcast anzuhören. Tatsächlich bringst du deinem Gehirn so bei, den Schlaf zu bekämpfen, und vermittelst ihm den Eindruck, dein Bett sei kein Ort zum Schlafen, sondern zum Wachsein und Zuhören.“
WerbungWERBUNG
In der Hinsicht könnte es dann wohl doch die beste Entscheidung sein, bei völliger Stille die Decke anzustarren. Schließlich können sich Geräusche auf unseren Schlaf auswirken und uns sogar dazu ermutigen, aufzuwachen. Wenn du mit der Stille aber einfach nicht so gut klarkommst (so wie ich), ist es letztlich eine ganz persönliche Entscheidung, was du dir beim Schlafengehen anhörst. Ein paar Guidelines gibt es trotzdem, erklärte Craig Richard, Professor für Pharma-Wissenschaften an der Shenandoah University und Autor von Brain Tingles, einem Buch über ASMR, kürzlich gegenüber VICE. Ihm zufolge entspricht der ideale Schlaf-Podcast vier wichtigen Anforderungen: „Der Sprecher oder die Sprecherin spricht mit einer ruhigen Stimme; er oder sie fokussiert sich auf die zuhörende Person; er oder sie frustriert oder verärgert das Publikum nicht; und der Podcast ist thematisch prinzipiell eher banal.“
Letztlich lässt sich sagen: Wenn du der Meinung bist, dass dir Podcasts das Einschlafen erleichtern, ist es nicht nötig, mit etwas Nützlichem aufzuhören. Wenn du aber den Eindruck hast, dass dir die Podcasts nicht (mehr) bei der Entspannung helfen, solltest du vielleicht eher hinterfragen, woher deine Schlafprobleme stammen. Und bitte mach dir keine Sorgen darüber, dass du dein Hirn mit etwas völlig Belanglosem oder „Merkwürdigem“ füllst: Wenn dich True-Crime-Podcasts direkt ins Traumland befördern, wird das wohl kaum psychologische Schäden hinterlassen. Hauptsache, deine Sorgen, Ängste oder paranoiden Gedanken halten dich nicht vom Schlafen ab – und wenn dir ein Podcast (egal, welcher) beim Abschalten hilft, ist das immer etwas Gutes.
Lust auf mehr? Lass dir die besten Storys von Refinery29 Deutschland jede Woche in deinen Posteingang liefern. Melde dich hier für unseren Newsletter an!
WerbungWERBUNG