Als behandelnde Ärztin von Opfern häuslicher Gewalt lernte ich eines schon zu Beginn meiner Karriere: Eine Gewalttat sollte immer an ihren Auswirkungen auf das Opfer gemessen werden. Wenn wir dieselbe Logik auf Rassismus übertragen, fällt es leichter, rassistisches Verhalten aufgrund der möglichen Kurz- und Langzeitschäden seiner Opfer als weitere Art des Missbrauchs zu verstehen.
In eindeutig diskriminierenden Situationen sind die Rollen von Opfer und Täter*in meist klar verteilt: Eine Person verhält sich der anderen gegenüber rassistisch. Im Fall von Mikroaggressionen kann die Tat für Außenstehende jedoch gerade noch als gesellschaftlich akzeptables Benehmen durchgehen, wodurch es schwer ist, Rassismus als solchen wahrzunehmen.
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Der Begriff “Mikroaggression“ beschreibt ein alltägliches Verhalten, das absichtlich oder unabsichtlich Feindseligkeit, Diskriminierung oder Vorurteile gegenüber einer Person oder Gruppe ausdrückt. Die Ausprägung kann dabei unterschiedlich stark ausfallen – sie beginnt bei Mikroentwertungen (das subtile Abstreiten der Gefühle, Erfahrungen oder Gedanken einer Person) über Mikrobeleidigungen (verbale und nonverbale Erniedrigungen) bis hin zu Mikroangriffen (explizite verbale und nonverbale Angriffe). Die Konfrontation von Mikroaggressionen ist eine schwierige Angelegenheit. Die vermeintlich unschuldige Form dient als Schutzschild für die den Täter*innen, welche oft als zu Unrecht beschuldigt empfunden wird. Schwarze Menschen bekommen häufig zu hören, sie würden überreagieren, seien zu sensibel oder selbst schuld.
Rassistisches Gaslighting ist eine Form des emotionalen Missbrauchs; ein hinterhältiger Trick, um Macht und Kontrolle zu erlangen. Das Gegenüber wird psychologisch manipuliert, bis er oder sie den eigenen Verstand und Realitätssinn hinterfragt. Gaslighting entwertet durch diese Verleugnung, offene Abneigung und den Rollentausch die Erfahrungen, Gedanken und Gefühle einer Person.
Rassistisches Gaslighting klingt häufig so: „Ich bin ja kein Rassist, aber…“, „Umgedrehten Rassismus gibt es auch“, „War doch nur ein Witz“, „Ich sehe keine Hautfarben“, „Rassismus gibt es doch gar nicht mehr“ oder „Es geht nicht immer um Rassismus“. Mikroaggressionen, die ich in meinem Beruf oft höre, sind zum Beispiel: „Jeder hat ein Recht auf seine Meinung“, „Um jetzt mal für die andere Seite zu sprechen“, oder „Dir würden mehr Leute zuhören, wenn du nicht so aggressiv wärst“. In letzter Zeit sind dir vielleicht im Kontext der Anti-Rassismus-Bewegung Sprüche begegnet wie: „All lives matter“, „Bekämpft Hass nicht mit Hass“, oder „Wir sollten uns nicht auf die Fehler von [problematische Person hier einfügen] konzentrieren“.
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Insbesondere „Ich sehe keine Hautfarben“ ist weit verbreitet. Doch die Hautfarbe anderer Leute gar nicht erst anzuerkennen, löscht mit einem Schlag die Geschichte einer ganzen Community aus und sorgt dafür, dass die Erfahrungen dieser Menschen geleugnet, entwertet und totgeschwiegen werden. Der Täter oder die Täterin wird als tugendhaft dargestellt, das Opfer hingegen als Verleumder.
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Es kann emotional erschütternd sein und Gefühle der Angst, Trauer, Wut und Schuld auslösen. Die Betroffenen fühlen sich oft hilflos und hoffnungslos.
Dr. Roberta Babb
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Die ganze Problematik kann enorm schädlich für die mentale Gesundheit Schwarzer Personen sein. Laut Dr. Roberta Babb, Psychologin und Leiterin der Londoner Praxis “Third Eye Psychology“, kann rassistisches Gaslighting dazu führen, dass man sich „entfremdet, entrechtet und verstoßen fühlt und das Vertrauen in Autoritätspersonen verliert“. Und auch die Langzeitwirkung davon sei nicht zu unterschätzen, warnt sie. „So etwas nagt am Selbstwertgefühl des Opfers und raubt ihm oder ihr die Handlungsfähigkeit und das Selbstbewusstsein und -vertrauen. Es kann emotional erschütternd sein und Gefühle der Angst, Trauer, Wut und Schuld auslösen. Die Betroffenen fühlen sich oft hilflos und hoffnungslos.“
Im schlimmsten Fall, sagt Dr. Babb, kann rassistisches Gaslighting in seinen Opfern Schwierigkeiten hervorrufen, der Realität, ihren Erfahrungen und ihrem Wissen zu vertrauen, da all das von außen derart angegriffen wird. „Die Betroffenen können ihre Gefühle nicht mehr ausdrücken und dadurch Bestätigung und Anerkennung erfahren. Also richten sie ihre Emotionen nach innen; sie verinnerlichen die kritischen, negativen und rassistisch belasteten Gedanken.“ Das kann fatal sein, sagt Dr. Babb: „Diese Verinnerlichung kann zwar dazu dienen, ein Gefühl der Kontrolle wiederzuerlangen – sie kann aber ebenso selbstzerstörerisch sein, da die Betroffenen ihre Stabilität und Sicherheit verlieren.“
Wenn du als Schwarze Person rassistisches Gaslighting aufzeigst, kann das zu schwierigen, oft sogar gefährlichen Situationen führen. Die Social Wellness Designerin Jacquelyn Ogorchukwu Iyamah sagt: „Es ist wichtig, dass wir uns nicht selbst betrügen, um die Gefühle anderer zu schützen. Das heißt, du solltest klar darstellen, was passiert ist, inwiefern es verletzend war und welches Verhalten du dir in Zukunft wünschen würdest.“ Sie rät, offen auf das Fehlverhalten des Täters oder der Täterin hinzuweisen und um ein klärendes Gespräch unter vier Augen zu bitten. Außerdem ist es während eines solchen Vorfalls eine gute Idee, dich – deiner Energie zuliebe – direkt aus dem Gespräch zurückzuziehen und alles genau aufzuschreiben. So kannst du es dir selbst nochmal vor Augen führen, solltest du später irgendwann an deiner Erinnerung zweifeln. Du kannst der Person auch lehrreiche Texte zuschicken und deine eigene Grenze zwischen euch ziehen, um den Kontakt zu diesem Menschen so gering wie möglich zu halten.“
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Gaslighting geht zwar von den Täter*innen aus, doch am Ende bist du die- oder derjenige, der ihr Ego, ihren Narzissmus und ihr Kontrollverlangen zu spüren bekommt.
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Josh MacNab, Therapeut bei der Organisation Black Minds Matter und in der Praxis Roots Counselling nahe London, hat Tipps, um die eigene geistige Gesundheit zu beschützen. „Achte aktiv darauf, ob dich jemand gerade gaslightet – denn Gaslighting funktioniert am besten, wenn das Opfer es gar nicht mitkommt. Es ist also entscheidend, zu erkennen, dass du in dieser Situation nicht das Problem bist.“ Er betont, wie wichtig es ist, „deine Gefühle als völlig berechtigt anzuerkennen und zu begreifen, dass du nur über dein eigenes Verhalten und deine Reaktionen die volle Kontrolle hast. Mach dich deiner Stärken, deines Muts, deiner Reaktionen und Trigger bewusst“. Das gibt dir Kraft für den Umgang mit schwierigen Menschen und Situationen. Außerdem rät MacNab, die eigenen Freundschaften zu überdenken. Gaslighting geht zwar von den Täter*innen aus, doch am Ende bist du die- oder derjenige, der ihr Ego, ihren Narzissmus und ihr Kontrollverlangen zu spüren bekommt.
Wir müssen aber auch über die Verantwortung weißer Menschen sprechen, wenn wir Schwarzen Menschen etwas von der Last, die sie durch den Umgang mit rassistischem Gaslighting tragen, abnehmen wollen. Wenn du weiß bist, das liest und dich selbst in diesen Beispielen wiedererkennst, ist es an der Zeit für radikale Selbstreflexion. Nimm dir vor, gegen deine verinnerlichten Vorurteile anzugehen und zu hinterfragen, inwiefern sie deinen Umgang mit anderen beeinflussen. Unternimm etwas gegen die rassistisch verletzenden Verhaltensweisen in deinem Umfeld. Wie auch bei Gewalt in einer Beziehung ist es nicht die Aufgabe des Opfers, seine*n Täter*in zu verändern oder die Taten hinzunehmen. Wir sollten nicht in Situationen verharren müssen, die uns schaden; stattdessen ist es deine Pflicht, sicherzustellen, dass du für uns keine Gefahr bist.
Wenn du mentale Unterstützung brauchst, schau dir unsere Liste mit Beratungsstellen, Plattformen, Podcasts und Facebook-Gruppen speziell für Schwarze Menschen an. Dort findest du auch Informationen zum Thema Therapie.
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