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Warum verhalten wir uns anderen gegenüber in letzter Zeit so arschig?

Foto: Beth Sacca
Bist du in letzter Zeit öfter mal ohne jeglichen Grund von allen um dich herum genervt? Hast du das Gefühl, immer wütend zu sein? Bist du ständig kurz davor eine fremde Person auf der Straße anzufauchen? Hast du das Bedürfnis, allen zeigen zu müssen, wie dein Leben in der Selbst-Isolation aussieht, beurteilst aber gleichzeitig das Leben von anderen? Wenn du mindestens einmal mit “Ja“ geantwortet hast, dann willkommen im Club der Ärsche! Aber sei gewarnt, hier haben wir nie Spaß!
Es ist schon irgendwie merkwürdig: Auf der einen Seite bringt die Corona-Krise das Beste im Menschen zum Vorschein. Jeden Tag feiern wir unsere Alltagsheld*innen und all diejenigen, die in dieser Zeit den weniger glücklichen Menschen unter die Arme greifen. Aber andererseits fühlen sich einige von uns derzeit wie die schlechteste Version ihrer selbst – pedantisch, verurteilend, schnell reizbar. Ich habe mich wirklich zwei Wochen lang gefragt, warum ich PMS habe, obwohl meine Tage gar nicht im Anmarsch waren. Bis ich bemerkt habe, dass es nichts mit meiner Periode zu tun hatte. Ich habe einfach nur ständig miese Laune.
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„Vor allem, wenn es um den Haushalt geht, bin ich gegenüber meinem Freund viel schnippiger geworden“, gesteht mir Jess Commons, Lifestyle Director bei Refinery29. „Wenn er auch nur eine kleine Stelle beim Putzen übersieht, rolle ich gleich mit den Augen und mache dann ‘Witze‘ über seine Unordentlichkeit bei Zoom-Calls mit meinen Freund*innen.“
Und bei mir sieht es nicht wirklich anders aus. In meinen WhatsApp-Gruppen ist Nörgeln an der Tagesordnung. Ich lasse mich bei Freund*innen über dumme Menschen im Supermarkt, selbstgefällige Leute auf Twitter und den enttäuschenden Blechkuchen, den ich gestern Abend gebacken habe, aus. Sie beschweren sich im Gegenzug über nervige E-Mails, überempfindliche Nachbar*innen, überfürsorgliche Familienmitglieder und über das, was auch immer ihr*e Mitbewohner*innen im Bad hinterlassen haben. Doch kurz nachdem wir alle mal so richtig Dampf abgelassen haben, fühlen wir uns wegen der Wutausbrüche schlecht. „Ich hatte gehofft, dass mir die Corona-Krise helfen würde, großzügiger und toleranter zu werden“, sagte eine Freundin zu mir, „aber nein. Ich pöble Leute an, weil sie auf einer Bank sitzen.“

Es ist wie das dritte Newtonsche Gesetz: Auf jede arschige Aktion folgt eine gleichgroße, entgegengesetzte Reaktion. 

Irgendwie gibt es nicht eine Person auf dieser Welt, die in der Selbst-Isolation alles richtig macht. Du bist scheiße, wenn du Spaß zuhause hast und ein Foto von deinem Gourmet-Dinner und den schönen Blumen auf deinem Balkon postest. Du bist aber auch unten durch, wenn du andere dafür kritisierst, dass sie eben solche Dinge posten. Beschwere dich ja nicht über deine Lage, denn es gibt Menschen, denen es viel schlechter geht. Aber stelle auch nicht diejenigen bloß, die sich über ihr Leben beschweren... Es ist wie das dritte Newtonsche Gesetz: Auf jede arschige Aktion folgt eine gleich große, entgegengesetzte Reaktion.
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Menschen, die die Regeln zur Bekämpfung des Virus missachten, sind Ärsche. Aber auch diejenigen, die freudig das Verhalten anderer Menschen überwachen, sind Ärsche. Leute, die sich auf dem Fußgängerweg nicht an den 2-Meter-Abstand halten, sind Ärsche – keine Frage. Das bin ich aber auch, wenn ich ihnen deshalb ein paar Sprüche hinterherrufe. Und eine Kassiererin im Supermarkt hat nicht das Recht grundlos schnippig zu dir zu sein. Aber wenn du sie kritisierst, sagt dir mindestens eine Person, dass du unsensibel bist und einfach nicht verstehst, unter welchem Druck sie gerade arbeiten muss.
„Vielleicht sind wir alle einfach um die 30 Prozent arschiger als sonst, und sollten uns dieses Verhalten gegenseitig verzeihen“, meinte ich zu meiner Freundin.
Laut Sarah Lewis, Chefpsychologin bei der psychologischen Beratungsstelle Appreciating Change, können wir aus evolutionären Gründen mit einer Zunahme dieses launischen Verhaltens rechnen. „Die gegenwärtige Situation stellt eine sehr reale Bedrohung dar“, erklärt sie. „Und wenn wir uns bedroht fühlen, verringert sich unser gedankliches Handlungsrepertoire. Unsere Fähigkeit, flexibel zu sein, offen zu sein, sich für Neues zu interessieren, sozial zu sein; all diese Dinge nehmen ab, und es geht uns nur noch um unser eigenes Überleben. Wir verfallen in ein ‘Kampf-oder-Flucht-Verhalten‘. Aber (bisher) können wir das Virus nicht bekämpfen und wir können auch nicht davor weglaufen – also finden diese schwierigen Emotionen andere Wege, um sich zu entfalten.“
Wie zum Beispiel durch einen absolut unnötigen Streit mit meinem Partner darüber, wer von uns die Wände besser streichen kann (ich natürlich, denn ich habe einen “ästhetischen Blick“ auf die Dinge). Ich weiß, du denkt jetzt bestimmt, ich bin ein Arsch, weil ich erwähne, dass ich eine Wand, Farbe oder einen Freund habe, denn andere haben diese Dinge nicht – shame on me!
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Sobald dir klar wird, warum du dich wie ein Arsch verhältst, solltest du auch daran arbeiten, zu verstehen, warum andere es tun

Einige von uns wählen den Kampf, während andere dann lieber die Flucht ergreifen. „So gehen wir der Bedrohung aus dem Weg“, sagt die Psychologin. „Wir denken: Es ist nicht so ernst. Ich bin nicht alt und habe auch keine Vorerkrankungen. Mir wird schon nichts passieren – das ist ein ganz typischer Bewältigungsmechanismus.“ Also vielleicht ist die Person, die dir auf der Straße zu nahe kommt, gar kein Arsch. Sie könnte auch einfach nur im Fluchtmodus sein.
Jess hat herausgefunden, warum sie zu Hause öfter mal zum Arsch mutiert. „Ich habe einfach Angst und möchte zumindest die Kontrolle über meine eigenen vier Wände behalten. Das ist so ziemlich das Einzige, was ich zurzeit wirklich unter Kontrolle haben kann. Deshalb fühlt sich jedes Kleidungsstück, das auf dem Boden liegt, wie ein Angriff auf mein Leben an“, sagt sie. „Ich glaube, wenn du weißt, warum du dich so arschig verhältst, kann du dein Verhalten auch leichter wieder ändern.“ Sobald dir klar wird, warum du dich wie ein Arsch verhältst, solltest du auch daran arbeiten, zu verstehen, warum andere es tun – das wäre dann das, was die Erwachsenen Empathie nennen.
Während eine Person vor Langeweile langsam das Gefühl hat, den Verstand zu verlieren, wünscht sich eine andere im selben Moment, sie hätte mal einen einzigen Tag, an dem ihr langweilig ist. Während Eltern gerade verzweifelt versuchen, Home Office und Home Schooling unter einen Hut zu kriegen, sind einige Paare traurig darüber, dass sie ihre künstliche Befruchtung (und somit die gesamte Babyplanung) verschieben müssen. Während einige Menschen das Gefühl haben, ihr Leben ist zurzeit eine Achterbahn, scheint bei anderen die Pause-Taste gedrückt zu sein. In jedem Fall verdienen beide Parteien unsere Sympathie und unser Verständnis, auch wenn sie sich arschig verhalten.
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Und wenn dir auffällt, dass du wieder mal auf andere gereizt reagierst, hat die Psychologin noch hilfreiche Tipps für dich: „Finde Wege, deine Stimmung zu heben. Zähle all die Dinge auf, für die du dankbar bist. Dankbarkeit ist eine wichtige Emotion, um uns von Wut abzubringen und uns mit positiven Vibes zu stärken“, sagt Lewis. Und wie viele andere Psycholog*innen auch, empfiehlt sie, den Nachrichten- und Social-Media-Konsum auf ein Minimum zu beschränken.
Außerdem helfen dir Bewegung und Spaß, negative Gefühle verschwinden zu lassen. „Humor ist für die gute Laune essenziell. Nur weil du jetzt gern Dinge machst, die dich zum Lachen bringen, bist du auch nicht gleich ein schlechter Mensch. Im Gegenteil, dadurch wird es uns besser gehen und so haben wir auch mehr Toleranz gegenüber unseren Mitmenschen“, sagt sie.
Mein Tipp, um durch diese Zeit zu kommen: Behalte deinen Sinn für Humor und sei etwas nachsichtiger mit dir und anderen – auch wenn sie sich manchmal etwas arschig verhalten.
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