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Sex nach der Essstörung: Wie ich es schaffte, Lust an meinem neuen Körper zu empfinden

Foto: Eylul Aslan
Ich winde mich schnaufend im Bett, schwitze so ziemlich überall und versuche krampfhaft mein Knie noch ein bisschen näher an den Oberkörper zu pressen. Die Person, mit der ich gerade Sex habe, gibt wirklich alles, trotzdem kann ich mich nicht wirklich entspannen, denn ich denke die ganze Zeit über meinen Bauch nach. Ein Bauch, der vor ein paar Jahren noch nicht da war, also natürlich war er da, aber er war nicht so extrovertiert. Dieser Bauch ist nicht groß, aber er ist eben doch da und macht sich in diesem wirklich sehr unpassenden Moment bemerkbar. Diesen minimal extrovertierten Bauch habe ich mir in einer schier unendlichen Anzahl von Therapiesitzungen hart erarbeitet. Früher, als ich noch davon überzeugt war, hässlich zu sein, hätte ich diesen Bauch, der jetzt zu meinem Körper gehört, als dick empfunden. Jetzt denke ich zum Glück anders darüber, aber in bestimmten Situationen, in denen dieser Minibauch dann doch im Weg ist, bestimmt er wieder meine Gedanken. Diese Gedanken nenne ich nur meine Dämonen, denn genau das sind sie und ich habe es mir zum Ziel gemacht, diese Dämonen endgültig zu vertreiben.
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Ich habe mir jahrelang eingeredet, dass mein Körper auf keinen Fall weich sein darf.

Dabei ist doch der Moment, in dem man sich lustvoll – wahlweise mit einer anderen Person – in den Laken räkelt, eigentlich nicht der richtige Zeitpunkt für Gedankenkreise. Wenn es nicht der Bauch ist, dann ist es der Hintern, der taktvoll hin und her wogt, oder die Tatsache, dass sich mein Gegenüber leidenschaftlich an meinem Hüftspeck festklammert. All das sind natürlich hochgradig erotische Situationen, der Stoff, aus dem viele sexy Geschichten, Filme oder Kopfkinos gesponnen sind und trotzdem liege ich also hier auf dem Rücken, umklammere meine Knie und verfluche meinen Bauch und meine weichen Hüften.
Ich habe mir jahrelang eingeredet, dass mein Körper auf keinen Fall weich sein darf. Weichheit war der Feind, Weichheit wurde sofort mit diversen brachialen Mitteln bekämpft. Das hat sich zum Glück geändert, denn mittlerweile habe ich gelernt meine weichere Seite zu lieben. Normalgewicht oder ein BMI über 19 sind nicht mehr gruselig, sie sind zu einem Schatz geworden, den ich hüte.
Den eigenen Körper zu akzeptieren und nicht mehr unterdrücken zu wollen, war ein langer Weg, der mich viele Tränen gekostet hat. Ich kann dieses Vertrauen in meinen neuen Körper nicht immer aufrechterhalten und manchmal sind sie wieder da, meine Dämonen. Meistens direkt bevor ich meine Periode bekomme, denn dann schleppe ich immer gut 3 Kilo extra mit mir herum. Die Dämonen lassen sich meisten mit den richtigen Klamotten vertreiben und so kann ich relativ unbeschwert meinen Alltag genießen. Was aber, wenn man keine Klamotten trägt und eine andere Person sich in unmittelbarer Nähe befindet und jeden Zentimeter dieses komplexbehafteten Körpers sehen, fühlen und schmecken kann? Keinen Sex mehr zu haben, T-Shirt dabei anlassen oder das Licht auszuschalten ist manchmal zwar eine Notlösung, aber so richtig zufrieden bin ich damit nicht. Das ist in etwa so, als würde man einfach ein winziges Pflaster auf eine Wunde kleben, die dringend genäht werden sollte.
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Manchmal muss ich die intime Situation abbrechen.

Manchmal muss ich die intime Situation abbrechen. Dann komme ich nach einem Wackler einfach nicht mehr in Stimmung. Das ist natürlich für beide Seiten frustrierend und ich traue mich auch nicht immer, der anderen Person zu erklären, was gerade mit mir los ist, weil ich mich auch etwas für meine Dämonen schäme. Ein „Stopp“ beim Sex muss man ja eigentlich eh nicht erklären, aber es kann die Sexualpartner*in schon verwirren, wenn gerade alles sehr schön war und plötzlich sagt da jemand ohne Vorwarnung „Halt!“. Das schafft immer auch Unsicherheiten. Ich versuche dann, die Situation mit einem lockeren Gespräch zu retten, manchmal gelingt es mir auch.
Das Ende des Aktes bedeutet nicht immer das Ende einer intimen Situation. Man kann auch wunderbar im Bett chillen, Quatsch reden und sich gegenseitig auf andere Art nahe sein. Oder man macht eben einfach was anderes: Ich habe gehört, auf Netflix soll es ein paar nette Serien geben. Wenn ich der anderen Person auch emotional sehr nahe bin, erkläre ich mich auch. Manchmal löst das bei der anderen Person Mitleid aus, was mich ehrlich gesagt nervt. Ich bemitleide mich in dieser Situation selbst schon genug. In den meisten Fällen geht es nach zehn Minuten wieder, die Dämonen machen Pause, lassen wieder genug Platz für schöne Gedanken und es kann weitergehen.

Wenn die Dämonen aufschreien, weil jemand seine Hand in meinem Hüftspeck vergräbt, dann kann ich ihnen manchmal sagen, dass sie ihre Dämonen-Klappe halten sollen.

Andere Male schaffe ich es, die Dämonen zu verscheuchen, ohne dabei buchstäblich aus dem Takt zu kommen. Wenn sie aufschreien, weil jemand seine Hand in meinem Hüftspeck vergräbt (eventuell übertreibe ich hier ein klitzekleines bisschen), dann kann ich ihnen manchmal sagen, dass sie ihre Dämonen-Klappe halten sollen. Weil es sich gut anfühlt, weil ich sehe, wie sehr die andere Person auf meinen Körper steht und weil ich es schaffe, unter all den lauten Stimmen der Dämonen meine Lust zu finden und nur noch auf sie zu hören. Und weil ich gelernt habe, ihnen nicht mehr alles zu glauben. Das Ding ist nämlich, dass sie eigentlich immer lügen und wer hört schon gerne auf Lügner?
Das klappt, wie gesagt, nicht immer. Wichtig ist aber vor allem, sich von Rückschlägen nicht vollends aus der Fassung bringen zu lassen und es einfach immer wieder zu probieren. Aber eben nur, wenn es sich richtig anfühlt. Manche Dinge brauchen etwas länger, die Bekämpfung von alten Dämonen gehört auch dazu. Wer sich zusätzlich noch unter Druck setzt, weil man sich vielleicht ein bestimmtes Zeitfenster gesetzt hat, in dem man das Problem möglichst effizient beseitigen möchte, wird wahrscheinlich eine Enttäuschung erleben. Ich lasse mir von denen jedenfalls nicht die Freude am Sex vermiesen. Meistens zumindest.

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